"Sie haben ein Auto gekauft, bei dessen Konstruktion und Produktion wir uns viel Mühe gegeben haben. Denn wir stehen auf dem Standpunkt: Qualität ist kein Zufall." Es sind Sätze wie diese, die Mercedes-Kunden damals in den Siebzigern blind unterschrieben. In Gedanken und auf unzähligen Blankokaufverträgen. Eherne Sätze. Credo einer Marke, deren Glaubwürdigkeit tief verwurzelt war. Wenn Mercedes das sagte, war das kein Marketing-Blabla. Dann war das auch so. Punkt. Es sind die ersten Sätze der Bedienungsanleitung für den Mercedes R 107 . Höfliche Zeilen, die ein Auto erklären, das zwar nicht unsterblich war, aber offenbar für die Ewigkeit gebaut.

Zeitlose Stilsicherheit: Mercedes R129

Mercedes 300 SL R107
Der 300 SL ist eines der besten Gleit-Mittel für gerade Strecken, für Kurven eher nicht.
Und fast ewig lange: vom April 1971 bis zum 4. August 1989. 18 Jahre lang war der Typ 107 Inbegriff von Solidität, Vertrauen und Geradlinigkeit. 237.287 Einhundertsiebener liefen vom Band. Über fast zwei Dekaden galt der SL – mit Abstrichen auch sein Coupé-Ableger SLC – als Statussymbol der feineren Gesellschaft. Ein Auto, das die da oben sich gönnten, das der vermögende Fabrikant seiner Gattin zum Hochzeitstag vor die Tür stellte. Als Nachfolger der grazilen Pagode (W 113) wurde der Roadster anfangs noch mit Skepsis empfangen. Einen "typisch germanischen Einschlag" sah die Schweizer "Automobil Revue", gepflegte Langeweile und unterkühlten Charme. Die seitlichen Waschbrettlinien, die sich bis zum Produktionsende hartnäckig an den Flanken hielten, brandmarkte Design-Rebell Luigi Colani gar als "unterste Trickkiste des Automobildesigns".

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Aber es war wohl gerade diese unaufgeregte Eleganz, die dem Roadster eine Karriere ohne Skandale bescherte und den Lebensherbst gleich mal übersprang. Gegen Ende seiner Tage zeigte die Temperaturkurve des SL sogar deutlich erhöhte Werte. Denn nach fast 25 Jahren Pause kehrte im September 1985 eine legendäre Ziffern-Buchstaben-Kombination zurück an ein Mercedes-Heck: 300 SL. Schon allein mit der Ankündigung dieses Schriftzuges schnellte der Verkauf des alten Herrn in die Höhe wie einst das HB-Männchen. Schnell sprach sich rum, dass man sich einen sichern sollte, in die Garage stellen, beste Wertanlage, hieß es.

Souverän gleiten statt hetzen

Dabei passierte rein muskelmäßig wahrlich nichts Weltbewegendes. Gerade mal drei Gäule mehr packten im Vergleich zum alten Zwoachter-Doppelnocker an. 188 PS (mit Kat 180 PS) mussten nun über 1,5 Tonnen Schwermetall in Wallung bringen – damit ließ sich gegen die junge Garde kaum noch ein Blumentopf gewinnen. Doch der neue Reihensechszylinder – mit jetzt nur noch einer oben liegenden Nockenwelle – hatte andere Vorzüge. Er war leichter, nochmals laufruhiger, natürlich sauberer und günstiger zu produzieren. Ja, das böse Wort Kostenmanagement hatte sich still und leise auch Zugang in die Denkstuben von Daimler verschafft.

Der M 103: drehfreudig, seidig, vibrationsfrei

Mercedes 300 SL R107
Der M 103 zählt zu den besten Sechszylindern von Mercedes. Langlebig, laufruhig, drehfreudig, durchzugsstark.
Was in diesem Falle aber wirklich nicht mit Verzicht oder Qualitätsverlust zu tun hatte. Im Gegenteil. Der erste 300-SL-Test von "Auto Motor und Sport"-Redakteur Klaus Westrup attestiert der neuen Maschine M 103 beste Manieren: "Sie arbeitet praktisch vibrationsfrei und lässt sogar Sound ertönen", schrieb er. "Ab 4000 Touren liegt ein wenig Musik in der Luft – und viel höher muss man wegen der guten Durchzugskraft auch nicht drehen." Als eher dürftig beurteilt der erfahrene Profi die Spitze von gut 200 km/h. Der R 107 war halt noch keine Windsbraut, die linientreu im Kanal gezeugt wurde. Dafür ein "aufregendes Auto, das ungemein beruhigt", wie die damals blutjunge Zeitschrift namens AUTO BILD in einem ihrer ersten Testberichte schreibt.

Ein Schlitten für Sammlers Stolz

Und sie prophezeit: "Der 300 SL wird mal zum begehrten Sammlerobjekt." Was – mit etwas Zeitversatz – natürlich auch so kam. Heute gilt gerade der SL mit dem großen Namen als Ikone in der langen R 107-Historie. Zum Marktstart war der Evergreen 300 SL ausgereift wie ein guter Bordeaux. Seine Rostjahre hatte er hinter sich. Kurz: Er war eine sichere Bank. Die sich überwiegend Herrschaften mit grauen Schläfen und eher bedächtiger Fahrweise leisteten. Zum deftigen Grundpreis von 63.500 D-Mark (im September 1985) – ein 300 SE mit dem gleichen Motor war 5900 Mark billiger. Dass da trotzdem noch reichlich Luft nach oben war, bedarf kaum der Erwähnung.
Die Liste der Sonderausstattungen war beim SL ebenso lang wie dreist. Neuzeitliches Zeug wie Fahrerairbag (2280 D-Mark) und Reiserechner (1106 D-Mark) tauchten darin auf, aber auch eine Klimatisierungsautomatik für schlanke 4845 D-Mark, eine Telefonvorbereitung (2736 D-Mark) oder eine Fondbank für Kinder (ab 1020 D-Mark). Doch das viele Geld war ja gut angelegt: Heute erzielen makellose, wenig gefahrene 300 SL aus Ersthand Preise jenseits der 40.000 Euro und liegen damit deutlich über ihrem Neupreis. Qualität ist eben kein Zufall.

