Bestimmt wäre er dann nicht in dem damals schon leicht antiquierten Triumph TR3 mit Anita Ekberg zum nächtlichen Baden im Trevi-Brunnen gefahren, sondern hätte sie in einem kühlen, geometrischen Kantenhauber auf eine viel weitere Reise entführt. Die wilden 60er waren damals noch gar nicht so wild, die Haare der Beatles bestenfalls mittellang und Jim Morrison noch ein braver Student in Florida, als das neue Alfa-Coupé auf Basis der ein Jahr zuvor präsentierten Giulia-Limousine auf der IAA in Frankfurt stand. Der Alfa und der ebenfalls neue Porsche mit der Typenbezeichnung 901 zeigten an, in welche Richtung es nach den verschnörkelten, flossenbepackten, chrombehangenen 50ern gehen sollte: Nüchtern, straff, harmonisch und funktional waren die neuen Autos, und die Coupés von den Zeichenbrettern von Giorgio Giugiaro und F. A. "Butzi" Porsche die wohl zeitlosesten und schönsten Entwürfe dieser Epoche.
Alfa Romeo GT 1300 Junior
Unter der Haube mit der charakteristischen Nase steckt der bekannte Doppelnocker des Hauses, der 1953 in der Giulietta debütiert hatte.
Und ja, so ungerecht kann das Leben sein: Der 911 ist bei Porsche immer noch und immer wieder aufs Neue aktuell. Ein Alfa-Coupé von heute dagegen: Vorderradantrieb, Fiat-Plattform, Fiat-Motoren, Schwamm drüber. Das war 1965 noch lange nicht abzusehen. Alfa Romeo war auf der Höhe der Zeit, und das Henry Ford zugeschriebene Zitat, wonach er jedes Mal seinen Hut ziehe, wenn ein Alfa Romeo vorbeifährt, könnte durchaus in diesen Tagen entstanden sein, wenn der alte Ford noch gelebt hätte. Unter der Haube mit der charakteristischen Nase steckt der bekannte Doppelnocker des Hauses, der 1953 in der Giulietta debütiert hatte und zehn Jahre später immer noch zu den besten Vierzylindern der Welt zählte: Leichtmetallblock und -zylinderkopf, zwei oben liegende Nockenwellen, hemisphärische Brennräume und eine solide Duplexkette als Nockenwellenantrieb, dazu im Falle des Coupés zwei Doppelvergaser und 106 PS aus 1,6 Litern.

