Renault 4
Die rollende Gelassenheit

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Vom billigen Massenmobil zum Transportmittel der Gefühle: Der Renault 4 eroberte die Sympathien mit anspruchsloser Genügsamkeit. Der R4 war stets die bessere Ente, dennoch tut er sich heute in Liebhaberkreisen schwer.
Ein Renault 4 ist kein Auto, sondern ein Lebensgefühl. Eines, das man von früher kennt. Eines, das man sich jetzt endlich wieder im Alltag gönnen will: Es ist die große Gelassenheit, fast wie in der Gauloises-Werbung, die sich hinterm Steuer des Franzosen ausbreitet. Die rechte Hand liegt hoch auf dem Knauf der Revolverschaltung, die Schulter kuschelt mit dem nahen Dachpfosten, und die Seele baumelt im Nirwana von 34 kraftlosen PS. Aufregen? Niemals. Ein R4 ist der perfekte Stresstilger, eine Lehrstunde in automobiler Anspruchslosigkeit. Genau das sollte der Kleinwagen sein, den Renault im September 1961 auf der IAA vorstellte: ein simples, vielseitiges und günstiges (Preis 1961: 4115 D-Mark) Auto für jedermann – der gallische Gegenpart zu Volksautos wie Käfer, Mini und Fiat 500.

Aller Auto Anfang: Renault 4, Citroën 2 CV und Fiat 500
Dafür besaß der R4 die bei weitem modernere Technik: ein wartungsfreies Fahrwerk ohne Schmierstellen, erstmals ein geschlossenes Kühlsystem und einen standfesten Vierzylinder, der von anfangs 23 auf 34 PS im GTL der letzten Baujahre zulegte. Der 1100er schafft mit viel Anlauf 120 km/h. Kaum genug, um auf Autobahnen den Lkw zu entkommen. Na und? Man lümmelt sich auf dünnen Stühlen, verwöhnt von einer französisch sanften Federung. Die Ursache sind besonders lange Drehstabfedern der Hinterachse, die eine technische Extravaganz verlangten: Das rechte Hinterrad stand fünf Zentimeter weiter vorn. Überhaupt zeigt der Renault ein paar sympathische Schrullen: Die Seitenfenster lassen sich aufschieben, zum Lüften öffnet man eine aufstellbare Klappe unter der Frontscheibe.
Rostet rückstandsfrei
Und das Auspuffendrohr lugte lange seitlich vor dem Hinterrad hervor. Dafür ragte der Auspufftopf ins Radhaus - dem Spritzwasser genauso schutzlos ausgeliefert wie dem ewigen Hauptfeind: Der Rost hat den Großteil der R4 dahingerafft. R4-Spezialist Ingo Heitel berichtet, manche Exemplare in den 60ern seien so schnell verrottet, dass sie vor der ersten TüV-Prüfung geschweißt werden mussten. Ein Übel, das der R4 nie ablegen konnte. Wer schweißen kann, hat bis heute mehr vom R4. Über acht Millionen R4 hat Renault bis 1992 produziert – ob als Kasten Fourgonette, als Cabrio Plein Air oder als Allradler. Den letzten von über 900.000, die bei uns gekauft wurden, sicherte sich 1988 Günter Jauch. Der kann bei seinem Job den rollenden Stresstilger sicher gut gebrauchen.
