Mit dem Audi 100 C3 kämpfen sich die Ingolstädter 1982 nach oben. Mit Windschnittigkeit, Leichtbau und Effizienz prägt der glatte 100er den neuen Blick auf Audi.
Ehrgeiz! Leichtbau, Aerodynamik, Minderverbrauch, bessere Fahrleistungen? Sind nur Nebenprodukte davon. Beim Audi 100 Typ 44 geht es um Ehrgeiz. Er personifiziert sich im damaligen Audi-Chefentwickler Ferdinand Piëch. Bei der Premiere des Audi 100 gerade 45 Jahre alt, hat er spätestens 1969 beim Porsche 917 bewiesen, dass er lieber in Kauf nimmt, eine Firma finanziell zu ruinieren, als technische Kompromisse zu akzeptieren. Später forciert er den quattro-Antrieb so durchtrieben, dass viele glauben, er habe ihn erfunden. Zu den Erkenntnissen aus 125 Jahren Automobilgeschichte zählt (neben jener, besser keinen V8-Frontmotor-Sportwagen als Ersatz für den 911 zu präsentieren) die, sich nicht mit Ferdinand Karl Piëch anzulegen. Vor allem nicht, wenn er dein Boss ist.
Mercedes und BMW haben kein Auge für Audi
Mit dem Typ 44 bekommt Audi endlich einen Fuß in die Tür zur Premium-Etage.
Bild: A. Perkovic
Anfang der 1980er jedenfalls ignorieren BMW und Mercedes die Aufstiegs-Ambitionen Audis nicht einmal. Die quattro-Revolution hat sie zwar überrumpelt, aber noch sehen die Modelle aus Ingolstadt und Neckarsulm kastig und bieder statt fortschrittlich aus. Dann entsteigt der Typ 44 dem Windkanal. Früher umpusteten die Aerodynamiker erst fertig entwickelte Modelle, schliffen ein paar Eckchen ab oder pappten Spoiler ans Heck. Der Audi 100 entwickelt sich anders: Er startet als optimiertes Aero-Modell mit einem cW-Wert von 0,25, dessen Form die Techniker auf alltagstauglich trimmen. Es dürfte keine böswillige Unterstellung sein zu behaupten, dass die Bemühungen um Praxisnutzen einem Aerodynamik-Weltrekord nicht im Weg stehen sollten. Schon das Forschungsauto zur IAA 1981 nimmt die Form des 100 vorweg. Dennoch sorgt die Konsequenz, mit der Audi die Erkenntnisse des Windkanals in der Serienversion umsetzt, für Aufregung. Der Typ 44 gilt als Revolution, so bieder seine Details auch immer noch aussehen mögen. Das Vierzylinder-Basismodell ohne rechten Außenspiegel und mit schmaleren Kühllufteinlässen erzielt einen cW-Wert von 0,30, was der Autowelt neben diesem Rekord einen neuen Superlativ einbringt: "Der Windschlüpfigste" sei er, ist zu lesen, besser noch als Mercedes 190 oder Ford Sierra, was sich durch viel Feinarbeit und etwas Ignoranz erklärt.
Die dritte Generation des 100 bezwingt den Wind, allerdings ohne große Rücksicht auf praktische Belange.
Bild: A. Perkovic
Clevere Details wie überlappende Seitenleisten, eine Gummilippe an der Motorhaube und eine vor den Scheibenwischer hochgezogene Blechkante lenken den Luftstrom effektiv über die Karosserie und verbessern die Windschnittigkeit ebenso wie glatte Radabdeckungen, eingeklebte Front- und Heckscheiben und die schräg stehenden, plan eingepassten Seitenfenster. All das bleibt im Alltag – wie der Verzicht auf Regenleisten auf dem Dach – nicht ohne Auswirkungen. Zwar steigert der Audi bei gleicher Leistung die Höchstgeschwindigkeit im Vergleich zum Vorgänger – dessen cW-Wert von 0,44 in zeitgenössischen Berichten geradezu empörte Erwähnung findet – um bis zu zehn km/h und spart bis zu 18 Prozent Benzin. Doch die reichlich verglaste, schmal überdachte Fahrgastzelle heizt sich im Sommer heftig auf. Obwohl das Cockpit auf den ersten Blick nur aus Lüftungsdüsen zu bestehen scheint, kommt selbst die optionale Klimaanlage kaum gegen die Hitze an. Zudem rücken die Passagiere weit in die Mitte. Die seltsame Sitzposition des Fahrers erklärt sich auch durch das zu weit nach rechts versetzte Lenkrad.
