Die Bundesrepublik ist gerade 16 Jahre alt und singt "Mit 17 hat man noch Träume". Wer 18 ist und einen Führerschein besitzt, träumt womöglich von einem Opel. Nicht vom B-Kadett, der 1965 auf den Markt kommt – sondern dem größten und exklusivsten Opel seiner Zeit, dem Diplomat V8 Coupé. Einen großen, eleganten Zweitürer mit V8-Motor gibt es zwar auch bei BMW. Aber im Vergleich zum 3200 CS ist beim "neuen Star unter den Wagen", wie Opel seinen Diplomat vollmundig anpreist, alles ein bisschen üppiger. Speziell der Motor mit 5354 Kubikzentimetern und 230 PS. Und auch der Preis hat es in sich. Wer mit dem großen Opel bei Geschäftspartnern und Nachbarn Eindruck schinden will, braucht eine dicke Brieftasche. 25.500 Mark steht auf dem Preisschild beim Opel-Händler.
Opel Diplomat V8 Coupé
Ein extravagantes Dach im zeittypischen Stil haben das Diplomat Coupé (1965) und die Frankfurter Jahrhunderthalle (1963) gemeinsam.
Allein für die 8000 Mark, die das Coupé mehr kostet als die Limousine, gäbe es bei VW fast zwei Käfer. Das Durchschnittseinkommen liegt damals bei rund 770 Mark. Damit ist klar, dass dieser Diplomat ein Auto der Bosse ist. Aber die greifen nur zögerlich zu. Das liegt zum einen am Image. Vielen wirkt der Diplomat zu neureich, zu amerikanisch. Die diskrete Eleganz der Mercedes W 108/111 kommt deutlich besser an. Zum anderen liegt es an der stotternden Konjunktur. Mitte der 60er-Jahre steuert ausgerechnet Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Vater des Wirtschaftswunders, die junge Republik in ihre erste Wirtschaftskrise. Und so findet das Diplomat A Coupé nur 347 Käufer, die Limousine mit 4,6- oder 5,4-Liter-V8 immerhin 8848. Mit über 200 km/h Höchstgeschwindigkeit ist der üppige Opel so schnell wie der schlanke Porsche 911 – jedenfalls auf gerader Strecke. In Kurven haben Diplo-Kapitäne alle Hände voll zu tun, um ihren schmal bereiften Straßenkreuzer mit dem dünnen Lenkrad und der indirekten Servolenkung auf Kurs zu halten. Für das Fünf-Meter-Schiff wäre die bei Opel so beliebte Nomenklatur der Marine-Dienstgrade nur allzu passend gewesen. Aber den Namen Kapitän trägt das Basismodell, Admiral heißt die Luxusversion. Das Topmodell bekommt daher einen Namen, der für High-Society, internationales Flair und einen repräsentativen Auftritt steht: Diplomat.

Oberklasse-Opel: Kapitän und Diplomat

Opel Diplomat V8 Coupé
In Kurven haben Diplo-Kapitäne alle Hände voll zu tun, um ihren schmal bereiften Straßenkreuzer mit der indirekten Servolenkung auf Kurs zu halten.
Sportlich will so einer nun wirklich nicht sein. Auch wenn der Ami-V8 nur so vor Tatendrang strotzt und sein kerniger Sound jederzeit präsent ist: Passend zu seiner US-Herkunft ist "Reisen statt Rasen" die Devise. Auch weil die Diplomatie beim Fahrwerk an ihre Grenzen stößt. Die Existenz von Kurven scheinen die Entwickler vorübergehend vergessen zu haben. Dafür haben sie umso intensiver in das Thema Komfort investiert – auch jenseits der Federung. Vier elektrische Fensterheber ersparen dem Fahrer das Kurbeln. Eine Automatik übernimmt das Schalten. Auch sie fördert den entspannten Fahrstil, Hektik ist ihr fremd. Beim Beschleunigen schaltet der Diplomat nur einmal hoch. Mit dem zweiten Gang hat er bereits die oberste Fahrstufe erreicht. Der Name – "Powerglide" – ist Programm: Mit reichlich Kraft gleitet das Diplomat Coupé lässig über die Straßen. Seine Drehmomentkurve scheint den Rocky Mountains nachempfunden zu sein, und der Wandler lässt noch genug Kraft übrig, um die Passagiere tief in die Sitze zu drücken. Was aber auch daran liegt, dass das Mobiliar angenehm weich gepolstert ist. Die beiden Sessel vorn und das Sofa hinten bieten vier Erwachsenen reichlich Platz. Die Mitfahrer genießen einen freien, nicht durch B-Säulen behinderten Blick auf die Landschaft und auf das imposante, sichtlich von US-Vorbildern inspirierte Interieur.