Technische Daten
Renault 4 GTL
Vier Zylinder, Reihe, vorn längs • seitlich liegende Nockenwelle • Hubraum 1108 ccm • 25 kW (34 PS) bei 4000/min • max. Drehmoment 73 Nm bei 2500/min • Viergang-Revolverschaltung • Vorderradantrieb • L/B/H 3669/1485/1550 mm • Leergewicht 730 kg • Reifen 175 R 13 • vorn Scheiben-, hinten Trommelbremsen • Einzelradaufhängung rundum, vorn an Querlenkern, hinten an Längsträgern, Querstabilisator, Telekopstoßdämpfer • Spitze über 120 km/h • 0-100 km/h in ca. 36 s • 5,4 l Super/100 km • Neupreis (1986) 12.100 D-Mark
Vier Zylinder, Reihe, vorn längs • seitlich liegende Nockenwelle • Hubraum 1108 ccm • 25 kW (34 PS) bei 4000/min • max. Drehmoment 73 Nm bei 2500/min • Viergang-Revolverschaltung • Vorderradantrieb • L/B/H 3669/1485/1550 mm • Leergewicht 730 kg • Reifen 175 R 13 • vorn Scheiben-, hinten Trommelbremsen • Einzelradaufhängung rundum, vorn an Querlenkern, hinten an Längsträgern, Querstabilisator, Telekopstoßdämpfer • Spitze über 120 km/h • 0-100 km/h in ca. 36 s • 5,4 l Super/100 km • Neupreis (1986) 12.100 D-Mark
Historie
Nach dem Debüt der Limousine auf der IAA 1961 folgt 1962 der Kastenwagen Fourgonette. 1964 kommt die Allradversion "Sinpar 4x4" hinzu, 1968 das Cabrio "Plein Air" ohne Türen. Eine große Modellpflege 1977 stattet den R4 besser aus, ein 1,1-Liter-Motor leistet 34 PS (ab 1979). Der Import nach Deutschland endet 1988, die Produktion 1992 nach 8,135 Millionen R4.
Plus/Minus
Wo sonst findet man einen günstigen, komfortablen Kleinen mit dem unverfälschten Charme der 60er-Jahre? Genau hier steckt der Reiz des R4. Hecktür auf, und man fährt samstags einen Umzugswagen. Oder das stilecht schaukelnde Verkehrsmittel für den Weg zur Schlagerparty. Experten raten jedoch davon ab, den R4 im Winter zu fahren: Auf Streusalz reagiert der Renault 4 mit blühenden Rostblasen. Seine Technik gilt dagegen als zuverlässig, die Motoren erreichen durchweg hohe Laufleistungen. Ärger machen meist eher Kupplung und Anlasser, deren Reparatur teuer wird. Dennoch: Der Betrieb und Erhalt eines R4 ist auch mit wenig Geld möglich.
Ersatzteile
Autos sowie Ersatzteile en masse? Diese Zeiten sind leider vorbei. Mit etwas Glück können engagierte Renault-Händler noch dieses und jenes gesuchte Teil besorgen. Im freien Handel werden die früher zahlreich hergestellten Nachbauten allmählich knapp. Auch die Chance, noch auf dem Schrottplatz fündig zu werden, ist gen null gesunken. Zum Glück gibt es die Spezialisten. Und immerhin halten sich die Preise im günstigen Rahmen.
Marktlage
Das Angebot reicht vom Teileträger für eine Kiste Bier bis zum GTL der letzten Jahre, der rund 3500 Euro kosten soll. Laufleistungen jenseits der 100.000 Kilometer sind üblich und dürfen nicht stören. Dazwischen warten immer wieder heruntergerittene Kastenwagen aller Preisklassen und sehr selten ein aufwendig restauriertes Cabrio im Hochpreis-Bereich. Echtes R4-Gefühl verspricht auch der technisch identische R6, der stärker und größer, aber auch deutlich seltener zu finden ist.
Empfehlung
Logisch: Je älter der R4, desto seltener ist er. Auch hier hat der Rost seine natürliche Auslese betrieben. Die wenigen R4 aus den 60ern sind längst in Liebhaber-Händen. Zu empfehlen sind gut erhaltene Exemplare aus den 70ern. Seit 1982 der Korrosionsschutz verbessert wurde, gilt die letzte in Frankreich gebaute Serie (bis 1986) als haltbarer – bis auf die bekannt schwachen Längsträger hinten. Unbedingt kontrollieren! Die späten, bis 1992 in Kolumbien, Slowenien und Spanien gebauten R4 sind hinsichtlich Rostschutz und Verarbeitungsgüte schlechter als die in Frankreich gebauten R4.
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