Kompliziert war er nie, der Kadett B. Maßvoll war er und immer nur so modern wie nötig. Nie fordernd, stets gebend. Ein Volkswagen im besten Sinne, aber eben einer von Opel – selbst dann noch, als sie krawallig "Rallye" dranschrieben (unbedingt deutsch aussprechen: Ralli, niemals Rällie sagen) und aus dem braven Käfer-Konkurrenten ein Auto mit Herzschlag machten. Und wenn es denn einen Vorläufer der GTI-Klasse gab: Der Opel war’s! Zehn Jahre vor dem Golf brachte der Kadett viel Leistung für wenig Geld unters Volk. Sicher, es gab Glas 1304, BMW 1600-2 und NSU TT, doch erst der Rallye Kadett machte eine Massenbewegung daraus. Über 100.000 Stück bauten sie in Bochum bis 1973. Im bürgerlichen Breitensport war Opel auf Jahre hinaus eine Macht. Nicht selten trug den Rallye Kadett allein seine unbedingte Zuverlässigkeit ins Ziel.
Opel Rallye Kadett B
Als es noch keine GTI-Klasse gab, hieß der Traum junger Leute Rallye Kadett.
Bild: M. Gloger
Typisch. Damals, 1966, wirkte er wie ein Weckruf! Wie eine Verheißung! Wie eine Provokation! Opel ließ die Hosenträger schnalzen und zog den Riemen des Römer-Helms fest. Selbst im Pressetext. Angesichts der auf nationaler und internationaler Bühne eingefahrenen Rennerfolge "wünschten sich viele Sportfahrer eine heiße Variante des Kadett, die ihnen gestattet, gegen hubraummäßig stärkere Konkurrenz anzutreten". Mit dieser Denkweise lehnte sich das Management weit aus dem Fenster: Leistung für alle, nicht nur für die Gutverdiener. Gleich traten Bedenkenträger auf die Bremse, fragten, "ob es tunlich erscheint, leichtgewichtige Autos mit so hoher Leistung für relativ wenig Geld unters Volk zu streuen". Ja, wirklich, Ende 1966 reichten 1,1 Liter Hubraum und 60 PS in 780 Kilo Kadett noch aus, um als Brandstifter aufzutreten. Dazu passte es, dass es den Rallye Kadett nicht als vernünftige Limousine oder praktischen Kombi gab. Bis zum Schluss wurde er nur als Coupé gebaut, nie in gedeckten Farben lackiert, immer mit Rallye-Streifen und ohne Radkappen ausgeliefert.

Der mit dem Golf tanzt: Opel Kadett GSi Cabrio

Opel Rallye Kadett B
Silberstreif am Horizont: Der Rallye Kadett half dem Opel-Image auf die Sprünge, die Kunden liebten ihn.
Bild: M. Gloger
Die Signalwirkung war da: Opel traute sich was. Es durfte geträumt werden. Auch intern. Als die Optik feststand, spielten selbst die Designer mit Tuning-Kits herum – leider schafften es Fächerkrümmer, Weber-Vergaser, Sportfahrwerk und Breitreifen nie in die Serie. Ein Kadett ist ein Kadett und bleibt immer ein Kadett – und das macht ihn erst recht liebenswert. Auch als Rallye Kadett und selbst als Rennwagen, der im Jahr 1968 in Händen von Privatfahrern bei 238 Veranstaltungen unglaubliche 222 Klassensiege, 345 Gold- und 287 Silbermedaillen errungen hat, bleibt so ein Typ auf dem Boden der Tatsachen. Der Kadett B ist ein Sinnbild dafür, wie und warum Opel erfolgreich und beliebt wurde. Er ist immer genau so, wie ihn sich sein Fahrer wünscht: einfach, adrett, praktisch, chic oder wild, aber niemals überkandidelt. Immer passen vier Leute rein, und auch beim Coupé mit Rallyestreifen hat der Kofferraum Mittelklasse-Format, mindestens. Und ganz egal ob auf dem Heckdeckel der nackten 45-PS-Basis- Limousine nur Kadett steht oder unter der Motorhaube des aufgebrezelten, viertürigen Schrägheck- Olympia der 1700er mit 75 PS schnarrt: Dieser Opel ist ehrlich, nie kompliziert, stets einsatzbereit und berechenbar.

