Mercedes SL 320 (R 129)
Figurfreundlich: Der schlanke Stil aus der Feder von Bruno Sacco kaschiert den Wohlstandsspeck.
Bild: D. Rebmann
Keine Frage, dieser SL hatte ein ruhiges Leben. In 15 Jahren kamen gerade mal 68.000 Kilometer zusammen. Vom milden Süden der Schweiz verschlug es ihn zuletzt ins mittelitalienische Paglieta, wo auch im November stets noch eine laue Brise von der Adria heraufweht. Einen echten Winter hat er wohl nie mitgemacht. Und wenn schon: Rostfrei würde der rubinrote Metallic-Lack sicher auch dann noch glänzen, denn während sich die Blechhaut späterer Stern-Wagen oft schon nach wenigen Jahren in blühende Landschaften verwandelte, widerstand der R 129 – so der werksinterne Code – dem Zahn der Zeit wie kaum ein Zweiter.
Mercedes SL 320 (R 129)
Dass von "SL" wie "Super Leicht" in Anbetracht von 1850 Kilo Leergewicht kaum noch die Rede sein kann, sieht man dem R 129 nicht an.
Bild: D. Rebmann
Der Eindruck des Qualitätsautomobils dringt beim SL der Neunziger aus jeder Fuge. Was umso mehr die Frage aufwirft, warum die Autos mit dem magischen Buchstabenkürzel und dem Flair der großen Welt heute so billig sind. Runtergerockte Kilometerfresser im sündigen Tuning-Look hält der Kiesplatzhändler an der Ausfallstraße schon für vier, fünf Scheine feil. Doch auch Kenner, die nach naturbelassenen Wenigfahrer-Autos mit maximal zwei Briefeinträgen und durchgestempeltem Wartungsheft der Mercedes-Niederlassung fahnden, werden schon für weniger als 15.000 Euro fündig. Nicht selten ist es sogar ein 500er, jener 326 PS starke Bilderbuch-V8, mit dem Mercedes 1989 in eine bis dato unbekannte Leistungs-Liga vorstieß.

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Mercedes SL 320 (R 129)
Da freut sich nicht nur die Arztgattin! 1997 kostete unser Foto-Auto noch stolze 150.000 Mark, heute ist es für bescheidene 15.000 Euro zu haben.
Bild: D. Rebmann
Genießen lässt sich so ein R 129 aber auch mit "nur" sechs Zylindern. Und da Designchef Bruno Sacco im Lauf der zwölfjährigen Bauzeit nur zaghafte Veränderungen zuließ, blieb der unprätentiöse Charme des Urmodells selbst dann erhalten, als die beiden auf gut Schwäbisch "MoPf" (Modellpflege) genannten Facelifts weiße Blinkergläser, einen retuschierten Kühlergrill, gefärbte Stoßfänger und auffälligere Kiemen ins Spiel brachten. Der Mercedes-Connaisseur wird dem Reihenmotor den Vorzug geben, obwohl auch gegen die 1998 eingeführten V-Triebwerke wenig spricht. Ein später M 104 wie in unserem Fotowagen, der aktuell bei Mercedes Young Classics zum Verkauf steht, ist die perfekte Wahl, wenn es um klassisches SL-Gefühl und einen attraktiven Mix aus Laufkultur und Leistung geht, ohne dass die Kosten für Betrieb und Unterhalt ins Ruinöse abdriften.
Mercedes SL 320 (R 129)
Frisurfreundlich: Das Stoffverdeck verschwindet auf Knopfdruck in 28 Sekunden.
Bild: D. Rebmann
Da sich der 129er als Sportwagen versteht – Roadster mag man ihn ja angesichts der vielen Luxus-Gimmicks kaum mehr nennen –, sollten es die gebotenen 231 PS schon sein. Schließlich gilt es, über 1800 Kilo zu bewegen, auch wenn das schlanke Sacco-Kleid den Wohlstandsspeck geschickt verhüllt. Die schiere Masse, schon beim Zuschlagen der Türen spürbar, ist ein weiteres Zeichen, dass man es hier nicht mit einem vergänglichen Lebensabschnitts-Cabrio zu tun hat, sondern mit einem wertvollen Langzeitautomobil. Wir wollen jetzt nicht wieder mit der Beschwörung des "letzten echten Mercedes"  beginnen. Aber während einer ausgedehnten Herbstpartie über die Höhenzüge der Schwäbischen Alb schießt einem doch immer wieder der Gedanke durch den Kopf, ob sie in Stuttgart je wieder solidere Autos gebaut haben als in den frühen Neunzigern.