Lang übersetztes Getriebe
Erst ab 1988 reißt Procon-ten bei einem Unfall das Lenkrad in Richtung Armaturenbrett und strafft die vorderen Gurte.
Bild: A. Perkovic
Abgesehen davon fährt sich der revolutionäre 44er fast enttäuschend unspektakulär. Was daran liegt, dass er technisch an seinen Vorgänger anknüpft. Es gibt einen neuen Basismotor mit 75 PS, der vom Golf-GTI-Triebwerk abstammt und an ein 4+E-Getriebe dockt, das auf absurde 300 km/h übersetzt ist. Innen richteten die Designer den 100 eleganter und hochwertiger ein. Obwohl mit 1080 kg Basisgewicht ebenso leicht wie der 37,3 Zentimeter kürzere Mercedes 190, wirkt der Audi 100 kaum weniger solide. Auf Sechszylindertriebwerke muss der Typ 44 selbst als 200 verzichten, ebenso wie auf eine moderne Hinterradaufhängung. Stattdessen gautscht der C3 mit seiner weich gefederten hinteren Starrachse um Kurven. Auf der Autobahn übertönt der rauchige Lauf des Fünfzylindermotors das sachte Zupfen des Windes an der feingeschliffenen Karosse. Und solange die Sonne nicht brennt, reisen fünf Passagiere mit reichlich Platz und feinem Komfort. Trotz allen Ehrgeizes gehört Audi mit dem 100 noch nicht zum Establishment. Doch mit Rekord-Aerodynamik, später als TDI oder Hybrid Duo, zählt dieses Ingenieurauto zu den wichtigsten seiner Epoche. Der Typ 44 hatte Glück, dass er Piëch hatte.
Bildergalerie
Bilder: Audi 100 quattro Typ 44
Historie
Ein Jahr vor dem Debüt des Typ 44 präsentiert Audi auf der IAA 1981 ein Forschungsauto. Ebenfalls von Hartmut Warkuß gestylt, nimmt es die Form des 100 weitgehend vorweg. Im Sommer 1982 startet der Typ 44 (offizieller Code: C3) mit vier Motoren: drei Benziner (1,8-Liter-Vierzylinder mit 75, zwei Fünfzylinder-Benziner mit 1,9/2,1 Litern und 100/136 PS), dazu ein Zweiliter-Fünfzylinder-Diesel mit 75 PS. 1983 folgen die Kombiversion Avant und der 200, 1984 der allradgetriebene quattro, den 1.8 gibt es optional mit Kat. Ab August 1985 wird der Typ 44 voll verzinkt. Die einzige große Modellpflege findet Anfang 1988 statt. Nun bekommt der Typ 44 plan anliegende Klapptürgriffe, ein höherwertiges Cockpit, eine feinere Innenraumverkleidung sowie geänderte Heckleuchten und serienmäßig einen Kat für die Benziner. 1989 präsentiert Audi mit dem Duo eine Hybridversion: Ein 136-PS-Benziner treibt die Vorderräder an, ein 9,4-kWE- Motor die Hinterachse. 1990 startet Audi mit dem 2.5 TDI (120 PS) in die Epoche der Turbodiesel-Direkteinspritzer. Im selben Jahr kommt der 100 Typ C4, der 200 wird bis 1991 gebaut.
Technische Daten
Die sehr lang übersetzte 4+E-Box fördert die sachten Temperamentsausbrüche des Fünfzylinders nicht gerade.
