1990: Deutschland wird Fußballweltmeister, Gorbatschow wird Präsident der UdSSR, Kohl bleibt Kanzler, und Ferdinand Piëch ist Audi-Chef. Mit anderen Worten: Der Start in die letzte Dekade des Jahrhunderts hat es in sich. Piëch regiert in Ingolstadt bereits seit zwei Jahren, zielstrebig und ehrgeizig, wie es so seine Art ist. Er will es dem Establishment zeigen. Er will die vom Erfolg verwöhnten Platzhirsche der Luxusklasse vorführen. Er will es besser können als Mercedes und BMW. Und was sein Audi 200 trotz Turbopower nicht schaffte, soll nun der Audi V8 vollbringen – den technischen K. o. Allradantrieb plus V8 plus Vierventiltechnik, das müsste langen, so sein Kalkül. Denn dergleichen bietet 1988 sonst keiner.
Audi V8 quattro
Ende der 80er-Jahre der letzte Schrei: die Sonderlackierung Perlmuttweiß für bescheidene 1352 D-Mark extra.
1988 platzt der Audi V8 in die feine Gesellschaft. "Er wird Bewegung in die Luxusklasse bringen", droht der Audi-Chef mit bedeutungsschwangerem Understatement. Und alle zittern, ja, auch die Herren in Stuttgart-Untertürkheim. Allerdings nur, bis sie Piëchs V8 leibhaftig vor sich sehen, dann hat es sich ziemlich rasch ausgezittert. Der Herausforderer steht da wie ein angefetteter Audi 100. Von wegen Luxusklasse. "Er ist nicht nur ein Audi 100 mit anderer Kühlermaske, er ist zu 90 Prozent ein neues Auto", kontert Piëch. Aber der äußere Schein sagt etwas anderes. Und das ändert sich auch nicht beim Platznehmen: Raumangebot und Innendesign entsprechen der Audi-Mittelklasse, wenngleich veredelt mit Holz und Leder. Und voll ausgestattet.

100 Jahre Audi: Das Fest der Ringe

Ein klarer Fall für Freunde des dezenten Luxus. Immerhin schleust der aufwendig gemachte 3,6-Liter-V8 250 PS in die Vierstufenautomatik, nur zwei weniger als ein Mercedes 500 SE. Andererseits bringt der Audi, obgleich kleiner, einen zusätzlichen Zentner auf die Waage, im direkten Vergleich zum durchzugskräftigen 500 SE mit Fünfliter-V8 wirkt der kleine 3,6-Liter-V8 des Audi schlapp. Schließlich kostet der Ingolstädter auch noch 10.000 Mark mehr (96.500 Mark steht in der Preisliste). Ganz schön happig für einen Audi. Verständlich, dass die anvisierte Klientel den Audi-Händlern nur vereinzelt mit dem Scheckbuch winkt. 14.000 Stück pro Jahr will Audi verkaufen, aber am Ende bringt es der V8 in seinen sechs Baujahren gerade mal auf insgesamt 21.000 Exemplare. Doch da thront Ferdinand Piëch bereits auf dem Chefsessel von VW in Wolfsburg.

Dickschiff zum Dingipreis

Er war eben etwas für Kenner und Technikbewusste, der Ur-V8. Und er ist es noch immer. Eine De-Luxe-Limousine, vollverzinkt, aufs Feinste ausgestattet, nobel verarbeitet, satt motorisiert, für Leute, die den Nerz innen tragen. Zum Preis eines besseren Motorrollers. Da fällt es leicht, schwach zu werden. Knapp 5000 Euro berechtigen heute bereits zu einem gepflegten V8. Dass ihn die Leute mit einem alten Audi 100 verwechseln, kann einem bei diesen Tarifen egal sein. Was die Sache attraktiv macht, sind die inneren Werte: schönes Leder, voraus eine Uhrensammlung, die jeden Sportwagenfahrer vor Neid erblassen lässt, und der wertvoll summende Achtzylinder.

