Wahnsinn, was für ein Wundermittel! Während die Auto-Industrie schon seit Jahren drauf schwört, komme ich erst langsam auf den Geschmack: Retro statt Botox. Selbst über 40 Jahre alte Oldie-Entwürfe sehen plötzlich aus wie neu. Klinische Studien, die das belegen, gibt es keine. Der neue Chevrolet Camaro, den es bislang nur bei freien Importeuren in Deutschland zu kaufen gibt, parkt breitbeinig vor der Pfütze wie ein echtes Ponycar der 60er im Spiegel der Zeit. Tadamm, tadamm, das Herz beschleunigt, rast trotz schmuckloser Hinterhof-Kulisse. Birgit Gebhardt, Geschäftsführerin des Trendbüros in Hamburg, weiß auch, warum: "Mit Retro steht ein Lebensgefühl wieder auf. Anders als progressives Design, das erst einmal auf Ablehnung stößt, gefällt Retro sofort – ein riesiger Vorteil in der Überflussgesellschaft."

Highlife auf dem Highway im Camaro, Fummeln im Fiat 500

Der erste Dodge Challenger starb 1974 in der Ölkrise, jetzt kommt die Neuauflage – mit Motoren bis zu 6,1 Liter Hubraum.
Überfluss, gutes Stichwort. Denn unter der PS-protzenden Haube des Big Amis scharren so viele Rösser mit den Hufen, dass Umweltpolitiker schwarzsehen. Selbst wenn heutige Motoren dank modernster Katalysator-Technik weniger Schadstoffe emittieren, produzieren die röhrenden V6 oder V8 nicht nur durchdringendes Heavy Metal, sondern haufenweise CO2. Dieser lässige Umgang mit 304 PS und mehr gehört eigentlich in die Nostalgie-Kiste. In eine Zeit, die vom Hier und Heute so weit entfernt liegt wie Texas vom Tegernsee. Ach was, egal, für diesen Moment jedenfalls. "Retro bedeutet eine zweite Chance. Das, was ich verpasst habe, kann ich nun am eigenen Leib erfahren", so Gebhardt. Highlife auf dem Highway im Camaro, Fummeln im Fiat 500, mit dem Beetle über den Brenner – Retro-Autos geben den Käufern die Chance, das Schönste aus den vergangenen Jahrzehnten stilecht nachzuleben. So mutiert jeder Wagen zum Flucht-Auto, Ziel: Sehnsucht, Ausfahrt: Alltag.

Die Top Ten der Retro-Autos gibt's in der Bildergalerie

BMW 507
Muss uns das peinlich sein? Dass wir Typen lieben, die – egal wie hart und sportlich – nach dem Prinzip eines kitschigen Rosamunde-Pilcher-Romans funktionieren? Natürlich nicht, findet Sara Hausmann vom Design-Büro Achta in Dortmund: "Momentan, in Zeiten der Krise, gibt es eine große Sehnsucht nach einem neuen Wirtschaftswunder. Und so ist besonders das naive Design der 50er- Jahre im Trend." Na bitte, da biegt das Cinquecento-Cabrio im Herbst gerade zur richtigen Zeit um die Ecke ... Motto: Immer dem Mini auf den Fersen bleiben, der Retro-Rakete schlechthin. Gemeinsam mit ihrem Partner Achim Böhmer hat Hausmann über das Phänomen "Retro" ein Buch geschrieben und sieht für diesen Trend noch lange kein Ende. "Durch den intelligenten Einsatz historischer Stilelemente in einem neuen Kontext kann innovatives Design entstehen. 'Looking back to the future' nennen wir das."
Zurück in die Zukunft? Da war doch was ... In dem Kino-Kassenschlager spielt nicht nur Ewig-Zwanzig-Sonnyboy Michael J. Fox den Marty McFly, sondern auch ein DeLorean DMC-12 die Hauptrolle. Der extravagante Flügeltürer mit Mittelmotor wäre, wenn wir schon mal beim Thema sind, eine Neuauflage wert. Und die kommt wie bestellt. Auf der IAA 2009 präsentiert Mercedes den SLS, eine Reinkarnation des $(LB492436:300 SL Flügeltürers)$. Und da muss dann mehr gehen, als nur alibimäßig dem Namen neues Leben einzuhauchen. Scirocco, Maybach, Lancia Delta – alles ganz nett, um die Fantasie anzukurbeln. Die nächste Stufe zündet, wer wie Audi den großen Kühlergrill aus Auto-Union-Zeiten übernimmt. "Firmen greifen auch deshalb auf alte Bilder oder Namen zurück, weil es die Markenidentität stärkt", erklärt die Hamburger Trendforscherin Birgit Gebhardt. So entschuldigt ein Ford GT jeden Fusion, ein Beetle Cabrio wiegt jeden Jetta auf. Wie es sonst um die Gesellschaft der Gestrigen bestellt ist, zeigt unsere Hitparade auf den folgenden Seiten. Mein persönliches Retro-Experiment scheiterte übrigens kläglich. Statt in ein Beetle Cabrio zu steigen, musste es eine Jeans-Schlaghose sein. Darin sah ich aus wie meine Mutter – heute.

So hat AUTO BILD gewertet

Aller guten Dinge sind drei. Die besten Charaktereigenschaften, die ein Retro-Modell von Haus aus mitbringen kann, sind: Authentizität – möglichst viel vom historischen Vorbild sollte erhalten sein. Dabei darf der Neue im Retro-Anzug nicht verkleidet wirken (Coolness). Der dritte Punkt bewertet das Design, auf Formen und Materialien kommt es an. Maximale Punktzahl pro Kapitel: zehn.

Fazit

von

Margret Hucko
Schauen wir vorwärts, nicht rückwärts – das haben wir auf den letzten Seiten genug getan. Was davon hängen geblieben ist? Ein gutes Gefühl, das ist der Trick von Retro-Design. Es lässt uns in Erinnerungen schwelgen, die oft schöner sind als die Gegenwart. Deshalb hat diese Form auch Zukunft. Was nicht heißt, dass es keine neuen Linien geben wird. Elektro-Autos werden Trends setzen, garantiert. Aber die erleben in 50 Jahren womöglich auch schon ihre zweite Jugend.

Von

Margret Hucko