Ein großer Name mit einem kleinen Preis, garniert mit Technik aus dem Rennsport. Alfa Romeos Nuova Giulietta bietet gleich alles auf einmal. Aber nicht falsch verstehen: Sie mag günstig sein, doch billig ist sie auf gar keinen Fall.
Das war knapp! Fast wäre die Giulietta abhandengekommen, verschwunden aus Alltag und Köpfen. Wäre weg gewesen, einfach so. Schuld hätten dieses Mal nicht Rost, renitente Arbeiter oder Management-Fehler gehabt, so wie bei Alfetta, Alfasud oder Arna. Nein, wir selbst hätten es fast verbockt! Weil die Nuova Giulietta nie als begehrenswert empfunden wurde wie Giulia, Bertone und Spider, weil sie nicht dem formalen Alfa-Ideal entsprach, wollte sie keiner aufbewahren. Spät, fast zu spät, kann sie jetzt endlich den Beweis antreten, dass unter dem verwirrend modernen Kleid ein typischer Alfa Romeo steckt. Und der kostet nicht die Welt: Rund 3700 Euro reichen aus, um eine einst weit verbreitete Giulietta 1.6 im Designer-Anzug und Zustand 3 zu bekommen.
Vorn ein Alfa, hinten ein Unfall: Ihre Keilform machte es früher schwer, die Giulietta spontan zu lieben.
Jochen Lang (42) aus Konstanz schlug zu, als die Gelegenheit günstig war. Nach vielen Alfa im Allgemeinen und sieben Giulietta im Speziellen fand er in Belgien ein frühes Modell von 1981. Im Originalzustand, mit wenig Kilometern, durch Hohlraum-Versiegelung und Heizung in der Garage des Erstbesitzers über die Jahre gerettet. Solch ein Aufwand musste getrieben werden, um eine Giulietta 116 vor dem Verfall zu retten. Typisch für eine ganze verlorene Alfa-Generation. Einen "Feingeist" nennt Lang seine Giulietta 1.6, weil komplexe Transaxle-Technik drinsteckt und der feine DOHC-Vierzylinder aus Leichtmetall klingt und dreht, wie es eben nur Motoren der goldenen Alfa-Epoche können. Klar, der Wartungsaufwand einer Konstruktion mit drei Hardyscheiben und innen liegenden Bremsscheiben sollte nicht unterschätzt werden, aber wo gab es damals etwas Vergleichbares in der unteren Mittelklasse? "Die Technik war nie das Problem", sagt Lang. Und meint unausgesprochen: aber das Aussehen. Am hohen Heck mit Spoilerkante, dem integrierten Auffahrunfall ab Werk, schieden sich 1977 die Geister, das keilförmige Äußere spaltet noch heute. Traditionalisten, allen voran die Giulia-Fahrer, haben Alfa Romeo die Nuova Giulietta nie verziehen. Ermanno Cressoni hat sie entworfen, der Leiter des Centro Stile Alfa Romeo wagte mutig die Abkehr vom Alten und gab damit die Linie für Jahrzehnte vor: Die ansteigende Silhouette mit klaren Kanten, "La Linea" getauft, trugen Alfa 75 und 33 bis in die 90er-Jahre. Dass Jung-Designer Chris Bangle bei Cressoni in die Lehre ging, war sicher kein Zufall.
Heute wirkt die Verbindung aus klassischer Technik und moderner Form schön schrullig.
