Diese Geschichte handelt von der wilden Epoche der instabilen Fahrzustände, deren Hauptdarsteller ein ganz unschuldiger kleiner Anfänger aus England wurde: der Ford Escort RS 1600.
Bild: M. Heimbach
Es war einmal eine schöne Zeit, als ein ordentlicher Rallyefahrer eine Kurve so anging: Er lenkte kurz vorher in die verkehrte Richtung, tippte auf die Bremse, um den störenden Grip loszuwerden, steuerte dabei rasch in die richtige Richtung, bis der Hintern wie die Glocke im Kirchturm rüberschwenkte, gab beherzt Gas, lenkte wieder in die falsche Richtung und balancierte den Rest durch Ausschmieren der Kurve, bis er in die nächste Gerade raspelte, während die Zuschauer sich bekreuzigten. Es war die hohe Zeit der Escort und solcher Typen wie Timo Mäkinen und Hannu Mikkola, die Landschaften vor ihnen meist durch die Seitenscheiben betrachteten. Das Credo für Erfolg war ziemlich schlicht: leichtes Auto und viel Kraft. Aus Spitzfindigkeiten wie Traktion, Gewichtsverteilung und direkter Kurvenlinie machte da niemand eine Wissenschaft. Hauptsache, das Heck hing korrekt seitlich raus, als Beweis, dass man schnell war. Man nannte es auch den "sicheren Stil".
Eigentlich hatte Ford den Escort RS 1600 mit Cosworth-BDA-Motor fürs Rallyefahren gedacht, er war aber auch auf der Rennstrecke das Maß der Dinge.
Bild: M. Heimbach
Vorher, lange bevor Vorderradantrieb das Leben in den Autos zum Erlöschen brachte, fuhr Ford mit dem Cortina, der aber eine betuliche Schachtel war. Daher griff sich die Motorsportabteilung 1967 einen Vorserien-Prototyp des Escort und pflanzte die guten Teile aus dem Cortina in das neue, nachgerade primitive Auto mit Hundeknochen-Gesicht, vor allem den Lotus-Doppelnockenwellenmotor. Und siehe da, das Ding war gleich beweglicher als die alte Schachtel. In der Straßenversion leistete das Twin-Cam-Biest 109 PS! Wer hat da jetzt gelacht? 1968 besaß das reguläre Escort-Topmodell GT 64 PS. Die 109 im Twin Cam waren eine komplett andere Galaxie! Wir reden von Zeiten, als es ein ernsthafter Mittelmotor-Sportwagen namens VW-Porsche 914 auf 80 Pferde brachte. Im Rallyetrimm war der Escort TC natürlich stärker und spuckte heldenhafte 175 PS auf die von mangelnder Traktion geplagte starre, blattgefederte Hinterachse, die das Querfahren zur natürlichen Fortbewegungsart des Escort machte. Siege bei Tulpen-, Irland-, Alpen-, 1000-Seen- und Akropolis-Rallye schufen die Basis für den soliden Pulverdampf-Mythos des Hausfrauenvehikels.
Außen sieht der RS 1600 in seinem unschuldigen Weiß beinahe wie der Untersatz einer britischen Gemeindeschwester aus.
Bild: M. Heimbach
1968 und 69 holte Ford gleich mal die Markenweltmeisterschaften, die damals noch nicht so hießen, und siegte mit Hannu Mikkola 1970 bei der epischen World-Cup-Rally London–Mexico, 24.000 Kilometer lang, allerdings mit dem robusten Ur-Cortina-Motor und 138 PS. Aber die Konkurrenz schlief ja nicht, es kamen spitze Geräte von RenaultAlpine und Porsche in die WM, bei denen die Welt erstmals kapierte, dass ein tiefer Schwerpunkt und Traktion durch motorbelastete Antriebsräder günstig fürs rasche Vorwärtskommen sind. Ford antwortete trotzig: noch mehr Power im Hundeknochen. Damit sind wir beim Hauptdarsteller unserer Story, dem Escort RS 1600. Das RS steht für Rallye Sport. Statt des Lotus-Doppelnockenwellenmotors bekam er einen viel besseren von Cosworth, Kurzname: BDA. Das bedeutet Belt Drive A Series. Der Motorblock war der gute gusseiserne Kent-Block aus zahlreichen lahmen Vorstadt-Limousinen. Den Saft produzierte hingegen der filigrane Vierventil-Zylinderkopf mit zwei oben liegenden Nockenwellen, die von einem Zahnriemen angetrieben wurden (Belt Drive), der an den Gordischen Knoten erinnerte. Trotzdem war das brüllende Ding robust. Es hatte zunächst 1601 Kubikzentimeter, damit man in der Zweiliter-Klasse antreten konnte, und sukzessive steigerte Ford den Hubraum.
