"Hey, es ist wie früher!" Wir stiegen ein in diesen neuen Alfa und wussten: Alles wird gut, Alfa Romeo hat die Spur wiedergefunden. Vorbei das Kopfschütteln über halbherzige Technik und laues Design, endlich kein Achselzucken mehr wie beim Alfa 145 oder beim 155: Na ja, Alfa halt, hat den Charakter verloren, schade, aber wahrscheinlich müssen wir Fiat dankbar sein, sonst wär’ alles vorbei ... Nein! Ein Ruck ging Mitte der 90er durch die Marke, aufgestanden ist sie, hat sich den Staub der Mittelmäßigkeit vom Kittel geklopft und die Welt überrascht mit einem wundervollen Auto, vor dem wir standen, wir ganz normalen Autoverrückten, uns gegenseitig abklatschten und sagten: "Hey, es ist wie früher! Alfa ist ja doch nicht tot!" Es hatte ja auch lang genug gedauert, bis Übermutter Fiat kapierte, was für ein Kleinod sie da eigentlich hatte. Nein, eben kein Problemkind mit Qualitätsdefizit und wackliger Infrastruktur, sondern eine der tollsten Marken überhaupt!
Alfa Romeo 156
Rot ist verpflichtend als Alfa-Farbe, aber Markenkenner waren 1997 entzückt, dass es den 156 auch in Hellblau gab – so wie einst die Giulia Super.
Bild: I. Barenschee
Seit dem Frühjahr 1987 war Alfa Romeo Teil des Konzerns, nach einer langen Talfahrt, die zu Beginn der 70er mit den Qualitätsproblemen von Alfasud und Alfetta begonnen hatte. Aber unter all dem Frust, den man als Alfista auszuhalten hatte, behielt der Markenname seinen Klang. Alfa hat immerhin die doppelten, oben liegenden Nockenwellen (DOHC) in die Welt getragen und für Normalverdiener erschwinglich gemacht. Das fröhliche Raunzen einer Giulia war so ansteckend wie die Musik der Stones, damals, in den 60ern. Mit Verzögerung verstanden auch andere Hersteller, dass Papa gern flott fährt und trotzdem die Familie mitnehmen will, und so brachte BMW den 02, Fiat den 125, Opel den Commodore. Andere wiederum tricksten mit Rallyestreifen, aber die Idee war dieselbe. Zu diesem Zeitpunkt war Alfa Romeo schon so weit voraus, dass der Abstand uneinholbar schien. Aber dann kamen der Sud, die Ölkrise, das Russenblech, die herausgerosteten Frontscheiben und der alles fressende Riese namens Fiat. Und nun die Rückkehr aus dem Reich des Zwielichts. Auf der 1997er IAA rutschte das Tuch vom 156, und dem Publikum klappte die Kinnlade runter. Ist der schön! Im klassischen Sinne, allein vorn das Alfa-Herz – nicht irgendwie reingemurkst zwischen Markenprofil und Aerodynamik, nein, eingebunden in ein ausdrucksvolles Gesicht, dahinter die Proportionen fast wie früher mit kraftvollem Korpus (gut, die Überhänge haben sich ein bisschen nach vorn verschoben, das verlangt der Frontantrieb) und einem sehnigen Heck, das man beim Hinterherfahren gern betrachtet. Ah, Alfa!
Viel Feuer für wenig Asche: Alfa Romeo 75
Alfa Romeo 156
Wahren Alfa-Liebhabern gefällt der Ur-156 am besten; nicht nur weil er als Alfas Retter in die Chroniken fuhr.
Bild: I. Barenschee
Und die Überraschungen ließen nicht nach, manche bis heute nicht. Es soll immer noch Leute geben, die zum Platznehmen auf der Rücksitzbank nach dem Umlegehebel der Vordersitzlehne tasten. Den Trick mit dem weggeflunkerten Türgriff macht seit dem 156 die gesamte Autoindustrie nach, aber damals wirkte das Detail noch irgendwie intellektuell und dramatisch, also sehr, sehr italienisch. Auch neu, aber erfrischend retro: der Innenraum. Zwei runde Instrumente unter düsenhaften Hutzen, genau so ist Dustin Hoffman damals mit dem Spider zu seiner Elaine geröhrt. Die Motoren haben ja zum Glück ihren Sound nie ganz verloren. Falls kein Diesel unter der Haube sitzt, versteht sich. Manch einer war fassungslos, vergaß dabei aber, dass der Selbstzünder bei Alfa schon seit 1976 zu finden ist. Wirklich wahr, man konnte eine Giulia Nuova mit 52 zornig nagelnden Vorkammer-PS bekommen, was aber höchstens ein paar römische Taxifahrer toll fanden. Inzwischen, mitten in der TDI-Ära, sah die Sache natürlich anders aus, es gibt sogar einen Fünfzylinder-Vierventil-Diesel mit 140 PS, der es – im übertragenen Sinne – ordentlich rauchen lassen kann. Die Vierzylinder sind aber auch nicht zu verachten. Nur der 1,6-Liter mit 120 PS gilt Alfa-Fans als ein bisschen zu kurzatmig.