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Mercedes SL 320 (R 129)
Die einen sagen Taxi-Look, die anderen nennen es funktionale Ästhetik. Das SL-Cockpit atmet die strenge Sachlichkeit der späten 80er-Jahre.
Bild: D. Rebmann
Dem Heavy-Metal-Appeal ist es letztlich auch geschuldet, dass sich Umsteiger vom Dauerbrenner R 107 trotz der formalen Zäsur im Nachfolger auf Anhieb heimisch fühlen. Wenn sich mobile Sonnenstunden auch hier wie Taxi fahren ohne Dach genießen lassen, hat das gleichwohl handfeste technische Gründe: Die Achsen spendierte der als Motordroschke millionenfach bewährte "Wagen 124". Jugendlicher Sportlichkeitswahn lag dem SL schon immer fern. Auch in den Neunzigern war er mehr zweisitzige S-Klasse als scharfe Kurvenfräse. Dennoch: Trotz der etwas teigig wirkenden Kugelumlauflenkung und nachgiebiger Federn fährt er sich im Vergleich zu zeitgenössischen Mitbewerbern wie etwa einem Jaguar XJ-S agil und handlich. Nur der 8er-BMW konnte ihm das Wasser reichen, aber den gab es nicht offen, weil seine Väter ihm das Zittern niemals abgewöhnen konnten.

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Der SL wirkt unerschütterlich und fest. Nichts knackt, nichts knistert. Karosserie und Fahrwerk sind so steif wie die Betonfrisuren jener Ladys, die ihn früher so oft fuhren. Auch beim Thema Sicherheit macht der R 129 keine halben Sachen. Als Pionier auf diesem Gebiet lastete auf Mercedes hoher Erwartungsdruck – den die Ingenieure mit einer ganzen Liste von Neuerungen beantworteten. Zur formstabilen Zelle gesellten sich aufprallfeste Integralsitze, von deren Komfort sich selbst teure Premiumware heutiger Nobelkarossen eine Scheibe abschneiden kann. Das Tüpfelchen auf dem i war allerdings – Premiere im Serien-Automobilbau – ein pyrotechnisch ausgelöster Überrollbügel, der im Notfall blitzartig hinter den Sitzen hervorschnellt.

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Wer damals 135.000 Mark an den Mercedes-Händler überwies, bekam aber noch mehr geboten. Ein 34 Kilo leichtes Hardtop beispielsweise, das sich in Minutenschnelle ohne Schraub- und Bastelarbeit aufsetzen und demontieren ließ. Und ein elektro hydraulisches Stoffverdeck, das den SL in (heute ewig erscheinenden) 28 Sekunden in einen Platz an der Sonne verwandelte. Angesichts der Inflation moderner Klapptop-Cabrios lockt die kunstvolle Dach-Choreografie inzwischen keinen Hund mehr hinterm Heizkörper hervor. Damals jedoch stand Beobachtern der Mund vor Staunen offen, wenn die Arztgattin vorm Café mit perfekt manikürten Fingernägeln einen Knopf betätigte und damit sechs Verschlüsse, 17 Endschalter und elf Magnetventile aktivierte, um ihren Mercedes theatralisch zu entblättern.

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Der Dach-Strip ist noch heute eine Schau: Erst lösen sich mit leisem "Klack" die Arretierungen hinter dem Passagierabteil. Dann macht sich die gespannte Stoffmütze ein bisschen locker, räkelt sich, schwingt wellenförmig über den toupierten blonden Haarschopf der Pilotin, während sich der Staukasten-Deckel hebt, woraufhin alles, akkurat gefaltet, verschwindet. Die ingeniöse, stets im Fahrzeugpreis enthaltene Dachmechanik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Mercedes anderswo beschämend geizig gab. Selbst als die SL-Preise Mitte der Neunziger längst die 100.000-Mark-Grenze gesprengt hatten, baten die Schwaben für jeden kleinen Luxus gesondert zur Kasse. Lederpolster, Klimaautomatik und das Radio "Exquisit" (hier gekoppelt mit einer Bose-Soundanlage, deren Bass-Booster die hinteren Notsitze zum Opfer fielen) ließen den Preis für unseren Fotowagen 1997 auf 150.000 Mark hochschnellen. Sogar die dritte Bremsleuchte musste dem Erstbesitzer 86,25 Mark wert sein. Was ihn getröstet haben mag, ist eine Hoffnung, die sich heute, 15 Jahre später, frei nach Henry Royce erfüllt: "Qualität besteht, auch wenn der Preis längst vergessen ist."