Drei Achtzylinder-Veteranen: Tschüss, V8

Sicher, der 3,6-Liter agiert überraschend schlafmützig (ein 500 SE beschleunigt erheblich besser), und die Federung begnügt sich mit dem Drei-Sterne-Komfort bürgerlicher Klassen. Aber dafür lenkt sich der Audi sehr flott. Auf kurvenreichen Straßen zeigt er sich sogar einer sportlichen Handhabung keineswegs abgeneigt – untypisch für diese Zeit, denn andere zeitgenössische Luxusdampfer reagierten auf derlei Ansinnen wie Schiffe auf rauer See. Erfreulich auch die Traktionsreserven: Bei widrigen Straßenverhältnissen, wenn sich die Konkurrenten bereits mit Schwung in die Büsche schlagen, krallt sich so ein quattro fest wie ein Amerikaner im Hurrikan. Allein, es fehlte der passende Dampf.

Vom Schlappsack zum Muskelprotz

Audi V8 quattro
High-Tech anno 1988: Vier Ventile je Zylinder und Bosch-Motronic. Leistungshungrige sollten zum 4,2-Liter mit 280 PS greifen.
Die Situation besserte sich, als Audi 1990 dem V8 alternativ zur Vierstufenautomatik ein Fünfgang-Schaltgetriebe gönnte. Das brachte schon beim Beschleunigen von null auf Tempo 100 gut und gern 1,5 Sekunden Zeitgewinn, und entsprechend temperamentvoller fühlte sich der V8 plötzlich an. Die auf Luxus abonnierten Kunden verschmähten diese Option freilich, heute sind die Schalter-V8 rar wie Hühnerzähne. Die richtige Medizin verabreichten die Audi-Ingenieure dem V8 erst 1991: Sie pressten 4,2 Liter Hubraum aus dem Alu-Triebwerk mit Zugaben an Drehmoment und Leistung. Auf 280 PS erstarkt, wandelte sich der Top-Audi vom Schlappsack zum Muskelprotz – in der Luxusklasse waren ihm fortan beim Beschleunigen nur noch wenige gewachsen. Ganz gleich übrigens, ob mit Automatik oder dem manuellen Getriebe (nun Sechsgang). Nachteil: Als 4,2-Liter süffelte der V8 nun noch deutlich mehr. 16 Liter pro 100 km zischt er bei zügiger Fahrt locker weg. Hinzu kommen (bei allen Varianten) enorme Ersatzteilkosten. Ein komfortables finanzielles Polster ist auch heute noch Voraussetzung, um mit einem Audi V8 glücklich zu werden. Luxus bleibt eben Luxus.

Historie

Audi 200 5T
Audis erster zaghafter Vorstoß in die automobile Oberklasse nach 1945: der 1979 vorgestellte Audi 200 (Typ 43).
Die Fachwelt ahnte schon seit geraumer Zeit, was Audi ausheckt. Horch soll das neue Topmodell heißen, wurde gemunkelt, andere tippten auf Audi 300. Dass er dann einfach nur V8 genannt wurde, überraschte, ebenso die Tatsache, dass es sich nur um einen umgestrickten Audi 100/200 handelte. Im Herbst 1988 erschien er auf der Bildfläche, zunächst nur als 3,6-Liter mit Vierstufenautomatik und 250 PS. Für das Modelljahr 1990 schob Audi dann eine handgeschaltete Fünfgangvariante nach. Statt des Zentraldifferenzials mit Lamellensperre verfügte diese über ein selbstsperrendes Torsendifferenzial. Zum Modelljahr 1992 folgte schließlich der V8 in 4,2-Liter-Ausführung mit 280 statt 250 PS und als Handschalter nun mit Sechsganggetriebe. Für Kunden mit Chauffeur legte Audi zudem den V8 L mit 30 Zentimeter mehr Radstand auf, der bei Steyr-Daimler-Puch in Graz in kleiner Stückzahl (300 Exemplare) gefertigt wurde. Überraschenderweise erntete der Audi V8 sogar sportliche Lorbeeren: 1990 und 1991 gewann er die Deutsche Tourenwagen Meisterschaft. 1994 wurde die Produktion nach rund 21.000 Exemplaren eingestellt.