Als VW Jetta II und Mercedes C-Klasse Jahre später mit gleicher Optik auf den Plan traten, wird sich Maestro Cressoni bestätigt gesehen haben: Nicht der Designer bestimmte die Form, sondern der Wind. Ein Stufenheck-Auto mit gutem cW-Wert musste einfach so aussehen. Leider spielte die Zeit der Giulietta nicht in die Hände. Weil aus der Avantgarde von früher der Mainstream von heute geworden ist, braucht es Selbstbewusstsein, um eine Nuova Giulietta zu lieben. Ihr Design polarisiert, die Machart wirkt dünnhäutig und mager. Für einen Viertürer ist der Kofferraum mit 210 Liter Volumen lächerlich klein, und das Image liegt auf Fiat-Regata-Niveau. Einerseits. Andererseits erhebt sie ihr Individualisten-Charme über die Masse der Immerbeliebten. Inmitten einer Tagesproduktion totrestaurierter Duetto-Spider sorgt eine pur und sparsam erscheinende Giulietta der ersten Serie für Schnappatmung und Diskussionsstoff auf jedem Oldtimer-Treffen. Darf die hier rein, ist das überhaupt ein Klassiker? Liebhaber des futuristischen 70er-Jahre-Designs starren dann gebannt durchs serienmäßige Colorglas: beiges Alfatex, ein brauner Armaturenbrett-Quader samt schrulliger Handschuhfach-Schublade. Einzig der lange, aus einem Säckchen wachsende Schaltknüppel des hakeligen Fünfganggetriebes erinnert daran, dass ein Alfa-Cockpit auch Sinnlichkeit verströmen kann. Den klassischen Hupenknopf aus Holz ersetzte Ermanno Cressoni durch eine wulstige Plastik-Prallplatte. Die Instrumente und Anzeigen zwängte er – der von ihm bevorzugten Tabletten-Form als stilistischem Leitmotiv folgend – in eine Art aufgesetzte Plastikkiste.
Die braune Armaturenlandschaft besitzen alle Autos der ersten Serie.
Nur Kenner der Materie können eine Giulietta 116 überhaupt korrekt einsortieren und wissen, dass in dem hochbeinigen Viertürer die feingliedrige Technologie der ingeniösen Alfetta steckt. Noch vor Porsche und dem 924 verbaute Alfa Romeo bei der Alfetta ab 1972 die Transaxle-Technik in der Großserie. Zur besseren Gewichtsverteilung sitzen Getriebe, Kupplung und Differenzial in einem Bauteil an der Hinterachse. Weil Hightech aber nur in großen Stückzahlen Geld verdienen kann, wuchs auf Basis des Chassis 116 gleich eine ganze Modellfamilie heran: 1974 erschien der Alfetta GT, 1977 wurden die neue Giulietta und 1985 der Alfa 75 angedockt. Als Nachfolgerin der Giulia und unterhalb der großen Alfetta positioniert, sollte die Giulietta vielen Ansprüchen genügen: Sie musste gusseiserne Alfisti begeistern, Familien gefallen, sportlich und praktisch zugleich sein und mit bekannter Technik als neues Auto brillieren. Vielleicht war das alles ein bisschen viel. Vom 1300er bis zum aufgeladenen Zweiliter-Vierzylinder wurde montiert, was der Baukasten hergab. Nur Modellvielfalt war nicht vorgesehen. Die reizvollen Spielarten der Ur-Giulietta, Spider und Sprint, Speciale und Veloce, es gab sie nie. So bleibt es der spröden Berlina überlassen, eine fast verlorene Baureihe zu retten. Machen Sie mit, bevor es zu spät ist.
Technische Daten
Der feine DOHC-Vierzylinder aus Leichtmetall klingt und dreht, wie es eben nur Motoren der goldenen Alfa-Epoche können.
Alfa Romeo Giulietta 1.6Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs • zwei obenliegende Nockenwellen, über Duplexkette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder • zwei Fallstrom-Doppelvergaser Dellorto DHLA 40 H • Hubraum 1570 ccm • Leistung 79 kW (108 PS) bei 5600/min • max. Drehmoment 141 Nm bei 4300/min • Antrieb/Fahrwerk: Fünfgangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung an Querlenkern und Drehstäben vorn, DeDion-Achse an Schraubenfedern hinten • Reifen 165 SR 13 • Maße: Radstand 2510 mm • Länge/Breite/ Höhe 4210/1650/1400 mm • Leergewicht 1070 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 11,5 s • Spitze 174 km/h • Verbrauch 11,5 l Super pro 100 km • Neupreis: 16.690 Mark (1979).