Opel in alter Größe: Kapitän und Admiral

Opel Rallye Kadett B
Geschlitzte Lenkradspeichen, imitiertes Holz, Knüppelschaltung, viel Kunststoff und wenig Komfort.
Bild: M. Gloger
Klingt langweilig? Nein, es ist beruhigend! Rauchverbot, Umweltzonen, freiwillige Helmpflicht? Ende der frisch frisierten Sechziger Jahre wären solche Zukunftsspinnereien noch nicht einmal in „Hobby“, dem Magazin für Technik, diskutiert worden. Die Einführung von Luftkissenautos auf breiter Front schien wahrscheinlicher. Nein, als Deutschland am Wochenende zum Motorsport anstatt zum Grillen ging, sahen die lässigen jungen Autos am Rande der Bergrennstrecke aus wie die Rallye Kadett auf der Strecke. Rennsport war hip. Mehr noch als andere Klassiker transportiert so ein wild gemachter Opel deshalb jede Menge Zeitgeist, Unvernunft und Naivität. Und das Schönste an ihm ist, dass er sich nicht allzu ernst nimmt. Weder mit munteren 60 noch drehmomentstarken 90 PS hält sich ein Rallye Kadett für einen Sportwagen, das unterscheidet ihn von artverwandten Typen wie Simca Rallye 2 oder einem VW-Porsche 914 mit 80 PS. Er trägt zwar dick auf und tut halbstark, aber im Grunde ist er ein ganz vernünftiger Kerl, der für Langstrecke, Alltag und Familie taugt. Und ganz nebenbei auch kein Vermögen kostet – so einen Typ muss man lieben. Auch dann, wenn er keine Rallyestreifen trägt.

Seine schwache Seite

Sein großer Erfolg war seine große Schwäche, und so kann man dem Kadett B kaum vorwerfen, dass ihn vorherige Generationen einfach totgeliebt haben. Sie haben ihn hart rangenommen bis zum Schluss. Unter der Woche auf dem Weg zur Arbeit und am Wochenende auf Asphalt und Schotter. Ein Besitzer nach dem anderen, jeder ein bisschen gleichgültiger. Korrosion war nur eine Frage der Zeit, und als die rostanfällige Karosserie in Fetzen hing, fuhr die unzerstörbare Technik den Rest aus eigener Kraft zum Schrott. Wer hebt schon einen Kadett B auf?! Es braucht keine Opel-Vergangenheit oder ausgeprägte Markentreue, um sein Herz an den Kadett B zu verlieren. Die schlanke Form, die solide Technik, der hohe Praxisnutzen und die große Seltenheit vieler Kadett-Versionen schlagen unterschiedlichste Saiten in uns an. Auch das Fahrverhalten ist überraschend agil, beim kleinen 1100er sogar noch ausgeprägter als beim starken Rallye 1900. Im Ernst: Sogar überzeugte Käfer-Fahrer und Porsche-Piloten können sich im Kadett wohlfühlen. Sein unbekümmertes Wesen und die unprätentiöse Art machen ihn zu einem Glücksbringer. Und diese Gabe haben wirklich nicht viele Autos.

Technische Daten

Opel Rallye Kadett B
Die kleine "Nähmaschine" röhrte dank gelochter Luftfilter wirklich wie ein Großer.
Bild: M. Gloger
Opel Rallye Kadett 1100 SR Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs • untenliegende Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei hängende Ventile pro Zylinder • zwei Fallstrom-Vergaser Solex (35 PDSI) • Hubraum 1078 ccm • Leistung 44 kW (60 PS) bei 5200/min • max. Drehmoment 83 Nm bei 4400/min. Antrieb/Fahrwerk: Viergangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn mit Doppel-Querlenkern und Querblattfeder, hinten Zentralgelenk-Starrachse und Blattfedern (ab August 1967: hinten Längslenker, Schraubenfedern, Panhardstab) • Scheibenbremsen vorn, Trommelbremsen hinten • Räder/Reifen 5 J x 13 mit 155 SR 13. Maße: Radstand 2416 mm • L/B/H 4182/1573/1405 mm • Leergewicht 780 kg. Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 17 s • Spitze 140 km/h • Verbrauch 10,5 l S pro 100 km • Neupreis: 7115 Mark (1966).