Historie

Mercedes SLC
Stand stets im Schatten des erfolgreichen SL: das fünfsitzige Coupé SLC (1971 bis 1981).
Ein langes Leben hatten die meisten Mercedes-Modelle – doch keiner war so lange aktuell wie der R 107. 18 Jahre, von 1971 bis 1989, wurde der Roadster gebaut. 237.287 Exemplare liefen in dieser Zeit vom Band. Dazu 62.888 SLC, die Coupé-Variante (1972 bis 1981) auf einer 36 Zentimeter längeren Bodengruppe. Sie stand aber stets im Schatten des SL. Als Nachfolger der grazilen Pagode (W 113) tat sich der R 107 zunächst schwer und steckte für sein barockes Design harsche Kritik ein. Doch die Aufregung legte sich schnell, der Einhundertsiebener reifte selbst zum Sinnbild von Zeitlosigkeit. Ein Klassiker der Moderne, der die besten Verkaufszahlen sogar gegen Ende seiner langen Amtszeit einfuhr. 81 Prozent aller SL gingen in den Export, die meisten in die USA. Hier dominierten ganz klar die V8, zunächst der 350 SL, dann der 450 SL (ab 1973), der 380 SL (ab 1980) und der 500er (ab 1980). Es folgten der 420er und für die USA der 560er. Die sparsameren Sechszylinder 280 SL (ab 1974) und 300 SL (ab 1985) erreichten insgesamt nur einen Anteil von gerade mal 16 Prozent.

Technische Daten

Mercedes 300 SL Reihensechszylinder vorn längs • zwei Ventile pro Zylinder • obenliegende Nockenwelle • mechanische Benzineinspritzung Bosch KE-Jetronic • Hubraum 2962 ccm • Leistung 132 kW (188 PS) bei 5700/min • max. Drehmoment 260 Nm bei 4400/min • Fünfganggetriebe (auf Wunsch Vierstufenautomatik) • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung an Doppelquerlenkern vorn, an Schräglenkern hinten • Reifen 205/65 VR 15 • Radstand 2460 mm • L/B/H 4390/1790/1305 mm • Leergewicht 1530 kg • 0–100 km/h 10 s • Verbrauch 14,5 l Super/100 km • Spitze 200 km/h • Neupreis 1985: 63.500 D-Mark

Plus/Minus

M 110
Typische Schwäche des 280 SL mit doppelter Nockenwelle: undichter Nockenwellenkasten oberhalb des Abgaskrümmers.
Trotz aufwendiger Vorsorge nagt die braune Krankheit am SL-Blech. Vor allem am Vorderbau, der erst ab 1985 mit Innenkotflügeln aus Kunststoff besser gegen Rost geschützt wurde. Scheinwerfertöpfe, Radausschnitte, Schweller, Schwellerspitzen, Heckschürze – auf der Bühne sollte der R 107 mit seinen zahlreichen Hohlräumen gründlich am kompletten Körper untersucht werden. Die Motoren gelten als durstig, haben aber eine Pferdelunge. Laufleistungen über 250.000 Kilometer sind für die Sechs- und Achtzylinder keine Seltenheit. Probleme mit Nockenwellen hatten frühe Achtzylinder und 300er. Die Lenkung leidet unter zu viel Lenkspiel, ausgeschlagene Fahrwerklager sind ebenfalls keine Überraschung. Im Innenraum sollte vor allem auf Vollständigkeit und nicht durchgesessene Sitze geachtet werden.

Marktlage

Das Angebot an R 107 ist üppig. Vor allem Heimkehrer aus den USA finden sich reichlich in den einschlägigen Börsen. Entsprechend gibt es ein Überangebot an Achtzylinder-Modellen, seltener sind die Sechszylinder-Versionen. Gefragt bei Sammlern sind vor allem die korrosionsbeständigeren Facelift-Modelle ab September 1985, hier speziell der 300 SL. Sie erreichen den höchsten Reifegrad, und viele haben schon moderne Errungenschaften wie ABS oder Airbag an Bord.

Ersatzteile

Für wenig andere klassische Modelle ist die Ersatzteillage so gut wie für den R 107. Mercedes-Originalqualität zu Mercedes-Originalpreisen gibt es bei jeder Niederlassung. Günstigere Teile finden Sie im Internet oder bei Klubs. Engpässe kann es – wenn überhaupt – bei seltenen Innenraumteilen früher Modelle geben. Deutlich angezogen haben die Preise für Chromteile und die originalen Alu-Räder.

Empfehlung

Hände weg von verbastelten, breiter gemachten Tieffliegern mit vielen Vorbesitzern und dubiosem Lebenslauf. Gepflegte Original-Typen aus rüstiger Ersthand sind zwar selten, aber es gibt sie. Da die Achtzylinder heftige Trinker sind, geht die Empfehlung klar zum Sechszylinder – am besten gleich zum 300 SL, dessen Namen Mercedes mit dem Facelift 1985 wiederbelebte. Ein harmonisches Auto, das ab September 1986 bereits mit serienmäßigem G-Kat ausgeliefert wurde. Leistungsmäßig völlig ausreichend, aber beim Unterhalt spürbar günstiger als die fetten V8.

Von

Tomas Hirschberger