Technische Daten

Audi V8 quattro
V8-Motor • vier oben liegende Nockenwellen über Zahnriemen angetrieben, vier Ventile pro Zylinder, elektronische Benzineinspritzung • Dreiwege-Katalysator • Hubraum 3562 ccm • Leistung 184 kW (250 PS) bei 5800/min • max. Drehmoment 340 Nm bei 4000/min • Vierstufenautomatik (auf Wunsch Fünfgang-Schaltgetriebe) • Allradantrieb • Einzelradaufhängung mit McPherson-Federbeinen vorn, Querlenker und Federbeine hinten • Reifen 215/60 ZR 15 • Radstand 2702 mm • L/B/H 4861/1814/1420 mm • Leergewicht 1710 kg • 0–100 km/h in 9,9 s • Spitze 234 km/h • Verbrauch 15,0 l S pro 100 km • Neupreis 1988: 96.800 D-Mark

Plus/Minus

Ein Audi V8 ist hervorragend ausgestattet, bestens verarbeitet, luxuriös motorisiert und dank Allradantrieb ein perfektes Winterauto. Seine Automatik (mit drei Fahrprogrammen) schaltet weich und schnell, Kurven nimmt er mit Leichtigkeit, und auf der Autobahn kann er noch immer mit den Schnellen im Lande mithalten. Er ist robust und wenig störanfällig. Das alles kostet heute nicht mehr als ein betagter Kleinwagen. Ziemlich überzeugend also, die Argumente, die für den V8 sprechen. Gleichwohl empfiehlt es sich, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Denn ungeachtet der verlockenden Preislage kann dieser Audi schwer ins Geld gehen: Ersatzteile sind extrem teuer, der 80-Liter-Tank ist schnell leer, und die ordnungsgemäße Wartung eines derart komplexen Autos kommt auch nicht billig. Dass der Audi V8 nicht ganz den Komfort eines echten Oberklassewagens bietet, lässt sich hingegen leicht verschmerzen.

Marktlage

Rund 4000 Exemplare befinden sich noch im Umlauf. V8 im Bestzustand mit wenigen Einträgen im Brief sind allerdings sehr rar, und selbst diese haben fast immer deutlich mehr als 100.000 Kilometer auf der Uhr. 6000 Euro sollten für eine 1a-Offerte genügen, wobei die 4,2-Liter-Modelle auch mal einen Tausender mehr rechtfertigen. Kleiner Tipp: Verschlissene Fahrzeuge (unter 2000 Euro) können sich durchaus als Ersatzteilspender lohnen.

Ersatzteile

Das kann teuer werden: Die Ersatzteilpreise für den Audi V8 übertreffen vielfach sogar das anspruchsvolle Niveau der gängigen Oberklasse. Wer vergisst, die Zahnriemen zu wechseln (nach 90.000 Kilometern beim 3,6-Liter, 120.000 beim 4,2-Liter), muss rund 10.000 Euro für einen neuen Motor einkalkulieren. Ein neues Automatikgetriebe liegt bei 7500 Euro, und die verschleißfreudige vordere Bremsscheibe inklusive Beläge kommt auf 550 Euro. Immerhin gibt es keine gravierenden Engpässe.

Empfehlung

Immer darauf achten, dass die Verschleißteile und die Zahnriemen erneuert wurden. Und unbedingt die Funktion der Komforttechnik überprüfen. Wer die Wahl hat, sollte sich im Übrigen die 4,2-Liter-Variante gönnen – nur sie bietet den Dampf, den ein V8 verspricht. Auch wenn er etwas rauer läuft als der 3,6-Liter und rund einen Liter mehr verbraucht. Haltbarer ist im Zweifel die Automatikversion, mehr Spaß machen aber Exemplare mit Schaltgetriebe.
V8-Fans sollten den Autobildblog "Sandmanns Audi V8" besuchen: Der Autor berichtet dort von seinen alltäglichen Erlebnissen mit seinem V8, der weit über 400.000 km gelaufen hat. Zahlreiche Informationen und Tipps rund um den V8 auf audiV8.com.

Von

Wolfgang König