Die Mutter aller GTI: Alfa Romeo Giulia Super 1300 TI

Alfa Romeo GT 1300 Junior
Sitze und Innenausstattung fallen beim Junior spartanischer aus als beim Sprint GT.
Kingt heute nicht nach viel, doch die meisten Deutschen waren vor nicht allzu langer Zeit von der Seitenwagen-NSU oder aus dem Kabinenroller in den 30-PS-Standard-Käfer umgestiegen. Und nur zwei Jahre später kam aus Mailand die volkstümliche Variante des Sprint GT, wie das Alfa-Coupé noch hieß, bevor alle Welt es nur noch "den Bertone" nannte. Die Sparversion deutete bereits mit dem Namen 1300 Junior an, dass sie sich an jüngeres, weniger betuchtes Publikum wandte. 11.700 Mark, also etwa so viel wie zwei VW 1200, kostete der Junior und war damit rund 4000 Mark billiger als der große Bruder Sprint GT. Dabei musste der knausrige Junior-Käufer gar nicht mal auf viel verzichten. Ihm fehlten 300 Kubik Hubraum und 19 PS, ein wenig Ausstattung, etwas Chrom, das war’s auch schon. Schneller als die meisten braven deutschen Limousinen oder untermotorisierten Coupés vom Schlage eines Karmann-Ghia war man auch mit den 87 PS des 1300. Und cooler obendrein.
Heute lehrt der GT 1300 Junior Bescheidenheit: Er zeigt, dass weniger als 90 PS ausreichen, um schnell zu sein. Dass größer und stärker nicht immer auch besser ist. Klar doch, die Sitzposition auf dem kleinen Kunstledersessel ist mehr als bescheiden, der Sitz ist rutschig und bietet so viel Seitenhalt wie ein Küchenhocker. Der Verstellbereich des Fahrersitzes reicht bestenfalls für mittelgroße Italiener, und die Pedale stehen so eng beieinander, dass man ohne zu wollen Tacchetto spielt. So nennen Italiener jene Fahrtechnik, bei der beim Bremsen und Zurückschalten gleichzeitig mit der Hacke Zwischengas gegeben wird. Überhaupt, das Schalten: Das Getriebe der 105er-Alfa, so hieß die Giulia-Baureihe intern, hat eine heute nicht mehr gebräuchliche Sperrsynchronisation nach Porsche-Patent. Sie gibt dem feinsinnigen Alfa-Fahrer Lehrstunden in angewandtem Maschinenbau. Bei keinem anderen Getriebe lässt sich die Funktionsweise von Schaltverzahnung, Schaltmuffe, Sperrband und Synchronring so sinnlich aus dem Handgelenk erfahren.
Die Fahrleistungen des 1300 reißen natürlich fast fünfzig Jahre später keinen mehr vom Hocker – in rund 13 Sekunden schafft er den Spurt aus dem Stand auf Tempo 100, auf der Autobahn wandert die Tachonadel bis zur 180-km/h-Marke, wenn’s pressiert. Dabei dreht der kleine Vierzylinder über 6000 mal in der Minute. Das macht ihm nichts aus, sofern er vorher ordentlich warmgefahren wurde, die korrekten Gleitfunkenkerzen in den Brennräumen zünden und die Doppelvergaser nicht durch poröse Ansauggummis Falschluft ziehen. Derartige Drehzahlorgien untermalt der Doppelnocker mit seinem unverwechselbaren schnarrenden Auspuffkonzert, das lauter und voluminöser wird, wenn man den Endtopf (natürlich streng verboten!) durch ein Rohr ersetzt. Sie brauchen noch mehr Argumente, um sich für einen Kantenhauber zu entscheiden? Bitte: Kenner behaupten, das Blech sei früher besser gewesen, alte Alfas rosteten weniger als jüngere Exemplare derselben Baureihe. Als ob so etwas Anita Ekberg interessiert hätte.

Historie

Alfa Romeo GT 1300 Junior
So schlicht und schön kann ein Motor sein: Luftfilter, zwei Nockenwellen und ein Leichtmetallkopf mit zentral zwischen Ein- und Auslassventilen platzierten Zündkerzen.
Das Alfa-Romeo-Coupé, das ursprünglich Sprint GT hieß, wurde auf der IAA 1963 einer bewundernden Öffentlichkeit vorgestellt. Die feine, elegante Linienführung aus der Feder von Bertone-Hausdesigner Giorgio Giugiaro, der kraftvolle und immer noch moderne Doppelnocker, das Fünfganggetriebe, die Scheibenbremsen, die aufwendige Radaufhängung, und das alles für nur 15.900 Mark – kein zu hoher Preis für das Sportcoupé mit der charakteristischen Kante in der Haube. Schon 1965 erhielt der 1600er einen spärlicher motorisierten und einfacher ausgestatteten, dafür aber noch billigeren Bruder, den GT 1300 Junior. Beide Versionen verkauften sich glänzend, die Sprint- GT-Familie wuchs von Modelljahr zu Modelljahr: Es gab das (erfolglose) Cabrio GTC sowie die Rennsport-Modelle GTA 1600 und GTA 1300 Junior. Ab 1967 entfiel beim 1750 GTV die Kante in der Haube, 1970 erhielt auch der Junior den geglätteten Vorbau. Bis 1977 blieb das erfolgreichste Alfa-Coupé der Markengeschichte im Programm, mehr als 200.000 Exemplare liefen insgesamt in Arese vom Band.