Liebling der Vorstadt: Opel Kadett B Rallye

Opel Diplomat V8 Coupé
Innen wird das Diplomat Coupé zum Woody: Üppige Holzvertäfelungen schaffen eine edle Atmosphäre. Ein Opel-Blitz ist nirgends zu finden.
Die großflächigen Echtholzeinlagen und das zweifarbige Lenkrad waren ebenso serienmäßig an Bord wie drei Zigarettenanzünder und der breite Balkentacho, dessen Skala erst bei damals unvorstellbaren 250 endet. Einzig die Schalter für die serienmäßigen Fensterheber und die Schieber für Heizung und Lüftung wirken etwas billig. Zu den aufpreispflichtigen Extras gehörten das Vinyldach, Ledersitze und eine Klimaanlage. Die ist dank versenkbarer Seitenscheiben und Dreieckfenstern allerdings verzichtbar. Neben Motor und Getriebe kommt auch das Design des Diplomat Coupé aus den USA. Nicht, weil 1965 von den Vereinten Nationen zum "Jahr der Kooperationen" erklärt wurde, sondern weil General Motors dem Stilgefühl der Rüsselsheimer nicht vollkommen vertraute. Die Opel-Designer durften nur Interieur sowie Ornamentik, Radkappen und Schriftzüge entwerfen. Ansonsten mussten sie kleine Brötchen backen wie den Kadett A, ihren ersten komplett eigenen Entwurf unter GM-Herrschaft. Gebaut wurde das Diplo-Coupé nicht in Hessen, sondern bei Karmann in Osnabrück. Es reichte nur zur Kleinserie, die großen Opel hatten es schwer: Auch Kapitän und Admiral mit dem 4,6-Liter-Motor verkaufen sich nur schleppend. 1967 singen die Beatles "All You Need Is Love". Es sollte lange dauern, bis sich wahre Liebhaber für das Diplomat V8 Coupé fanden.

Technische Daten

Opel Diplomat V8 Coupé
Das Blech für die Haube hätte für eine Isetta gereicht, darunter wirkt selbst der 5,5-Liter-V8 schmächtig.
Opel Diplomat V8 Coupé Motor: V8, vorn längs • untenliegende zentrale Nockenwelle, über Steuerkette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, Vierfach- Fallstromvergaser • Hubraum 5354 ccm • Leistung 169 kW (230 PS) bei 4700/min • max. Drehmoment 435 Nm bei 3100/min Antrieb/ Fahrwerk: Zweistufenautomatik • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an Doppelquerlenkern, Schraubenfedern, Teleskopstoßdämpfer, Stabilisator, hinten Starrachse mit Blattfedern • Scheibenbremsen vorn, Trommelbremsen hinten, mit Bremskraftregler• Reifen 185/70 HR 15 Maße: Radstand 2845 mm • L/B/H 4948/1902/ 1432 mm • Tank 82 Liter • Leergewicht 1630 kg Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h 9,5 s • Spitze 206 km/h • Verbrauch: 15 bis 20 Liter/100 km • Neupreis: 25.500 Mark (1965), 26.000 Mark (1966).

