Ein klassischer V8 ist so etwas wie der Tsunami des Motorenbaus. Man spürt ihn, bevor er wirklich da ist – sogar am großen Lenkrad eines 50-jährigen Chevrolet Bel Air. Wenn sich der Zündschlüssel in seinem Schloss dreht, drückt die unsichtbare Faust eines Riesen den Vorderwagen nach unten. Als Gegenmoment zur schweren Kurbelwelle. Der Gigant im Motorraum räkelt sich, zündet, hustet einmal tief aus den Endrohren und fällt in sein tiefes, gelassenes Grollen. Und diese Stimme Amerikas soll bald verstummen? Kein anderer als Mister Car Guy persönlich, Bob Lutz, stimmt den Abschied vom V8 an. "Die Achtzylinder haben keine Zukunft", sagte der anerkannte PS-Fanatiker im GM-Vorstand, als Cadillac bekannt gab, kein neues V8-Motorenwerk zu bauen. Auch Audi ersetzt den Achtender im S4 durch einen Sechszylinder mit Kompressor. Und bei Mercedes-Benz wird der V8-Diesel eingestellt. Bye-bye V8? Auf der Elbe tuckert ein alter Dampfschlepper vorbei, als sich am Ufer drei Achtzylinder aus drei Epochen zum wehmütigen Rückblick versammeln: der aktuelle BMW M3, ein Mercedes 450 SEL 6.9 von 1976 und der Chevrolet Bel Air, der vor 50 Jahren den Siegeszug des neuen Big Block einläutete.

Sportwagen, Trucks, Familienschüsseln: Der 348er hat allen Beine gemacht

3 V8 aus 3 Epochen
Chevrolet Bel Air: Panoramascheibe und Chrom, wie aus der Spritztüte verteilt.
Endlich, jubelten die Kunden, endlich 5,7 Liter Hubraum aus acht Zylindern, bezahlbare Kraft fürs Volk! Denn im Grunde war so ein Bel Air nichts anderes als ein amerikanischer Opel Rekord. Nun löste er auch unter der Haube ein, was Panoramascheiben, Heckflossen und Zwei-Farben-Lackierung schon außen versprachen. Der 348er, benannt nach seinem Hubraum von 348 Kubikzoll, ist der große Bruder des Small Block, der heute als meistgebauter Automotor aller Zeiten gilt. Sportwagen, Trucks, Pick-ups, Familienschüsseln: Er hat ihnen allen Beine gemacht. Aber was heißt hier Big Block? Fast kümmerlich hockt der V8 in einem Motorraum, der so groß ist, dass er jedem Smart als Garage dienen könnte. Auf seinem rot lackierten Motorblock ist die Zündfolge massiv eingegossen: 8-4-3- ... Die Zahlenreihe birgt das Geheimnis des Brabbel-Akzents: Weil die Zylinder nicht bankweise abwechselnd zünden, sondern unregelmäßig, klingt der Achter im Leerlauf wie das frühmorgendliche Whiskey-Gurgeln von Dean Martin. Die Zweistufen-Automatik hakt und ruckelt, beim Tritt aufs Gaspedal versickern gefühlte 50 PS wirkungslos in den Tiefen des Wandlers.

Der Mercedes wirkte wie ein Blaulicht: Bahn frei!

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9
Mercedes 450 SEL 6.9: Das Über-Auto der 70er wurde 7380-mal gebaut, die meisten für die USA.
Niemand, nobody, käme auf die Idee, die versprochenen 212 PS zu wecken, außer vielleicht ein paar Halbstarke aus "American Graffiti". Das softe Fahrgefühl im Bel Air gleicht ohnehin dem Ritt auf einem Wackelpudding, sein Fahrer lernt auf der durchgehenden Bank die wichtigste Lektion: Dieser V8 will nicht jagen (das gelingt ihm nur unter Einsatz von Methanol im Dragster), sondern beruhigen. Auch gut. Von Ruhe ist in den 70ern nichts mehr zu spüren. Wegen der ersten Ölkrise hat sich Mercedes seine Über-S-Klasse bis 1975 verkniffen. Dann kommt er über deutsche Autobahnen, der 6.9 mit dem aufgebohrten V8 aus dem 600er, der wie ein vielköpfiges Monster den Motorraum füllt. Tief unten turnen vier Keilriemen, der Zündverteiler hat das Format eines Maßkrugs. Wehe dem Mechaniker, der mal kurz an die serienmäßige Hydropneumatik ranmusste ...
Damals hatte der Mercedes eine Wirkung wie das aufgesetzte Blaulicht einer Politiker-Eskorte: Seinen 286 PS machten sie links alle Platz. Alle, auch die Porsche-Treter, die dann zuerst den Heckdeckel checkten. Größtes Vergnügen vieler Mercedes-Käufer war der Ausstattungs-Code 261. Mit ihm entfiel die Modellbezeichnung wie bei unserem 6.9er von Mercedes Leseberg. Seine Sitze tragen Veloursbezüge, kein Leder. Die Außenspiegel werden per Hand verstellt. Die Türen sagen "Klonk" – ein Mercedes aus der Tresor-Ära. Sein V8 galt als Krone der Laufruhe, weil 90 Grad Zylinderwinkel die Massenkräfte erster und zweiter Ordnung perfekt ausgleichen. Die Außenwelt verschwimmt zum entfernten Rauschen, das auf der linken Spur höchstens zum Brausen anschwillt – aber die leuchtenden Augen von Zeitgenossen, die vom "Sechs-Neun" schwärmen, sind heute kaum zu verstehen. 7,4 Sekunden bis Tempo 100, gemessene 234 km/h Spitze – längst ist ein Golf GTI flotter. Erst der Ölpreis, der 1979 wieder explodierte, holte den 6.9 ein: zu teuer, zu durstig (20 Liter im Schnitt), das Abgas zu schmutzig. Stattdessen schob Mercedes den 300 SD auf den Exportmarkt, die erste Spar-S-Klasse mit Dieselmotor. Wie sich die Zeiten gleichen ...

Erst bei warmem Motor schaltet der Drehzahlmesser im M3 das hohe C frei

BMW M3
BMW M3: Der Neue ist mit feurigen 420 PS für den Alltag schon fast zu stark.
Die V8-Faszination lebt weiter: im modernen Sportmotor des BMW M3. Sein Ventiltrieb funktioniert wie eine Modelagentur, so leicht und mager wirken allein die Ventilschäfte. Über 8200 Touren klettert die Nadel im M3, mit einer Gleichmäßigkeit, wie sie kein Turbo hinbekommt. Absolut linear gibt diese Orgel ihre maximal 420 PS ab, ohne Löcher, aber mit doppeltem Boden: Erst bei warmem Motor schaltet der Drehzahlmesser das hohe C frei, und für den braven Alltag darf der Fahrer den mächtigen Schub zügeln – mit der Power-Taste neben dem Schalthebel. Als zeitgemäße Schaltung im BMW gilt heute die Doppelkupplung – kein Getriebe arbeitet so schnell und sparsam. Benzin sparen hat den V8 immer zugesetzt, das Reservat der letzten Achtzylinder rückt enger zusammen. Aber mit Aufladung und Spartricks haben sie womöglich doch eine Zukunft – als Ersatz für noch durstigere Zwölfzylinder

Von

Joachim Staat