Kaum steigst du in den großen Borgward, spürst du den Einfluss des Alten. Carl F. W. Borgward sei Sitzriese gewesen, habe die Sitzpositionen seiner Autos auf seine Statur abstimmen lassen, sagen Zeitzeugen. Tatsächlich: Zwar sitzt es sich gut auf dem Einzelsessel, aber beim Wechsel vom Gas- zum Bremspedal kollidiert das Knie langbeiniger Fahrer ständig mit dem großen Lenkrad. Weiterfahrt in der Ahnenforschung. Carl F. W. hat üppige Armaturentafeln geliebt. Bitte schön – nur der Fiat 2100 versucht hier, mit Borgwards reich bestücktem Arbeitsplatz, mit den vielen Schaltern und Zeigern mitzuhalten, die Armaturen von Mercedes 220 b und Opel Kapitän wirken im Vergleich eher schlicht.
Borgward P 100
Die Straßenlage des Borgward P 100 fand das Lob der internationalen Fachpresse, ebenso Ausstattung und Komfort.
Bild: T. Bader
Ein genialer Konstrukteur sei Carl F. W. gewesen, behaupten die Pfleger seines Erbes. Stimmt ja auch. Schon die erste deutsche Ponton-Karosserie war 1949 aus Bremen gekommen: der Hansa, der dazu mit eigener Vollautomatik sowie Blinkern statt Winker überraschte. Und jetzt, 1960, — die Luftfederung "Airswing". Wer die visionäre Technik zu warten weiß, der kann die bombensichere Straßenlage des luftgefederten P 100 bis heute genießen. Der Borgward schwebt nicht wie die DS von Citroën, er ist stattdessen straff abgestimmt und kennt in Kurven kaum Seitenneigung. Zum Bremer Hightech-Auto passt die optionale Getriebeautomatik, die Borgward bei Hobbs in England bauen ließ. Weil irgendwann kein Schrauber mehr damit zurechtkam, tauschten die meisten Besitzer sie gegen das manuelle Getriebe.

Klassiker der Moderne: Isabella, Borgwards Traumfrau

Borgward P 100
Eine Borgward-Marotte war der große runde Tacho auf der linken Seite.
Bild: T. Bader
Nicht jedoch Günter Dracklé, der Eigner des P 100 aus der Galerie (siehe oben). Er beließ es bei der Automatik. Nach mehr als fünf Jahrzehnten flutschen die Gänge willig durch alle vier Stufen. Nur das leichte Ruckeln beim Gangwechsel verrät das Alter der Konstruktion – und die Tatsache, dass es keine Ganganzeige gibt. Doch das Temperament des schweren Wagens zügelt die Automatik nicht, in 17 Sekundem erreicht der 1,4-Tonner tiefenentspannt Tempo 100. Der um zwei Zylinder verlängerte Isabella-Motor, haltbar und sportlich wie in der kleineren Limousine, meldet sich mit seiner (damals sehr ungewöhnlichen) Zwölf-Volt-Anlage stets fröhlich zur Arbeit und ist auch akustisch ein treuer Begleiter. Auf Deutsch: Der Langhuber ist für heutige Begriffe laut. Aber seidiger Lauf war ja nie eine Borgward-Spezialität. Und allzu viele Käufer hat es beim P 100 nicht gestört, denn schon nach 2587 Wagen ging Borgward die Luft aus. "Der Erfolg bietet sich meist denen, die kühn handeln, nicht denen, die nichts wagen wollen", schrieb Herodot vor 2400 Jahren. Im Automobilgeschäft der frühen 60er galt das leider nicht mehr.