In Jürgen von der Lippes Fernsehshow mussten sich die Kandidaten zwischen Geld oder Liebe entscheiden. Beim Alfa Romeo Montreal ist es anders: Sein Besitzer muss ihm beides schenken.
Doch, ja. Man sollte dieses Auto nur rückwärts in die Garage fahren und eine clevere kleine Schaltung installieren: Öffnet sich das Tor später zu einer Ausfahrt, schaut der Montreal durch seine halb geschlossenen Lider so lasziv wie Brigitte Bardot oder Jeanne Moreau in einem jener 60er-Jahre-Filme, die unsere Eltern erröten und uns schlaflos werden ließen. Man fragt sich staunend, wieso weder Alfa Romeo noch eine andere Firma diese effektvolle Spielerei wiederbelebt hat – und denkt mit Bedauern daran, was aus dieser Marke geworden ist. Haben die wirklich mal solche Autos gebaut? Antwort: Sie haben. Lang ist es her. 1967, als der Montreal als Studie auf der Weltausstellung in Kanada für Aufsehen sorgte, stand Alfa Romeo in vollem Saft, baute begeisternde Straßenautos mit Motortechnik wie von einem anderen Stern und Rennwagen, die aus dem Stand Le Mans gewinnen konnten. Autos wie die Giulia oder wie den Tipo 33/2, der mit seinem 270 PS starken Zweiliter-V8 sogar deutlich stärkeren Konkurrenten davonfuhr.
Den Montreal von hinten zu sehen, ist fast so ergreifend, wie ihm von hinten zu lauschen.
Dieser Motor, schon für die Straßenversion 33 Stradale auf 2,6 Liter Hubraum vergrößert und für den Montreal dann von 230 auf 200 PS gezähmt, macht ein Großteil der Montreal-Faszination aus. Wenn die Türen mit unerwarteter Schwere ins Schloss gefallen sind und der kleine Zündschlüssel die zwei Benzinpumpen zu hell summendem Leben erweckt hat, dauert es nur noch wenige Sekunden, bis die Kontrollleuchte genügend Benzindruck signalisiert. Nun Feuer frei – und rauschend und fauchend, nicht Ami-V8-stakkatomäßig, sondern eigentümlich weich singend, springt der Kurzhuber an und versetzt uns zurück in die Zeit, als Koteletten noch buschig waren und Hosenschläge Namen hatten: "Hit" zum Beispiel oder "Shake". Und wer sich immer fragte, was weise Alte mit "Froschhaltung" meinen, ist nun klüger: Das Lenkrad mit dem schönen Holzkranz steht zu flach, um es wirklich bequem im oberen Drittel umfassen zu können. Dafür sind die Beine stark angewinkelt. Doch das wird zur Nebensache, wenn der Montreal einmal in Bewegung ist.
Im Stammbaum des kleinen V8 findet sich ein Le-Mans-Sieger
Die Sitzposition hinter dem tief geschüsselten Holzlenkrad ist nicht optimal, der kurze Schaltknüppel liegt dafür perfekt in der Hand.
Der V8 da vorn, den manche bei der Premiere in Montreal wegen der vermeintlichen Belüftungsschlitze in der B-Säule als Mittelmotor im Rücken des Fahrers wähnten, erweist sich als unkomplizierter Typ – trotz seiner Abstammung vom Rennmotor. Der 2,6-Liter zieht aus Leerlaufdrehzahl sauber hoch, legt bei 4500 Umdrehungen noch einmal eine Schippe nach und macht mit heißem Atem gierig weiter. Das Fünfganggetriebe von ZF mit dem ersten Gang hinten links lässt sich kurz und präzise schalten und unterstützt die Drehfreude durch seine kurze Übersetzung. Die führt bei Höchstgeschwindigkeit zu Drehzahlen nahe dem roten Bereich, was auf Dauer weder komfortabel noch ökonomisch ist. Unter 16 Litern pro 100 Kilometer geht selbst bei verhaltenem Tempo kaum was, bei engagierter Fahrweise dürfen es auch schon mal 20 sein. In diesem Punkt ist der Montreal ein typisches Kind jener frühen 70er-Jahre, als Sprit billig und die erste Ölkrise von 1973 noch nicht absehbar war.
Das Fahrwerk des 1310 Kilogramm schweren, aus mancher Perspektive leicht pummelig wirkenden Coupés bildet einen harten Kontrast zum filigranen V8, dem eine mechanische Spica-Einspritzung den Saft fürs Leben verabreicht. Denn es stammt in seinen Grundzügen von der Mittelklasse-Limousine Giulia ab. Die Hinterachse ist daher nicht nur starr, sondern auf unebenen Pisten auch halsstarrig bis zum Versetzen. Die Lenkung ist zudem nicht nur nach heutigen Maßstäben schwergängig und indirekt. Den größten Spaß macht dieser nur 4,2 Meter lange 2+2-Sitzer aus der Feder von Bertone-Chefdesigner Marcello Gandini (richtig, Vater auch des Lancia Stratos und der Lamborghini-Ikonen Miura und Countach) daher nicht bei der Hatz über Berg und Tal, sondern mit wiegendem, verblüffend gutem Federungskomfort bei entspannten Reisen auf den langen Geraden eines erfolgreichen Lebens.
