Manche Autos kommen von ihrem Negativ-Image niemals los. Der Matra-Simca Bagheera gehört dazu. Bis heute ist die Frucht französischer Ingenieurkunst bekannt als Bürdenträger der "Silbernen Zitrone".
Vergeben wurde die 1971 vom ADAC erfundene Auszeichnung für den Neuwagen mit den meisten Pannen und Herstellungsfehlern. Pech für den Bagheera: Er pirschte zwei Jahre nach Erfindung der ADAC-Zitrone in den Großstadtdschungel. Dass der erste Träger dieses zweifelhaften Preises ein Ford Taunus 1600 XL war, ist in der codierten Häme über den Mittelmotor-Matra in Vergessenheit geraten. Verhallt im teutonischen Gelächter über abgefallene Antriebswellen, abgesackte Motoren, saugstarke Schwämme mit Sportsitzkontur. Der Bagheera schärfte so zumindest in Deutschland sein Profil als französische Diva – und verkaufte sich bis 1980 dennoch weltweit 47.796-mal. Wollte man den Spott weitertreiben, dann schriebe man jetzt über die Erbauer dieses Autos, die von ihren Erzeugnissen keine bis wenig Ahnung hatten.
Nicht abgehoben, gleichwohl spacig: Matra-Kunststoffkleid über simpler Simca-Technik.
Zumindest nicht die Herren der Geschäftsführung des Waffen- und Raumfahrtkonzerns Matra. Der hatte 1964 die kleine Sportwagenschmiede des ebenso begnadeten wie bankrotten Schöpfergeists René Bonnet erworben. Erfahren in Sachen Kunststoffbearbeitung, hatte Matra bereits die Glasfaser-Karosserien für Bonnet atemberaubend schönes Coupé hergestellt, welches man als Matra-Bonnet Djet in Produktion behielt und sich am imageträchtigen Steuerabschreibungsmodell der Automobilfertigung erfreute. Bonnet wurde als Berater kaltgestellt, von Simca stieß alsbald Philippe Guedeon zu Matra, um den 1967 präsentierten Djet-Nachfolger Matra M 530 zu entwickeln. Mittelmotor, Kunststoffkarosserie und Targadächer machten den auch formal ausgefallenen M 530 zum skurrilen Exoten seiner Zeit.
Drei in einer Reihe
Die zeittypisch atmungsinaktiven Polster des Dreisitzers sorgen zusammen mit Regenwasser schnell für sub-tropische Atmosphäre.
Sechs Jahre und 9609 Exemplare später setzte das Luftfahrtunternehmen Matra zur Landung im Dschungel an. Mit dem Bagheera. Den Namen entlehnt von Rudyard Kipling, glitten die planen, meist in schrillen Farben gehaltenen Flanken des Mittelmotorcoupés durch die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Wieder mal einen draufgesetzt hatte Matra mit der Anordnung von drei Sitzen in einer Reihe, von denen allerdings nur der Fahrersitz einzeln ausgeführt war. Mittel- und Rechtsaußen-Passagier teilten sich die aus Schaumstoff gegossene Wohnlandschaft rechts des Fahrers, der ein unten sportlich abgeflachtes Zweispeichen-Lenkrad in den Händen hielt. Der Bagheera sah schnittig aus, umtoste seine Insassen mit Tweed und Plüsch, und wem nicht bereits die ansehnlichen Fahrleistungen des Kunststoff-Keils (Spitze 185 Sachen, 0–100 km/h in zwölf Sekunden) sowie der Fahrtwind (dies durchaus auch bei geschlossenen Türen) ein seliges Lächeln ins Antlitz schnitzte, der wurde spätestens durch das halluzinogene Design des Interieurs benebelt.
Apropos schwindlig: Selbst preislich konnte der Bagheera mit Porsche 914 und Alfa GT Junior mithalten, 14.200 Mark waren 1973 für den Mittelmotor-Beau mit den grünen Augen im Instrumententräger zu entrichten. 1976 liftete man ihn. Neben dem Motor aus dem Simca 1100 Ti mit 84 PS gab es übrigens auch 90 PS aus dem Spender Simca 1308 GT. Bis 1980 stürmte der Bagheera durch das Programm, dann beerbte ihn der Murena. Dem reichte man keine Silberne Zitrone, sondern den sauren Apfel des Todes von Talbot-Matra. Denn die Marke Simca war zwischenzeitlich von Chrysler an Peugeot weitergereicht, in Talbot umbenannt und schließlich eingestellt worden. Das letzte Auto von Matra war übrigens sehr viel später ein Renault Espace. Aber das ist ein anderes Kapitel. Was bleibt, sind kuriose Geschichten über ein erschreckend faszinierendes Sportcoupé der 70er-Jahre. Aber die wurden ja alle schon geschrieben. Oder?
