Ford 20M P5 Turnier
—Große Klappe und sechs Zylinder
Er war ein Meister des Alltags, er war Amerika im Europa-Format. Ein Ford Taunus P5 war sogar Volksheld: Der Luxus-Kombi 20M Turnier trug den Sechszylinder in die Mitte der Gesellschaft.
Einige traf es früher, andere später. Am Ende, das für die wenigen besonders gehätschelten Exemplare des Ford P5 auf die Mitte der 80er-Jahre fiel, rächte sich wie immer der Erfolg. Dem Kombimodell Turnier, der größten aller "Großen Wannen", wurden die eigenen Qualitäten zum Verhängnis: eine zähe Mechanik, ewig laufende Motoren und viel zu viel Platz, als dass die letzten Besitzer ihn nur wegen seines guten Aussehens gekauft hätten. Der P5 Turnier musste wie jeder Ford-Kombi einladen und wegschleppen. Bis das Blech zu Staub zerfiel, bis es nicht mehr ging. Dann wurde er entsorgt, und mit ihm das Erinnern daran, dass er 1964 als erster Vertreter der automobilen Mittelschicht V6-Gefühl zu bürgerlichen Preisen bot. Dass er ein Held der Arbeit mit bourgeoisem Auftritt war. Und Deutschlands erster Luxus-Kombi – jawohl! Was Ludwig Erhard propagierte, setzte Ford 1964 in die Tat um: Wohlstand für alle. Und das bitte gut sichtbar.
Der erfolgreichen "Linie der Vernunft" des stilbildenden Vorgängers P3 verliehen die Formgestalter repräsentative Größe und mehr Glamour. Die Zierleisten auf der Flanke durfte nur der Sechszylinder tragen, der 17M mit V4-"Marathon"-Motor kam leichter bekleidet, ohne dabei nackt zu wirken. Natürlich ging es um Prestige. Ein Ford mit "Tornado"-V6 auf dem Parkplatz der Neue-Heimat-Siedlung garantierte dem Besitzer Ansehen und den milden Neid der Nachbarn. Auf den Ford 20M als Aufsteiger-Traum mit zwei Liter Hubraum und 85 PS konnten sich alle einigen: altgediente Käfer-Fahrer, Käufer von Kadett, Lloyd Arabella, BMW 700 und Renault Dauphine. Sogar Mercedes-Ponton-Piloten dürften bisweilen rübergeschielt haben, zu verlockend war das Angebot aus drei Karosserietypen, vier Motoren, drei Getrieben und zehn Farben. Einen gut belüfteten Innenraum mit "Vollkreis-Ventilation" sowie ein "Breitspurfahrwerk" besaßen sie alle.
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Sanfter Lauf, weiches Fahrwerk
Dass der Zweiliter-Sechser nicht wesentlich besser ging als der große V4 mit 1,7 Liter Hubraum, sprachen natürlich nur die Tester aus. Unisono wurden mangelnde Elastizität, schlechte Übergänge beim Gasgeben und ein hoher Verbrauch bemängelt. Eigentlich überzeugte nur die Laufruhe, denn der V6 erwies sich weder als besonders drehfreudig noch drehmomentstark. Aber er hatte sechs und nicht nur vier Zylinder – das stach. Und die Vergaser-Problematik bekamen Ford und Solex auch in den Griff, den V6-Maschinen war eine über 20 Jahre währende Karriere beschieden, die bis zum Sierra reichen sollte. Wie goldrichtig sie bei Ford damit lagen, zeigt ein Blick auf die Verkaufszahlen: von den 710.059 gebauten P5 waren immerhin 170.650 Taunus 20M und davon 22.418 Turnier. Fast alle sind verschwunden, sie wurden Opfer ihres eigenen Erfolgs und der späteren Emigration nach Südosteuropa. Wer heute einen Taunus 20M Turnier P5 zu sehen bekommt, hat großes Glück. Schon die Homepage eines Ford-Fans und Turnier-Besitzers sagt es: www.wannenglueck.de.