Historie

Im Herbst 1965 löst der Kadett B seinen Vorgänger "A" ab, am 11. Oktober 1966 verlässt in Bochum bereits der einmillionste Kadett B das Band. Gut drei Wochen später beginnt die Fertigung des Rallye Kadett 1100 mit 60 PS starkem 1,1-Liter-ohv-Vierzylinder. Nach den Werksferien 1967 wird die Modellreihe durch den Rallye Kadett 1900 erweitert: Sein 1,9-Liter-cih-Motor (90 PS) stammt aus dem Opel Rekord C. Neben dem Coupé L ("Kiemen-Coupé"– wegen der Sicken in der C-Säule) bietet Opel nun auch das Coupé LS ("Coupé F", breite C-Säule) an – als Kadett Limousine oder Caravan gibt es die Rallye-Version nie zu kaufen. Das Kiemen-Coupé fällt 1970 aus dem Programm, gleichzeitig erweitern Rallye 1200 S (1196 ccm, 60 PS) und Rallye 1900 Sprint (1896 ccm, 106 PS) das Angebot. Mit dem vom Rekord C Sprint übernommenen 106-PS-Motor baut Opel seine Vormachtsstellung in der seriennahen Gruppe 1 weiter aus. Am 31. April 1971 läuft der 100.000. Rallye Kadett vom Band, bis Sommer 1973 werden 103.662 Stück gebaut. Letzter Rallye-Kadett ist der Kadett C, den Opel 1978/79 als 1.6 S (75 PS) oder 2.0 E Rallye (110 PS) anbietet.

Plus/Minus

Opel Rallye Kadett B
Echte Rallye Kadett der Baureihe B, egal ob 1100er oder 1900er, sind extrem selten, originale Fahrzeuge handelt die Szene unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Bild: M. Gloger
Auch wenn ein Rallye Kadett heute den Status eines Exoten genießt, ist er in der Tiefe seines Wesens immer ein Opel geblieben. Die Technik ist überschaubar konstruiert, gleichzeitig aber leistungsfähig und geradezu unwirklich zäh. Vor allem die 1100er-Variante fährt sich dank geringem Gewicht auf der Vorderachse zauberhaft leichtfüßig und unangestrengt, nie wirkt der drehfreudige Kurzhuber angestrengt oder überfordert. Vier Leute und Gepäck für acht passen auch noch in ein Kadett-Coupé hinein, außerdem sind die Unterhaltskosten niedrig, und Neid erzeugt solch ein Kompakt-Opel nur unter Gleichgesinnten – herrlich. So weit zur Habenseite. Das Soll ergibt sich aus der lausigen Verfügbarkeit originaler Rallye-Modelle, der Rostanfälligkeit und knapp werdenden Teilen. Und selbst bei einem so seltenen Modell wie dem Rallye Kadett übersteigen die Restaurierungskosten noch immer den Marktwert.

Ersatzteile

Ersatz für schadhafte Technik ist noch am einfachsten zu bekommen. Der Baukasten bei Opel war seinerzeit riesig, große Teile der Mechanik liefen auch bei anderen Baureihen wie Ascona A, Rekord D oder später im Nachfolger Kadett C, außerdem spuckten die Opel-Bänder in Bochum fast 2,7 Millionen Kadett B aus – das hilft. Doch bei Blechteilen sieht es finster aus. Vordere Kotflügel sowie Türen sind vergriffen, gutes Chrom fast nicht zu bekommen. Spezifische Rallye-Teile wie Jod-Scheinwerfer, Zusatzinstrumente, Auspuffanlagen sowie Embleme sind längst Mangelware.

Marktlage

Echte Rallye Kadett der Baureihe B, egal ob 1100er oder 1900er, sind extrem selten, originale Fahrzeuge handelt die Szene unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein restauriertes Note-1-Auto wie unser Foto-Objekt ist 11.300 Euro wert – sagt die Liste im Frühjahr 2012. Zu dem Preis sofort kaufen! Falls Sie eins finden.

Empfehlung

Flexibel bleiben! Muss es partout ein Rallye sein? Wie wäre es mit einem normalen Kadett B Coupé? Oder ist die Luxus-Version Olympia mit 1,7- oder 1,9-Liter-Rekord-Motor eine Alternative? Ganze 28 Kadett und neun Olympia-Versionen – je zwei Stufenheck, Fastback, Coupé und Caravan-Modelle – mit Motoren zwischen 1,1 und 1,9 Litern hält die Generation B parat. Oder mal beim Kadett C gucken, da gab es neben dem Rallye ja auch noch den GTE.