Oldtimer fahren kann so einfach sein. Mit dem DAF 55 und seiner genialen Variomatic kommt wirklich jeder zurecht. Und der Preis stimmt auch. Trotz exklusiver Technik ist das Coupé durchaus erschwinglich.
Bild: M. Heimbach
Erinnern Sie sich noch an diesen Holländer mit dem laufenden Band, der sich immer so komisch anhörte? Nein, wir meinen nicht Rudi Carrell, sondern den DAF. Jeder dieser putzigen Kleinwagen aus dem Land der Windmühlen bietet eine technische Besonderheit: das geniale stufenlose Getriebe namens Variomatic. Sie gehörte einst zu den Autos der Van Doorne’s Automobiel Fabriek wie die Tulpen zu Amsterdam. Die Variomatic sorgt zwar am laufenden Band für hohe Drehzahlen und eine ungewohnte Geräuschkulisse.
Von der Seite gesehen präsentiert der kleine DAF seine etwas skurrile Silhouette.
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Aber dafür macht sie das Autofahren etwa so einfach wie Autoscooter auf der Kirmes. Der Fahrer braucht sich nicht mit einem hakeligen Getriebe zu plagen, er muss sich lediglich zwischen zwei Richtungen und zwei Pedalen entscheiden: nach vorn oder zurück, Gas oder Bremse. Alles andere übernimmt die vollautomatische Variomatic. Die Hände können also am Lenkrad bleiben. Was bei flotter Kurvenfahrt auch dringend zu empfehlen ist. Zeitgenössische Tests bescheinigen dem DAF 55 Coupé ein problematisches Fahrverhalten. Im Grenzbereich spielt der kleine DAF trotz ausgewogener Gewichtsverteilung gerne den abfliegenden Holländer. Die Pendelachse ist schnell überfordert, die Fahrer sind es häufig auch. Okay, die meisten DAF 55 dürften nur einmal im Grenzbereich unterwegs gewesen sein, und zwar beim Export aus den Niederlanden. Mit flotter Fahrweise hatte die typische DAF-Kundschaft nichts am Hut.
Dieses mimosa-pastellgelbe Exemplar von 1971 hat leider nicht mehr die rahmenlosen Türen der ersten Serie. Aber was soll's.
Bild: M. Heimbach
Die meist älteren und nicht selten körperbehinderten Fahrer schätzten den Vorteil der einfachen Bedienbarkeit. Vor allem Hausfrauen stiegen um vom Rad aufs Einkaufswägelchen, das sooo herrlich einfach zu bedienen war. Und zuverlässig funktionierte, sofern das Handtäschchen nicht dauerhaft an den gezogenen Choke gehängt wurde. (Tatsächlich gab es eine entsprechende Warnung in Bedienungsanleitungen früher DAF-Modelle.) Das mimosa-pastellgelbe Exemplar auf dieser Seite gehört Wolfgang Bock aus Hamburg. Es rollte 1971 in Eindhoven vom Band, also ohne die rahmenlosen Türen der ersten Serie. Noch heute überraschen der luftige Innenraum des Coupés und das große Gepäckabteil. Die Front mit der um die Scheinwerfer geformten Motorhaube ist typisches Michelotti-Design, ansonsten sortiert sich der kleine Holländer irgendwo ein zwischen erfrischend anders und skurril. Der Blinkerhebel sitzt rechts vom Lenkrad und ist zugleich fürs Hupen zuständig. Ungewohnt auch die Lage des Lichtschalters. Er steckt äußerst rechts vom Heizungsregler, ist also nur mit gestrecktem Arm zu bedienen.
Das schlichte, aber eigenständige Design der von Michelotti entworfenen Karosserie setzt sich im Innenraum fort.
Bild: M. Heimbach
Und was haben die bei DAF wohl geraucht, als sie dem Coupé einen Aschenbecher spendierten, aber keinen Anzünder? Egal. Los geht’s. Der DAF springt mit Choke an und läuft schnell rund. Die Bedienung des Ganghebels ist so intuitiv, dass auf eine Beschriftung der Positionen verzichtet werden kann. Also Hebel nach vorn, Gas geben und – er fährt. An alle Fußgänger: Das Gaspedal klemmt nicht. Die hohen Drehzahlen des Renault-Vierzylinders gehören automatisch dazu. Zum Ampelstart heißt es für andere Verkehrsteilnehmer – frei nach Rudi Carrell: "Lass dich überraschen." Das Coupé ist in beachtlichen fünf Sekunden auf Tempo 50. Auch beim Sprint von null auf 100 zeigt es der einstigen Konkurrenz vom Schlage VW 1500 und Opel Kadett seine schmalen Rücklichter. Die wandlerfreie, spontan reagierende Variomatic macht es möglich. Genau diese Variomatic war Segen und Fluch zugleich. Weil ein DAF damit prinzipbedingt rückwärts genauso schnell fahren kann wie vorwärts, hauchten unzählige Alt-DAF ihr Leben bei Rückwärtsrennen aus. Genie und Wahnsinn liegen beim DAF 55 Coupé eben besonders dicht beieinander.
Technische Daten
Der Motor ist ein alter Bekannter aus dem Renault 8. Mit seinen 45 PS beschleunigt der DAF schneller als erwartet.