Die Schalensitze sind im Inneren das Einzige, das an den wahren Zweck des Autos gemahnt: volles Kanonenrohr zu fahren.
Bild: M. Heimbach
Am Ende leistete der Motor 270 PS. In der Straßenvariante, von der nur ein paar wenige nach Deutschland tröpfelten, leistete der RS mit Dell’Orto-Vergasern 115 PS. Er ließ sich aber willig von allen Zwängen befreien, weshalb unser hier vorgestellter – mit voller Weber-Vergaserfabrik und schlanken Rennluftfiltern – als 1750er gleich mal 210 PS abliefert. Außen sieht er in seinem unschuldigen Weiß hingegen beinahe wie der Untersatz einer britischen Gemeindeschwester aus, wenn da nicht die dicken Kotflügelbacken aus Stahl und die originalen Minilite-Räder wären, an unserem Auto ein Zoll breiter als normal. Auch innen setzt sich die Gemeindeschwestern-Welt in flächendeckenden schwarzen Landschaften fort. Da ist nicht mal ein Handschuhfach! Als Schmuck müssen Löcher in den Lenkradspeichen und in den Pedalen reichen. Nur die Schalensitze verraten das böse Tier. Aber dann kommt das Fahren, bei dem wir erstaunt feststellen, wie phänomenal exakt alles geht – im Gegensatz zum Massen-Escort. Die Lenkung zackt direkt ums Eck, das Fahrwerk meldet alles, was die Reifen erleben, ungefiltert und auf kürzestem Wege in die Körpersensoren im Heck des Fahrers. Und die Bremse wirkt hart, aber gerecht. Dazu dieser wunderbare, beim Ansaugen kehlig röchelnde und schlürfende Motor. Nein, da verwundert auch nicht, welche Preise für echte RS bezahlt werden und wie kriminell hoch die Anzahl der Fälschungen ist. Allein ein Motor kostet an die 15.000 Euro, das ganze Auto ist erst ab 60.000 zu kriegen. Bei solch teuren Teilen überlegt man sich dann lieber zweimal, ob man Kurven wirklich quer nimmt? Heute ist nicht alles schöner.
Technische Daten
Der berühmte Cosworth-BDA-Motor mit seinem komplizierten Belt-Drive (Zahnriemenantrieb), hier mit zwei Weber-Doppelvergasern.
Bild: M. Heimbach
Ford Escort RS 1600 Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs • zwei oben liegende Nockenwellen, über Zahnriemen angetrieben, hängende Ventile, zwei 40-mm-Dell’Orto-Doppelvergaser • Hubraum 1601 ccm • Leistung 85 kW (115 PS) bei 6500/min • max. Drehmoment 149 Nm bei 4500/min • Antrieb/Fahrwerk: Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung vorn an MacPherson-Federbeinen, Querlenkern und Querstabilisator, hinten Starrachse an Längsblattfedern, Längslenkern, Teleskopstoßdämpfer rundum, Zahnstangenlenkung, Scheibenbremsen vorn, Trommelbremsen hinten • Reifen 175/70 HR 13, selbsttragende Karosserie • Maße: Radstand 2400 mm • L/B/H 3975/1570/1384 mm • Leergewicht 785 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 8,5 s • Spitze ca. 180 km/h • Verbrauch k. A. • Neupreis: 1447 Pfund (1970), ca. 17.000 Mark.