Technische Daten

Mercedes-Benz SL 320 (R 129): Motor: Reihensechszylinder (Typ M 104), vorn längs • vier Ventile pro Zylinder • zwei oben liegende Nockenwellen, über Kette angetrieben • elektronische Benzineinspritzung • Hubraum 3199 cmÍ • Leistung 170 kW (231 PS) bei 5600/min • max. Drehmoment 315 Nm bei 3750/min Antrieb/Fahrwerk: Fünfstufenautomatik • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung an Dreiecksquerlenkern und Schraubenfedern, Gasdruck-Dämpferbeine, Drehstab-Stabilisator, hinten Raumlenkerachse, Schraubenfedern, Gasdruck-Stoßdämpfer, Drehstab-Stabilisator • Reifen 225/55 ZR 16 Maße: L/B/H 4499/1812/1303 mm • Radstand 2515 mm • Leergewicht 1850 kg • Kofferraum 260 Liter Fahrleis tungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 8,4 s • Spitze 240 km/h • Verbrauch 10,9 l Super pro 100 km • Tank 80 Liter • Neupreis: 135.585 Mark (1997).

Historie

Im März 1989 stellt Mercedes die vierte SL-Generation vor. Sie trägt die Bezeichnung R 129 und löst den 18 Jahre lang gebauten R 107 ab, für dessen Coupé-Ableger SLC schon 1981 das S-Klasse-Derivat C 126 (SEC) in die Bresche sprang. Der R 129 ist eine komplette Neuentwicklung und läuft als erster SL nicht mehr in Sindelfingen vom Band, sondern in Bremen. Bei der Konstruktion spielt das Thema Sicherheit eine zentrale Rolle. So erhält der R 129 eine besonders stabile Karosseriestruktur, speziell gegen Seitenaufprall geschützte Integralsitze und einen Überrollbügel, der beim Crash automatisch hervorschnellt. Die Motorenpalette startet bei 190 PS. Ein neuer Fünfliter-V8 mit 326 PS ermöglicht bislang nicht gekannte Fahrleistungen (250 km/h Spitze). 1992 kommt erstmals auch ein Zwölfzylinder zum Einsatz (394 PS). Ab Juni 1993 tauschen, der neuen Mercedes-Nomenklatur folgend, Baureihenkürzel und Typziffer die Plätze – ab sofort heißt es nicht mehr 500 SL, sondern SL 500. 1998 schickt Mercedes die Reihenmotoren in Rente und führt auch bei den Sechszylindern die V-Bauweise ein. Vom R 129 entstehen insgesamt 204.940 Exemplare.

Plus/Minus

Der R 129 stammt aus einer Epoche, als die Deutungshoheit über das Wort "Premium" noch in der Hand von Ingenieuren lag und nicht in der von Marketingstrategen. Er ist ein echtes Qualitäts-Automobil. Selbst gebrauchten Exemplaren merkt man an, dass sie mal deutlich über 100.000 Mark gekostet haben. Die Motoren gelten als robust, nur der 300 SL-24 fällt gelegentlich durch Ventilklappern auf. Rost ist – selbst bei vernachlässigten Autos – kein Thema. Auch technische Krisenherde gibt es kaum. Einzige Ausnahme: Das bis 1995 erhältliche, selten georderte adaptive Stoßdämpfersystem ADS, bei dem mit den Jahren Federspeicher und Membranen kaputtgehen. Ein prüfender Blick sollte dem Verdeck gelten. Wurde der SL vorwiegend mit Hardtop gefahren, ist die im Dachkasten verborgene Stoffkapuze oft in beklagenswert schlechtem Zustand. Die Kunststoffscheiben reißen und verkratzen mit der Zeit aber auch so. Bei Autos vor Baujahr 1993 sollte geklärt werden, ob die Karosseriegummis erneuert wurden – frühe SL waren oft nicht ganz dicht. Ersatz für das Verdeck schlägt mit knapp 2000 Euro zu Buche.

Ersatzteile

Es gibt alles – und zwar nach dem Prinzip "Heute bestellt, morgen geliefert" beim Mercedes-Händler. Das Preisniveau ist, passend zu Marke und Modell, gehoben. Dennoch können auch Normalverdiener einen gebrauchten SL am Laufen halten. Erstens, weil ohnehin nicht viel kaputtgeht. Und zweitens, weil sich auch bei Ebay gut und günstig Teilenachschub findet.

Marktlage

Das Angebot ist üppig. Noch immer lassen sich passable 129er für deutlich weniger als 10.000 Euro auftreiben. Die Preise dürften in den nächsten Jahren jedoch Auftrieb bekommen. Schon heute nicht billig: Mercedes Young Classics (Telefon 0711-1741888). Dort gibt es ausgesuchte Top-Exemplare mit Werksgarantie.

Empfehlung

Keine Angst vor großen Tieren. Die 300er und 320er gelten zwar mit Blick auf Fahrleistungen und Unterhaltskosten als beste Wahl, der 500er ist aber nicht viel teurer. Lediglich um den Zwölfzylinder sollte man einen Bogen machen, auch wenn die Preise noch so verlockend sind: Er frisst einem bei Wartung und Reparaturen die Haare vom Kopf, und das hohe Gewicht auf der Vorderachse nimmt ihm Agilität.