Bild: A. Perkovic
Audi 100 1.9 CC: Motor: Reihenfünfzylinder, vorn längs • eine oben liegende Nockenwelle, angetrieben über Zahnriemen • zwei Ventile pro Zylinder • ein Solex-2B2-Vergaser • Bohrung x Hub 79,5 x 77,4 mm • Hubraum 1921 ccm • Verdichtung 10,0 : 1 • Leistung 74 kW (100 PS) bei 5200/min • Drehmoment 150 Nm bei 3200/min • Antrieb: Fünfgang-Schaltgetriebe (4+E), auf Wunsch Dreistufenautomatik • Vorderradantrieb • Fahrwerk: vorn Einzelradaufhängung mit Querlenkern, Federbeinen, Stabilisator • hinten Starrachse mit Längslenkern, Panhardstab, Feder-Dämpfereinheiten • Scheibenbremsen vorn, Trommelbremsen hinten • Reifen 165 SR 14 • Maße: Radstand 2687 mm • L/B/H 4793/1814/ 1422 mm • Leergewicht 1145 kg • Kofferraumvolumen 570 l • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h 12,2 s • Höchstgeschwindigkeit 176 km/h • Verbrauch 10,5 l S/100 km • Neupreis: 25.206 Mark (1983)
Plus/Minus
Bei guter Pflege ist der C3 fast unverwüstlich, schafft locker eine halbe Million Kilometer. Zudem überzeugt er bis heute mit üppigem Raumangebot, sicheren Fahreigenschaften und der enorm soliden Verarbeitung. Allerdings sollten sich Interessenten nicht von der Suche nach Rost abhalten lassen, weil der Audi voll verzinkt ist. Nicht nur Unfallschäden, sondern auch das Alter kann die Verzinkung in ihrer Wirkung mindern. Also Front- und Heckscheibenrahmen, Radläufe, vordere Kotflügel, Endspitzen, Heckklappe und den Bereich um den Tankdeckel checken. Bei den Benzinern sollte alle 90.000 km bzw. acht bis zehn Jahre der Zahnriemen gewechselt werden, bei Modellen mit Servolenkung auf Ölverlust achten. Die Leichtbau-Karosserie wird mit den Jahrzehnten etwas weich, mitunter entstehen Risse im Bereich der Spritzwand in Richtung rechter Federbeindom. Sehr robust dagegen sind die Abgasanlagen.
Ersatzteile
Trotz allen Ehrgeizes gehörte Audi mit dem 100 noch nicht zum Establishment.
Bild: A. Perkovic
So günstig der 100 in der Anschaffung ist, so teuer sind Ersatzteile. Das liegt auch an der angespannten Situation: Querlenker, Teile für die Zentralhydraulik (Bremsen, Servolenkung) oder Kühler sind kaum mehr zu bekommen. Das gilt ebenfalls für weniger relevante Elemente wie Innenausstattungsdetails oder spezielle Karosserieteile der Sondermodelle. Richtig teuer werden Standschäden an der K- und KE-Jetronic. Ersatz kostet viel, noch mehr aber hilflose Werkstätten, die mit der Gemischaufbereitung nicht klarkommen. Positiv: Noch gibt es günstig Schlachtautos, und auf Schrottplätzen parken genügend Typ 44.
Marktlage
Limousinen waren bislang günstig, aber ziehen an im Preis. Je nach Zustand sind zwischen 2000 und 6000 Euro fällig. Wer 200, quattro, Turbo, Avant oder alles zusammen sucht, liegt deutlich darüber. Allradler sind besonders teuer. 200 Avant quattro kaum zu bekommen. Tipp: In die Schweiz schauen!
Empfehlung
Machen Sie es nicht zu Ihrer Aufgabe, einen Fünfthand-44er zu retten. Lohnt nicht wegen der Ersatzteilpreise und weil es genügend gute Modelle gibt – zumindest Limousinen. Von denen sind viele gepflegte Fünfzylinder-Fronttriebler im Angebot. Ein Modell ab September 1985 wählen – wegen der Vollverzinkung. Wobei diese 44er unfallfrei sein sollten, damit der Rostschutz nicht durch Reparaturen angegriffen wurde. Und auf den G-Kat achten, denn der 100 ist ein echtes Langzeit-Alltagsauto.
Von
Sebastian Renz
Bilder: Audi 100 quattro Typ 44
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Der Audi 100 Typ 44 sorgte bei seinem Erscheinen 1982 mächtig für Aufsehen: Ein Rekord-Cw-Wert von 0,3 für Serienlimousinen, die zunächst teil- und ab 1985/86 vollverzinkte Karosserie sowie der innovative Allradantrieb (ab 1984) sorgten für einen mächtigen Imageschub für Audi.