Eine begehrenswerte Diva
Und im richtigen Beruf erfolgreich, und daher wohlhabend, musste damals wie heute sein, wer sich in dieses Coupé verliebt. Das zelebriert zwar mit Details wie Türgriffen oder Lenkradhebeln die in Vergessenheit geratene Kunst, Bauteile filigran und zugleich funktional und ästhetisch zu gestalten. Andererseits nährt es mit wirr angeordneten Instrumenten und seiner wenig wartungsfreundlichen Bauart das Bild vom großen Wurf mit wenig Überblick. Die Tücken des Objekts, sie lauern also an vielen Ecken und in vielen schlecht zugänglichen Winkeln. Schon damals gab es nur wenige Werkstätten, die sich einem kranken Montreal gewachsen fühlten. Heute sind es noch weniger Spezialisten, die etwa die mechanische Einspritzung einstellen können oder wissen, dass es ein Tanksieb zu reinigen und einen Ölfilter für die Einspritzung zu wechseln gilt. Der Montreal – eine Diva? Ja, denn der braucht sachkundige Pflege und ist teuer bei Wartung und Reparaturen. Gut also, wenn sich zu der sehr verständlichen Liebe zum Alfa auch ebenso viel Geld im Portemonnaie gesellt.
Historie
Der kleinvolumige Achtzylinder mit Rennmotor-Genen präsentiert sich als Naturschönheit.
Der Montreal lernt das Laufen langsamer als andere. 1967 zeigt Alfa Romeo ihn als Studie auf der Weltausstellung Expo in Montreal zum Thema Zukunfts-Automobile. Wegen der Schlitze in der B-Säule – und wohl auch wegen des im März 1967 vorgestellten Mittelmotor-Rennwagens Tipo 33/2 und dem von ihm abgeleiteten, zwischen 1967 und 1969 nur 18-mal gebauten Straßensportwagens 33 Stradale – dichten viele dem Montreal einen V8-Mittelmotor an. Doch unter der von Bertone-Designer Marcello Gandini gezeichneten Hülle steckt die Technik der seit 1962 gebauten Alfa Romeo Giulia mit Vierzylinder-Frontmotor. Wegen der positiven Resonanz beschließt Alfa Romeo die Serienfertigung und zeigt im Frühjahr 1970 auf dem Genfer Salon das Serienauto – nun mit dem gezähmten V8-Frontmotor des 33 Stradale. Bis 1977 werden 3925 Montreal gebaut, Modellpflegemaßnahmen gibt es so gut wie keine. Nach etwa 100 Exemplaren kommt der Frontspoiler in die Serie, die Einspritzung wird zweimal optimiert. Der nächste V8-Alfa für die Straße, der 8C Competizione, kommt erst 2007.
Technische Daten
Alfa Romeo Montreal: V8, vorn längs • vier oben liegende Nockenwellen, Kettenantrieb, zwei Ventile pro Zylinder • mechanische Einspritzung • Hubraum 2593 ccm • Leistung 147 kW (200 PS) bei 6500/ min • max. Drehmoment 235 Nm bei 4750/min • Fünfgangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung vorn an Querlenkern, Starrachse hinten mit Schubstreben und Reaktionsdreieck, vorn und hinten Schraubenfedern, Stoßdämpfer, Stabilisator • Reifen 195/70 VR 14 • Radstand 2350 mm • Länge/Breite/Höhe 4220/1672/1205 mm • Leergewicht 1310 kg • 0-100 km/h 7,4 s • Spitze 222 km/h • Verbrauch ab 16 Liter Super/100 km • Neupreis 1972: 35.000 Mark.
Plus/Minus
Gerade Endrohre hatte nur die Vorserie, später krümmten sie sich abwärts.
Der charismatische V8 und die elegante Form sprechen ebenso für den Montreal wie das Raumangebot und das souveräne Fahrgefühl. Die Karosserie ist aber nahezu überall anfällig für Rost. Das A und O der Prophylaxe ist die regelmäßige Kontrolle der Ablaufschläuche. Einmal eingestellt, arbeitet die Einspritzung problemlos, doch das erfordert Werkzeug, das nur noch wenige Experten haben. Thermische Überlastung kann zu Rissen in den Zylinderköpfen führen. Spezialisten optimieren deshalb Wasserpumpen und Kühlkreisläufe. Das filigrane Lenkgehäuse reißt gelegentlich. Originalteile sind rar, doch das Alfa Classic Center Dortmund und Partner arbeiten an einem gefrästen, stabileren Nachbau. Die gute Nachricht: Die Ersatzteilversorgung wird zusehends besser.
Marktlage
Der Montreal stand immer im Schatten der Ferrari, Maserati und Lamborghini. Entsprechend billig wurde er als Gebrauchtwagen gehandelt – und geriet dadurch häufig in die Hände finanzschwacher Fans. Die Wartung wurde dadurch oft vernachlässigt, erhaltende Arbeiten fielen bei vielen Exemplaren sparsam oder ganz aus. Mittlerweile sind diese Montreal nahezu verschwunden, da die Restauration solcher Exemplare wirtschaftlicher Unfug gewesen wäre. Gepflegte Autos bestimmen daher das sehr übersichtliche Angebot, wobei der Teufel durchaus im Detail stecken kann. Zustand-3-Montreal kosten heute etwa 20.000 Euro.
Empfehlung
Das beste, von Experten gewartete Auto am Markt ist allemal billiger als ein Montreal, an dem "nur noch Kleinigkeiten zu machen sind". Denn für die sind oft vierstellige Beträge fällig. Wenn möglich, das Objekt der Begierde vom Experten gründlich prüfen lassen!