Geld und Liebe: Alfa Romeo Montreal

Alfa Romeo 156
Der Sport der frühen Jahre ist zurück! Allein die zwei Cassataschalen über den Hauptinstrumenten haben Lobgesänge verdient.
Bild: I. Barenschee
Weil der 156 möglichst viele neue Kunden anziehen sollte, gab es eine Vierstufenautomatik und seit 2000 einen Kombi namens Sportwagon. Zwei Jahre später kam ein Facelift, über dessen Meriten sich Alfa-Ästheten noch immer streiten können, und 2006 schließlich ein dicklicher Nachfolger namens 159. Wahren Alfa-Liebhabern gefällt der Ur-156 am besten; nicht nur weil er als Alfas Retter in die Chroniken fuhr. Der 156 ist gut verarbeitet, Fiat implementierte aktuelle Fertigungsmethoden im alten Alfasud-Werk Pomigliano, was übersetzt hieß: Es war nicht mehr so spürbar wie früher, wenn Gianni und Paolo mal einen schlechten Montag hatten. Heute staunen wir, wie mehrheitsfähig so ein 156 noch immer ist. Auch wenn die Tachonadel bei 100 hinterm Lenkradkranz verschwindet und erst bei 200 wieder auftaucht, weil ein bisschen Irrsinn doch dazugehört. Vor allem wissen wir längst, wie tiefgreifend der 156 das Autodesign beeinflusst hat. Alfa-Grantler meinen zwar, dass Walter de’Silva nach dem 156 nicht mehr viel einfiel – doch seinen Platz in der ewigen Ruhmeshalle des guten Geschmacks habe er sich mit diesem Auto ja doch verdient.

Technische Daten

Alfa Romeo 156
Eine Pracht in Optik, Sound und Leistung, dieser V6. Okay, durstig ist er auch. Ein Sechsganggetriebe gibt es serienmäßig.
Bild: I. Barenschee
Alfa Romeo 156 Motor: Sechszylinder-V-Motor (intern: AR32405), zwei oben liegende Nockenwellen pro Zylinderbank, vier Ventile pro Zylinder, Doppelzündung, • Bosch-Motronic • Bohrung x Hub 88 x 68,3 mm • Hubraum 2492 ccm • Verdichtung 10,3:1 • 140 kW (190 PS) bei 6300/min • max. Drehmoment 222 Nm bei 5000/min • Antrieb/ Fahrwerk: Einscheiben-Trockenkupplung • Sechsganggetriebe • Vorderradantrieb • selbsttragende Karosserie • Einzelradaufhängung, vorn Doppelquerlenker, Federbeine und Stabilisator, hinten Mehrlenkerachse, Federbeine, Stabilisator • Scheibenbremsen • Reifen 205/ 55 R 16 H • Maße: Radstand 2595 mm • Länge/Breite/Höhe 4430/1745/1415 mm • Leergewicht 1340 kg • Fahrleistungen/ Verbrauch: Spitze 230 km/h, 0–100 km: 7,3 s • Verbrauch 13 l/100 km • Neupreis: 55.000 Mark (1998).