Historie
Ford treibt in den 50ern und 60ern viel Sport, zum Beispiel mit dem behäbigen Cortina, weshalb die Rennabteilung froh ist, als 1967 ein neuer Kleinwagen namens Escort der Vollendung entgegenstrebt. Das leichte, simple und anspruchslose Ding ist ideal zum Heißmachen. So entsteht 1968 der Escort Twin Cam mit 112 PS starkem Lotus-Doppelnocker, aber nur zwei Ventilen pro Zylinder – bei Rallyes räumt er sofort alles ab. Als die Konkurrenz nachlegt, reagiert Ford 1972 mit einem Vierventiler auf dem gleichen Kent-Block, der bei Cosworth entsteht und BDA genannt wird. Das zugehörige Auto heißt Escort RS 1600. Zwischendurch findet noch die Rallye London–Mexico statt, die Ford mit einem abgespeckten Stoßstangen-Motor im Escort gewinnt, worauf das Sportmodell Escort Mexico in die Schauräume rollt. Zwar liegt der Fokus der Ford-Sportaktivitäten auf Rallyes, doch die deutsche Dependance setzt den Escort RS auch sehr erfolgreich bei Rundstreckenrennen ein. 1973 und 74 baut Ford schließlich den weniger heiklen RS 2000, der mit nur einer oben liegenden Nockenwelle für den Breitensport ausgelegt ist.
Plus/Minus
Wer einen Escort RS 1600 BDA hat, besitzt eine feine Wertanlage. Darüber hinaus ist es eine große Freude, ihn zu fahren.
Bild: M. Heimbach
Billiger wird er nicht mehr: Wer einen Escort RS 1600 BDA hat, besitzt eine feine Wertanlage. Darüber hinaus ist es eine große Freude, ihn zu fahren, einen Rennwagen für die Straße, der äußerlich so artig daherkommt. Aber schon der Sound ist ein Gedicht. Nachteilig ist inzwischen der beachtliche Einstiegspreis von etwa 60.000 Euro – und das für ein Auto, das Laien für eine nichtswürdige Allerwelts-Kleinwagen-Schüssel halten. Auch braucht so ein Renner mit seiner hochgezüchteten Technik viel Aufmerksamkeit. Alle 5000 Kilometer müssen die Ventile eingestellt werden, und das ist nicht mal eben so gemacht. Und: Vorsicht vor den vielen Fälschungen! Äußerlich lässt sich ein beliebiger Escort 1 relativ leicht auf RS trimmen. Zum Kauf also unbedingt einen Experten mitnehmen, der die Feinheiten des wilden Knochen-Ford kennt.
Ersatzteile
Die Großserien-Teile des Escort – also Karosserie, Innenraum – sind weder schwer zu beschaffen noch teuer. Anders sieht es bei den RS-spezifischen Teilen aus, die sind zwar auch erhältlich, aber deutlich teurer. Der Hightech-Motor schlägt mit knapp 15.000 Euro zu Buche. Spezialist ist Hans- Gerd Brauneiser von der Rheinlandgarage in Köln. Besonders die Briten lieben den Escort und fahren ihn als RS häufig in Klassik-Wettbewerben, sodass man auf der Insel praktisch alles kaufen kann. Wegen der England-Connection ist auch der Brand des Teilelagers in Köln-Merkenich 1977 für den Escort nicht so ein Drama gewesen.
Marktlage
Hundeknochen-RS sind Raritäten, schließlich fuhr mit ihnen niemand brav ins Büro. Statt dessen erlebten sie auf Rallyes und Rundstrecken die Hölle. Vom RS 1600 entstanden nur 1200 Stück und davon nur ein paar als Linkslenker. Allerdings gab es ja vorher den TC und später den weniger nervösen RS 2000 mit Pinto-Motor und nur einer obenliegenden Nockenwelle.
Empfehlung
An erster Stelle steht der RS 1600. Er hat klar den besten Motor, der den Escort zum erfolgreichsten Rallyeauto aller Zeiten machte. Aber auch der schwächere Vorläufer TC ist begehrt. Dann kommt der RS 2000 mit dem simplen Motor. Als Sonderserie gab es den Escort Mexico, ein sportliches Marketing-Derivat mit Allerwelts-Technik.