Historie
1977: Alfa Romeo präsentiert den Nachfolger der seit 1962 produzierten Giulia. Die Nuova Giulietta Typ 116 basiert auf der Bodengruppe der 1972 vorgestellten Alfetta und verfügt über DOHC-Motor, Hinterradantrieb und Transaxle-Technik. Die Vierzylinder stammen vom Vorgängermodell, die 1,3-Liter-Version leistet 95, die 1,6-Liter-Variante 106 PS. Die Diesel-Version mit Zweiliter-Selbstzünder bleibt dem Heimatmarkt vorbehalten. 1978: Das Motorenangebot wird nach oben erweitert, die Giulietta 1.8 ist 122 PS stark. 1980: Der Zweiliter-Vierzylinder der Alfetta kommt dazu, der Motor leistet 130 PS. Die Giulietta der zweiten Serie erhält ein Facelift (u. a. Kunststoff- statt Stahlstoßfänger). 1983: Das Topmodell Giulietta Turbodelta mit aufgeladenem Zweiliter-Motor und 170 PS wird vorgestellt. Zum Einsatz im Rennsport kommt es nicht, statt der geplanten 500 Exemplare werden nur 361 Stück gebaut. Größere Stoßstangen, Plastikverkleidungen und ein neues Armaturenbrett kennzeichnen die dritte Serie. 1984: Die Sonderserie "Giulietta 2.0 Zender Alfa Sport" (1000 Stück) leitet das Finale ein. 1985: Produktionsende, der Alfa 75 folgt.
Plus/Minus
Als Nachfolgerin der Giulia und unterhalb der großen Alfetta positioniert, sollte die Giulietta vielen Ansprüchen genügen.
Ausgereifte, langlebige und spaßbringende DOHC-Vierzylindermotoren, erprobte Fahrwerkkomponenten, aufwendige Transaxle-Technik mit Rennsport-Hintergrund und darüber ein großer Name: Giuliettas Liste der Pluspunkte ist lang, nur leider sieht sie so gar nicht danach aus. Obwohl in der Giulia-Nachfolgerin jede Menge exquisiter Anlagen stecken, schaut die Alfa-Gemeinde konsequent weg. Die als Stilbruch empfundene moderne Keilform steht der Klassiker-Karriere nachhaltig im Weg. Modelle mit 1,8- und Zweiliter-Motor gelten als harmonisch motorisiert, die Giulietta 1.6 ist ein Fall für Drehzahl-Fans, die 1,3-Liter-Variante zu schlapp für Feinschmecker. Aber auch das ist Geschmackssache. Konkrete Schwächen leistet sich die Giulietta Typ 116 jedoch bei Materialqualität und Rostanfälligkeit, womit wir beim Thema ...
Ersatzteile
... wären. "Technik geht immer, die Karosserie ist entscheidend", sagt Jochen Lang, Typ-Referent Giulietta 116 im Alfaclub. In kaum geschützten Hohlräumen und zwischen gedoppelten Blechen blüht der Rost, die hinteren Radhäuser und vorderen Scheibenrahmen-Ecken sind besonders gefährdet. Kotflügel, Heckblech und Türen (Letztere sind baugleich mit dem Alfa 75) sind noch zu bekommen. Der Baukasten hilft beim Erhalt: Weil Alfetta, Giulietta und 75 auf einer Bodengruppe aufbauen und sich die Antriebstechnik teilen, gibt es keine Engpässe. Länger dauert die Suche nach Teilen für den Innenraum.
Marktlage
Es ist einfacher, eine voll restaurierte Giulietta Sprint aus den 50ern zu bekommen, als eine wirklich gute Giulietta aus den 80ern. Für Autos der Extraklasse werden auch schon mal fünfstellige Summen verlangt, allerdings ist die Nachfrage gering. Wer sucht, sollte den gesamteuropäischen Markt im Auge behalten.
Empfehlung
Die starken Zweiliter-Modelle sind am gefragtesten, aber die weiter verbreiteten 1600er kosten weniger. Wer jedoch nur nach dem niedrigsten Preis schaut, zahlt bald extra. Die Karosserie ist der Schwachpunkt der Giulietta Nuova, ihr Zustand entscheidet darüber, ob aus dem Schnäppchen am Ende ein schlechtes Geschäft wird. Welcher Motor drinsteckt, sollte bei guter Blechsubstanz zweitrangig sein.