Historie

Alfa Romeo ist der Vorkämpfer des neuzeitlichen Hochleistungsmotors mit zwei oben liegenden Nockenwellen und halbkugelförmigem Brennraum: Serienbau seit 1928! Damit waren die Mailänder allein auf weiter Flur, bis Jaguar 20 Jahre später nachzog. Alfa machte 1954 mit der Giulietta auch Giovanni Normalverdiener die wunderbare Welt der DOHC-Motoren zugänglich. Welch ein automobilhistorischer Meilenstein die Giulietta Berlina war, wissen wir erst heute: die Geburt des sportlichen Familienautos. Für Alfa wurden fixe Viertürer zum wichtigsten Standbein, mit dem Erscheinen der Giulia 1962 verstand das auch Deutschland. Den Weg zum 156 wiesen der Alfasud (wegen Frontantrieb) und der direkte Vorgänger 155; beide haben heute ein böses Image-Problem. Der 155 gilt als verkleideter Fiat Tipo, er gab die hinteren Partien seiner Plattform an den 156 weiter, nicht jedoch das ungelenke Design. Der Ruf des 156 profitierte später auch vom Erscheinen des hübschen, aber wenig variablen Sportwagon (2000) und der 250-PS-Sportversion GTA (2002). Die Produktion des 156 in Italien endete 2005 nach 680.000 Exemplaren.

Plus/Minus

Alfa Romeo 156
Das alte Katastrophen-Klischee hat beim Alfa Romeo 156 sein Recht verloren: endlich voller Fahrspaß ohne großes Drama.
"Schön sind sie ja, diese Alfa (seufz), aber die Zuverlässigkeit!" Halt! Das alte Katastrophen-Klischee hat beim 156 sein Recht verloren: endlich voller Fahrspaß ohne großes Drama. Selbst auf halbem Weg zur H-Zulassung erfüllen die meisten Exemplare auch deutsche Vorstellungen von Qualität. Kleinigkeiten gibt’s zu beachten: Rost um die Wagenheberaufnahmen, ab und an zickende Elektrik und schwächelnde Getriebe-Synchronisierung. Ansonsten lässt einem der 156 jeden Tag das Herz höherschlagen: mit diesem wundervollen Anblick, mit seinem DOHC-Sound, mit dem straffen Fahrwerk. Vorsicht allerdings vor totgerittenen Exemplaren. Unsensible Bleifuß-Bolzer treten besonders dem V6 härter ins Cuore Sportivo, als es dem auf Dauer bekommt.

Ersatzteile

Noch ist der Alfa 156 ein straßenübliches Auto und wird daher bei den Vertragswerkstätten fachgerecht gewartet. Allerdings sollten Liebhaber des Erfolgsmodells in den kommenden Jahren damit rechnen, dass Fiat die ersten Original-Ersatzteile aus den Beständen kämmt. Der Aftermarket- Bereich wird also wichtiger werden. Weil komplette, fahrbereite Autos schon ab 500 Euro zu haben sind, kaufen viele Alfa-Enthusiasten für größere Reparaturen statt einzelner Komponenten gleich einen 156 zum Ausschlachten. Als Vehikel der Vollelektronik-Ära überfordert der 156 jedoch irgendwann die meisten Selbstschrauber, allerdings gibt es genügend freie Alfa-Spezialisten.

Marktlage

Nicht einfach, mehr als 5000 Euro für eine gute 156-Limousine auszugeben. Solide 1.6er oder 1.8er gibt es zum Spottpreis – theoretisch. Denn wenig fahrende Rentner gehören zumindest hierzulande nicht zur typischen Alfa-Kundschaft. Der Anteil verheizter und vernachlässigter Exemplare ist daher überdurchschnittlich hoch.

Empfehlung

Vor allem: kaufen. Sehr viel billiger können die 156er nicht werden, erhaltungswürdiger schon. Der Zweiliter-Twin-Spark hat reichlich PS ohne den hohen Verbrauch des V6. Wer gut mit JTD-Dieselmotor oder gar mit der Automatik namens Q-System leben kann, bekommt Nachlässe. Heißer Tipp für Formel-1-Fans und Freizeit-DTM Piloten: das sequenzielle Selespeed-Getriebe.

Von

Till Schauen