Historie
Alles, nur kein gewöhnliches Sportcoupé bestellen die Matra-Lenker für die 70er-Jahre – und sie bekommen es. Genau wie der Panther aus Rudyard Kiplings "Dschungelbuch" heißt der neue Gleiter Bagheera. Er besitzt eine Kunststoffhaut über einem Stahlblechrahmen und drei Pilotensitze in Reihe plus Mittelmotor. Innen zeigt der 1973 mit 84 PS aus 1,3 Liter Hubraum vorgestellte Bagheera ein schräges Interieur, das einfach nur anders sein will. Im Herbst 1974 präsentiert Matra das Einzelstück Bagheera U8 mit zwei aneinandergeschweißten Vierzylinder-Reihenmotoren – es bleibt bei dem Showcar. Ein Jahr später stellt Matra das luxuriöse Sondermodell Courrège vor. Aufpreis: 2000 Mark. Wiederum ein Jahr darauf verströmt der Bagheera S mit 90 PS aus 1,4 Liter Hubraum eine sportivere Note, Tweedpolster, elektrische Fensterheber und neue Leichtmetallräder machen ihn schicker. 1976 erfährt das Coupé als gelifteter Bagheera II seine Fortsetzung – mit verlängerter Karosse, geändertem Innenraum, neuer Front- und Heckgestaltung, der X ersetzt den Courrège. 1980 Ende der Produktion.
Technische Daten
Der 1,4-Liter-Vierzylinder aus dem Simca 1308 mobilisiert 90 PS.
Matra Simca Bagheera II S: Reihenvierzylinder, Mitte, quer • unten liegende Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, zwei Weber-Doppelvergaser • Hubraum 1442 ccm • Leistung 66 kW (90 PS) bei 5800/min • max. Drehmoment 123 Nm bei 3200/min • Viergangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung an Dreiecklenkern, Torsionsfedern, Stabilisator vorn, an gezogenen Alu-Längslenkern, Torsionsfedern, Stabilisator hinten • Reifen 155 R 13 vorn/185 R 13 hinten • Radstand 2370 mm • selbsttragende Kunststoff-Karosserie mit integriertem Stahlrahmen • Länge/Breite/Höhe 4010/1737/1220 mm • Leergewicht 1015 kg • 0-100 km/h in 12,5 s • Spitze 185 km/h • Verbrauch 9,5 Liter Super pro 100 km • Neupreis 1973: 14.200 Mark.
Plus/Minus
Beim Matra Bagheera vereinen sich mindestens drei, wenn nicht vier Welten: Robuste Kunststoffhaut trifft auf unzerstörbare Simca-Großserientechnik – und auf bröseliges Blechwerk und zerkrümelndes Interieur. Teile kosten nicht die Welt bei Andreas Simon, seit 20 Jahren guter Geist der Matra-Szene. "Schwierig wird es beim Chassis und beim Interieur", sagt der Teilehändler. "Die Dichtigkeit der Karosse wird immer ein Thema sein. Wer einen Bagheera jedoch sorgsam restauriert hat und ihn nicht gleich Winter und Streusalz aussetzt, wird lange Freude haben." Pfusch bei Karosseriereparaturen erkennt man oft schlecht. Tipp: Klubs kontakten, unbedingt einen Experten zur Besichtigung mitnehmen!
Marktlage
Es gibt keine guten Bagheera zu kaufen, Punkt. Diese These ist zwar etwas übertrieben, trifft im Kern jedoch zu, zumindest was die Serie I (1973–1976) betrifft. Die Grotten sind längst geschlachtet, wer ein gutes Exemplar besitzt, gibt es nicht wieder her. Grund: So ein Auto bekommst du nie wieder. Restaurierte Serie-I-Bagheera sind besser als damalige fabrikneue Exemplare (was nicht schwierig ist), die Preisskala (ca. 12.000–20.000 Euro) ist derart offen wie einst manche Bagheera-Unterböden. Der IIer-Bagheera ist im Vergleich erschwinglicher.