Technische Daten

Alfa Romeo GT 1300 Junior: Alfa Romeo GT 1300 Junior Reihenvierzylinder, vorn längs • zwei oben liegende Nockenwellen, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, zwei Doppelvergaser • Hubraum 1290 ccm • Leistung 64 kW (87 PS) bei 6000/min • max. Drehmoment 115 Nm bei 3200/min • Fünfgangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung vorn an Querlenkern, Federbeinen, hinten Starrachse an Längslenkern und Reaktionsdreieck • vier Scheibenbremsen • Reifen 185/70 R 14, Räder 4,5 x 14“ • Radstand 2350 mm • L/B/H 4080/1580/1315 mm • Leergewicht 930 kg • 0–100 km/h 12,5 s • Spitze 176 km/h • Neupreis (1966) 11.700 Mark.

Plus/Minus

Das Junior-Cockpit: Sportlich und doch gediegen. Very British, der Italiener
Das Junior-Cockpit: Sportlich und doch gediegen. Very British, der Italiener
Die Coupés der Alfa-105-Baureihe sind seit mindestens 30 Jahren anerkannte Klassiker, mit allen Vor- und Nachteilen, die dieser Status mit sich bringt. So wurden viele Kantenhauber mit größeren Motoren, Tieferlegung und Alu-Rädern neuerer Alfa-Modelle verschönert. Zudem hat kaum ein Exemplar nicht bereits eine oder gar mehrere Restaurierungen hinter sich. Marodes Blech sowie unsachkundige Schweißvirtuosen sind die schlimmsten Feinde des Bertone. Magnet oder Lackschicht-Messgerät sollten bei der Besichtigung dabei sein. Die Technik dagegen ist robust und langlebig, entsprechende Wartung und pflegliche Behandlung vorausgesetzt. Ein gesunder Öldruck auf der serienmäßigen Anzeige bei Betriebstemperatur, kein Bläuen aus dem Auspuff beim Gaswegnehmen und ein sahnig schaltendes Getriebe etwa dürfen optimistisch stimmen, dass hier nicht allzu viel im Argen liegt.

Ersatzteile

Bei Technik- und Verschleißteilen der frühen Bertone-Coupés gibt es kaum Engpässe, schließlich bedienen sich Giulia und Spider Duetto der identischen Basis. Bis auf ein paar Ausnahmen ist alles lieferbar, entweder als Original, als Gebrauchtteil oder als Nachfertigung. Nicht mehr zu bekommen sind etwa Dichtsätze für bestimmte Hauptbremszylinder, doch selbst in diesen Fällen gibt es Umrüstlösungen, die dem Alfista weiterhelfen.

Marktlage

Das Angebot ist groß, ebenso die Preisspanne. Die reicht von 5000 Euro für gerade noch rollfähige Teilespender bis weit über 20.000 Euro für sehr originale oder exzellent restaurierte Exemplare. Die Junior-Ausführungen mit der einfacheren Ausstattung und den kleineren Motoren werden etwas günstiger gehandelt als die 1600er-Veloce und -Sprint. Eine Sonderstellung nehmen die ultraseltenen GTA 1600 und GTA 1300 Junior ein, da werden sechsstellige Summen aufgerufen.

Empfehlung

Für Alfa der 60er-Jahre gilt, wie für viele andere Klassiker, die einfache Regel: Der Karosseriezustand entscheidet. Motor, Getriebe, Fahrwerk und Bremsen sind vergleichsweise einfach und preiswert zu überholen. Umfangreiche Karosseriearbeiten dagegen können sehr schnell den Zeitwert um ein Vielfaches überschreiten. Deshalb immer den Alfa mit der bestmöglichen Karosserie kaufen, der fürs Geld zu haben ist. Kleiner Tipp am Rande: Wenn es nicht unbedingt eine Kantenhaube sein muss, ist ein GT Junior aus den 70ern die billigere und kaum weniger verlockende Alternative.

Von

Heinrich Lingner