Historie
"Zwei neue Modelle aus einem Guss" – im September 1964 stellte Ford nach zweijähriger Entwicklungszeit die Baureihe P5 vor, Nachfolger der „Linie der Vernunft“ (P3), ausgerüstet mit neu konstruierten V4- und V6-Motoren. Der Vierzylinder war als 1,5-Liter mit 60 PS und 1,7-Liter mit 70 PS erhältlich, der Zweiliter-Sechszylinder leistete 85 beziehungsweise 90 PS. Den P5 gab es als zwei- und viertürige Limousine sowie als drei-und fünftürigen Kombi, bei Ford "Turnier" genannt. Als erster deutscher Hersteller bot Ford mit dem P5 Turnier einen Kombi mit V6-Motor an. Topmodell war das zweitürige Hardtop-Coupé 20M TS. Der Karosseriebauer Deutsch aus Köln baute Cabriolets auf P5-Basis. Zur Auswahl standen Drei- und Vierganggetriebe (Aufpreis: 95 Mark), vorerst am Lenkrad geschaltet. 1966 kamen auf Wunsch eine "Sportschaltung" auf dem Mitteltunnel und ein Dreistufenautomat mit dem Namen "Taunomatic" hinzu. Zwischen November 1964 und Juli 1967 wurden in Köln und im belgischen Genk laut Ford 710.059 Taunus P5 gebaut, davon rund 192.000 Sechszylinder-Typen.
Technische Daten
Ford Taunus 20M Turnier P5: V6, vorn längs • zentral liegende Nockenwelle über Stirnrad angetrieben, 2 Ventile pro Zylinder, Solex Fallstrom-Doppelvergaser 32 DDIST • Hubraum 1998 ccm • Leistung 62,5 kW (85 PS) bei 5000/min • max. Drehmoment 148 Nm bei 3000/min • Drei-/Viergangschaltgetriebe (auf Wunsch Dreistufenautomatik) • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an McPherson-Federbeinen, Starrachse an Blattfedern hinten • Reifen 6,40 S 13 • Radstand 2705 mm • L/B/H 4635/1715/1500 • Leergewicht 1150 kg • Zuladung 560 kg • 0–100 km/h in 16 s • Spitze 160 km/h • Verbrauch 11,5 l S • Neupreis 1964: 8750 Mark (fünftürig).
Plus/Minus
Mit diesem großen M ist Ford tatsächlich ein Meisterstück gelungen. Ein Ford P5 Turnier, sei es als bürgerlicher 17M oder exklusiver 20M, beeindruckt auch fast 50 Jahre nach seinem Debüt mit vielerlei Qualitäten. Er sieht wirklich hervorragend aus, überzeugt durch unbedingte Alltagstauglichkeit und ein immer noch üppiges Platzangebot. Mechanik und Motor sind langlebig und solide, und echten Exotenstatus bringt der Ford auch noch mit – wann hat man den letzten P5 mit Kombiheck gesehen? Eben! Leider, leider steht diese Wagengattung der Firma Ford auf der tiefroten Liste, nur die Maßanfertigungen des Karosseriebauers Deutsch auf P5-Basis dürften noch seltener sein als die Kombi-Modelle. Hinzu kommt, dass die Suche nach Ersatzteilen, vor allem für P5-Neueinsteiger, zur Lebensaufgabe werden kann. Großes Plus zum Schluss: Es lohnt sich. Aussehen und innere Werte stimmen beim P5 Turnier tatsächlich einmal überein.
Ersatzteile
Ein trauriges Kapitel: Blechteile, Stoßstangen, Zierleisten und Schriftzüge, vor allem aber Armaturenbrettabdeckungen, Bezugsstoffe und Sitzgarnituren sind Mangelware. Selbst die Reifen machen Probleme, weil die zahlungskräftige Mercedes-Klientel die Preise treibt. Immerhin ist die Technik mit der anderer P5-Modelle identisch und austauschbar; auch passt ein V6 problemlos in ein V4-Modell.
Marktlage
Marktnotierungen (8600 Euro für einen 20M Turnier P5 im Zustand 2) sind Makulatur, denn lebensfähige Taunus mit Kombiheck und V6-Motor sind selten wie Hühnerzähne. Selbst V4-Versionen sind außerordentlich rar, was daran liegt, dass gut 99,5 Prozent der Turnier-Produktion bei Endverbrauchern landeten. Wer sucht, muss also Geduld und Kompromissfähigkeit mitbringen. Auf andere Baureihen auszuweichen, hilft allerdings auch nicht: P3 und P7a/b Turnier sind ebenfalls verschwunden. Kontakte zur Szene sind aufgrund dieser Marktlage eigentlich unerlässlich.
Empfehlung
Es lohnt der Blick ins Ausland, im warmen Südfrankreich tauchen beispielsweise immer wieder Überlebende einer von Rost heimgesuchten Automobil-Generation auf. Flexibilität ist bei der Suche empfehlenswert: Muss ein V6 sein, tut es nicht auch ein Vierzylinder? Drei Türen oder lieber fünf? Hauptsache, die Basis stimmt. Blech kann man schweißen, Motoren revidieren, aber Ersatz für Zierrat und Innenausstattung ist kaum erhältlich. So wird die komplette Rostlaube schnell zum besseren Kauf.
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