Empfehlung
Wer genügend Zeit, Platz und Talent besitzt, kann sich an eine Bagheera-Restaurierung wagen. Alle anderen nicht. Spätestens ein verrottetes Chassis führte in vielen Fällen euphorisch begonnener Instandsetzungen zur Aufgabe des Projekts. Also überlegen: Ein desolates Stück (1000–1500 Euro) als Grundlage erwerben – oder doch gleich lieber ein fertig saniertes? Beide Optionen haben ihre Stolperfallen.
Manche Autos kommen von ihrem Negativ-Image niemals los. Der Matra-Simca Bagheera gehört dazu. Bis heute ist die Frucht französischer Ingenieurkunst bekannt als Bürdenträger der "Silbernen Zitrone", einer 1971 vom ADAC erfundenen Auszeichnung für den Neuwagen mit den meisten Pannen und Herstellungsfehlern.
Bild: Angelika Emmerling
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Der Bagheera schärfte als Träger dieser Auszeichnung in Deutschland sein Profil als französische Diva – und verkaufte sich bis 1980 dennoch weltweit 47.796 Mal.
Bild: Angelika Emmerling
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Der Bagheera sah schnittig aus, empfing seine Insassen mit Plüsch, und wem nicht bereits die guten Fahrleistungen des Kunststoff-Keils (185 km/h, 0-100 km/h in zwölf Sekunden) sowie der Fahrtwind (dies durchaus auch bei geschlossenen Türen) ein seliges Lächeln in Antlitz schnitzte, der wurde durch das halluzinogene Interieur-Design benebelt.
Bild: Angelika Emmerling
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Beim Matra Bagheera vereinen sich heute vier Welten: Robuste Kunststoffhaut trifft auf unzerstörbare Simca-Großserientechnik – und auf bröseliges Blechwerk und zerkrümeltes Interieur. Öft quälend ist der auch der schlecht zugängliche Mittelmotor des Bagheera.
Bild: Angelika Emmerling
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Das gern bestellte Faltdach war nur dann nicht ganz dicht, wenn man es öffnete. Die Dichtigkeit der Karosserie war und ist hingegen immer noch problematisch.
Bild: Angelika Emmerling
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Nicht abgehoben, gleichwohl spacig: Die Heckklappe ist eine große Scheibe.
Bild: Angelika Emmerling
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Kein prima Klima: Die zeittypisch atmungsinaktiven Polster des Dreisitzers sorgen zusammen mit Regenwasser schnell für subtropische Atmosphäre im schnittigen Bagheera. Ohne Konkurrenz bei den Sportwagen war die Anordnung von drei Sitzplätzen nebeneinander.
Bild: Angelika Emmerling
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Herrlich schräge Zukunftsmusik spielt selbst noch das Cockpit des Bagheera II mit orangefarbener Bezifferung.
Bild: Angelika Emmerling
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Die Simca-Motoren machen selten Ärger, schlanke Mechanikerhände sind bei Reparaturen von Vorteil. Der 1,4-Liter-Vierzylinder aus dem Simca 1308 mobilisiert 90 PS im Bagheera II.
Bild: Angelika Emmerling
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René Bonnet war ein gleichermaßen genialer wie finanziell klammer Autokonstrukteur. Matra übernahm sein Unternehmen, aus seinem schnittigen Kunststoff-Sportcoupé wurde der Matra-Bonnet Djet (1964 bis 1968).
Bild: dpa
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1967 folgte auf den Djet die skurrile Targa-Flunder M530. Er galt als weniger harmonisch und sportlich als sein Vorgänger, überzeugte aber durch verbesserte Fahreigenschaften und größere Sicherheit. Immerhin: Schnittiger wurde ein Ford-V4-Motor (aus dem Taunus 17M) niemals verpackt. Auf den Bagheera folgte 1980 der...
Bild: Hersteller
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... Murena. Er übernahm das Grundkonzept inklusive der drei Vordersitze, blieb aber recht erfolglos. Seine Motoren mit 92 bis 142 PS bezog er aus den Talbot-Limousinen Solara unn Tagora. Mit seiner feuerverzinkten Bodengruppe hätte er ewig leben können, ging aber mit dem Mutterkonzern Talbot 1986 unter. Hier kommt noch ein Zicken-Klassiker: Alfa Romeo Montreal.