Historie

Im März 1965 rollten die ersten Diplomat Coupés zu den Händlern, also 13 Monate nach den drei großen Limousinen Kapitän, Admiral und Diplomat (KAD). Das Trio sollte gemeinsam den Erfolg des Kapitän P 2.6 fortsetzen. Der hatte sich von 1959 bis 1963 mehr als 145.000-mal verkauft, wirkte aber zuletzt mit seinen Panoramascheiben nicht mehr ganz zeitgemäß. Die KAD-Limousinen sahen auf den ersten Blick gleich wuchtig aus, unterschieden sich aber in Ausstattung, Chromteilen und Motorisierung. Kapitän und Admiral gab es nur mit Sechszylindern oder 4,6-Liter-V8. Den Diplomat bot Opel ausschließlich mit einem der beiden Achtzylinder an. Im Diplomat Coupé kam nur der große mit 5,4 Litern zum Einsatz. Schon nach zwei Jahren und 347 Exemplaren endete 1967 die Produktion des Diplomat Coupés bei Karmann in Osnabrück. Die Viertürer baute Opel bis Ende 1968. Die besten Verkaufszahlen erzielte der Admiral, er brachte es insgesamt auf 55.876 Stück. Der Kapitän fand 24.249 Käufer. Den Diplomat-Schriftzug trugen 8848 Limousinen. 1969 brachte Opel die Nachfolge-Baureihe KAD B auf den Markt und produzierte sie bis 1977.

Plus/Minus

Opel Diplomat V8 Coupé
Neben Motor und Getriebe kommt auch das Design aus den USA. Opel-Designer dürfen nur Interieur sowie Ornamentik, Radkappen und Schriftzüge entwerfen.
Wenn der Nobel-Opel nicht so selten (und damit zu schade) wäre, hätte er das Zeug zum problemlosen Alltagsklassiker – auch weil sein V8, wenn er gut eingestellt ist, gar nicht sooo viel säuft wie befürchtet. Wie alle historischen Hubraum-Riesen profitiert der Diplomat V8 von H-Kennzeichen und Pauschalsteuer. Und speziell das Coupé ist dank der geringen Stückzahl eine gute Wertanlage. Der 327er-Small-Block-V8 von Chevrolet ist robust und erreicht hohe Laufleistungen, auch weil Opel nicht einfach die handelsüblichen Corvette-Motoren übernahm, sondern speziell verstärkte Aggregate einbaute, die höheren Dauergeschwindigkeiten standhielten. Deutschland kannte schließlich kein 55 Meilen-Tempolimit. Die Reparaturfreundlichkeit ist gut, es gibt aber Ausnahmen: Ein Wechsel der schwer zugänglichen Zündkerzen etwa kann selbst versierte Schrauber zur Verzweiflung bringen.

Ersatzteile

Einfach zum Opel-Händler gehen und bestellen? Ist nicht. Immerhin lässt sich alles, was mit der Limousine übereinstimmt, mit guten Beziehungen, Szene-Kontakten und etwas Glück irgendwo auftreiben. Dazu zählen Front- und Heckbleche ebenso wie Scheinwerfer, Rückleuchten, Chromteile und Kühlergrills. Coupéspezifischen Ersatz (Türen, hinteres Seitenteil, Kofferraumdeckel, Schwellerleisten und Seitenscheiben) gibt es nicht mehr. Hier führt kein Weg an teuren Neufertigungen vorbei. Nachschub für Motor- und Getriebereparaturen ist problemlos zu bekommen und kostet zudem nicht die Welt – der 5,4-Liter-V8 lief ja auch in diversen Chevys.

Marktlage

Lediglich 347 Diplomat Coupés hat Karmann für Opel gebaut, maximal 40 davon dürften noch existieren. Das V8-Coupé ist eines der gesuchtesten Opel-Modelle überhaupt, nur zu finden ist es nicht. Sollte doch mal eines zum Verkauf stehen, wird es richtig teuer. Die Preise entwickeln sich seit gut zwei Jahren steil nach oben.

Empfehlung

Wer ein Diplomat Coupé sucht, hat keine Wahl: Er muss nehmen, was er kriegen kann. Gute Fahrzeuge sind nicht billig, schlechte werden durch die kostspielige Restaurierung mindestens genauso teuer. Der Kontakt zu Mitgliedern der verschiedenen KAD-IGs und -Stammtische kann hilfreich sein, um frühzeitig vom anstehenden Verkauf eines Coupés zu erfahren.