Bild: M. Heimbach
DAF 55 Coupé Motor: Reihenvierzylinder (Lizenz Renault), vorn längs • seitliche Nockenwelle über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, Solex Flachstromvergaser mit handbetätigter Starterklappe • Hubraum 1108 ccm • Leistung 33 kW (45 PS) bei 5000/min • max. Drehmoment 77 Nm bei 2800/min • Antrieb/Fahrwerk: vollautomatische Kraftübertragung durch stufenlose Variomatic • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an Stoßdämpferbeinen; hinten pendelnde Halbachsen • Reifen 135 SR 14 • Bremsen: vorn Scheibenbremsen, hinten Trommelbremsen • Maße: Radstand 2250 mm • L/B/H 3880/1540/1310 mm • Kofferraum 380 l • Leergewicht ca. 785 kg, zul. Gesamtgewicht 1030 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 21,0 s • Spitze 138 km/h • Verbrauch 7,5–9,0 l pro 100 km • Neupreis: 6660 Mark (1969).
Historie
Ende der 60er-Jahre brummte es bei DAF. Der DAF 55 war nach DAF 33 und 44 die dritte Modellreihe. Während der DAF 33 noch auf dem DAF 600 von 1959 basierte, startete die Produktion der moderner designten DAF 44 und DAF 55 zeitgleich im Dezember 1967. Die 55er-Modellreihe war die erste mit Coupé-Version und Renault-Motor statt selbst entwickeltem Zweizylinder-Boxer. Das Coupé kam drei Monate nach der Limousine im März 1968 auf den Markt. Das sportlichere Marathon-Coupé mit 55 PS sogar erst im Oktober 1971. Bis November 1972 baute DAF 21.039 Coupés und 1791 Marathon Coupés. Die Limousine verkaufte sich mit 111.906 Einheiten am besten, Kombi und Lieferwagen brachten es zusammen auf 20.318 Stück. Insgesamt gab es 164.230 DAF 55. Es folgte die Baureihe 66 mit glatt gebügelter Motorhaube, stärkeren Renault-Motoren und besserem Fahrwerk. 1975 erweiterte Volvo seine Modellpalette durch Zukauf des Kleinwagenherstellers DAF. Den Volvo 66 gab es nicht mehr als Coupé, der fertig entwickelte DAF 77 kam als Volvo 340. Weil Volvo für jede Variomatic Lizenzgebühren zahlen musste, gab es den 340er später auch als Schalter.
Plus/Minus
Ein DAF fährt rückwärts genauso schnell wie vorwärts – Genie und Wahnsinn liegen beim 55 Coupé besonders dicht beieinander.
Bild: M. Heimbach
Fahren mit der Variomatic ist einzigartig. DAF macht wirklich Spaß. Das DAF 55 Coupé ist für viele der schönste DAF überhaupt. Längst ernten DAF-Fahrer nicht mehr nur mitleidige Blicke. Mit seinen 45 PS beschleunigt das Coupé schneller als erwartet und schwimmt prima im Stadtverkehr mit. Mit seinen 2+2 Sitzen und dem großen Kofferraum ist ein DAF 55 Coupé ohne Wartungsstau recht alltagstauglich. Nur das Rangieren fällt wegen des fehlenden Differenzials an der Hinterachse etwas schwerer. Wichtig für DAF-Neulinge: Bei gezogenem Choke und getretener Bremse leidet die Fliehkraftkupplung. Die Handbremse sollte beim Abstellen immer gezogen werden, weil das Getriebe kaum Sperrwirkung hat. Der Wechsel der beiden Antriebsriemen ist nur etwas für Könner, dafür sind sie sehr langlebig.
Ersatzteile
So ein DAF ist relativ robust und anspruchslos. Und wenn doch mal was kaputt geht, gibt es immer irgendwo Ersatz. Bei neuen Hinterradbremsen dürfen es beispielsweise auch die vom Opel Kadett sein, vorn passen Teile vom Mini. Motorteile gibt es in der Renault-Szene. Ansonsten helfen nur Klubs und Sammler. Viele DAF-Eigner haben sich rechtzeitig mit Teilen eingedeckt. Irgendwo lässt sich also immer etwas auftreiben. Zudem stehen die engagierten Mitglieder vom DAF Club Deutschland jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Der DAF Club Nederland hat ein großes Ersatzteillager und lässt teilweise sogar nachfertigen. Und das zu angemessenen Preisen.
Marktlage
Von einem Markt zu sprechen, wäre übertrieben. DAF Coupés sind von Haus aus selten und wegen ihres Designs am gefragtesten. Viele sind in fester Sammlerhand. Das macht die Sache nicht einfacher. Nach jahrelanger Stagnation sind die Preise zuletzt deutlich gestiegen, aber immer noch klar unter 5000 Euro.
Empfehlung
Erst mal die Frage klären, ob es nicht auch eine Limousine oder ein Kombi sein darf. Das Fahrerlebnis mit der Variomatic ist ja das gleiche. Auf der Suche nach einem Coupé lohnt sich die Anfrage im Klub, allein schon wegen der guten Kaufberatung. Lieber etwas mehr ausgeben für gute und komplette Exemplare. Wenn der Antriebsriemen noch jung ist, umso besser. Am besten auch gleich nach Ersatzteilen fragen. Die erste Serie mit den rahmenlosen Scheiben ist optisch interessanter.