Bild: Conrad Piepenburg
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Der zeitlose Entwurf des Audi 100 quattro stammt von Hartmut Warkuß. Nie zuvor hatte man ein sachlich gestyltes Auto so emotional durch Schnee und Eis driften sehen. Selbst kühle Köpfe bekamen Spaß am heißen Reifen.
Bild: Conrad Piepenburg
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Die dritte Generation des Audi 100 katapultiert das Markenimage in technologisch fortschrittliche Gefilde, der permanente Vierrad-Antrieb macht dem Audi 100 zusätzlich Beine. quattro steht jetzt nicht mehr nur für exklusive Rallye-Erfolge, sondern für Breiten- und Massensport, denn der Typ 44 verkauft sich glänzend.
Bild: Conrad Piepenburg
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Wer heute die Angebote studiert, findet viele gesunde Exemplare mit Laufleistungen zwischen 200.000 und 400.000 Kilometern. Die meisten von ihnen haben frischen TÜV und kosten kein Vermögen. Wirklich rar ist ein CS quattro, vor allem als Avant und als Turbo. Preise: zwischen 2500 und 7000 Euro – im Vergleich zur süddeutschen Konkurrenz günstig!
Bild: Conrad Piepenburg
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1986 schreibt Audi Werbegeschichte: Da erklimmt ein roter Audi 100 CS quattro eine Skischanze in Finnland. Zwar sind Sicherungstrossen am Auto befestigt und die Scheiben abgedunkelt, damit man das aus Gewichtsgründen fehlende Interieur nicht erkennt. Aber – der Audi 100 fährt aus eigener Kraft!
Bild: Werk /
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Großraum-Wagen: Der Kofferraum des Audi 100 ist riesig und sogar größer als der einer zeitgenössischen S-Klasse.
Bild: Conrad Piepenburg
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Passend zum permanenten Allrad-Antrieb gibt es für die Limousine eine Durchlademöglichkeit vom Kofferraum in den Innenraum, genannt "Skisack". Speziell bei Österreichern und Schweizern kam diese Variante gut an. Audi-Cheftechniker Piëch hat es schon immer gewusst.
Bild: Jürgen Christ
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Audi auf dem Weg nach oben: Das Interieur der ersten Serie war in Sachen Ergonomie noch nicht optimal. Das Lenkrad steht vom Fahrer etwas nach rechts versetzt, die Bedienung der vier Lenkstockhebel ist gewöhnungsbedürftig. Dafür entschädigt der unverwechselbare Fünfzylinder-Sound und das agile Handling.
Bild: Jürgen Christ
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Der 2,3 Liter große Fünfzylinder mit 133, 136 bzw. 138 PS (je nach Baujahr und Abgasreinigung) war lange Zeit die Top-Motorisierung des Typ 44. Mit ihm ist der Audi 100 flott motorisiert, sein heiserer Klang macht abhängig. Noch mehr Dampf bieten die selteneren Turbo-Modelle mit 165 PS ab 1985.
Bild: Conrad Piepenburg
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quattro-Urahn: Mit dem Audi Typ C, genannt "Alpensieger", gewann August Horch zweimal die Österreichische Alpenfahrt. Über 1424 Kilometer lief der Typ C mit höchster Zuverlässigkeit. Der 3,5-Liter-Vierzylinder leistete 35 PS und galt als einer der leistungsfähigsten Motoren in seiner Klasse.
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Dicke Backen, heißer Turbo und permanenter Allradantrieb: Ein kantiges Coupé mit 200 PS mischte 1980 die Szene auf. Der Audi quattro wurde nicht nur zum Urvater der Audi-Allrad-Technik, sondern auch zum Aushängeschild eines neuen Markenimage.
Bild: Werk
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Ab 1982 gab es auch den biederen Audi 80 mit dem dynamischen Fünfzylinder und quattro-Antrieb.
Bild: Werk
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Sport-Limousine: Der Audi 200 quattro 20V war ab 1989 das Spitzenmodell der 200er Serie. Der 220 PS starke und gierig klingende Fünfzylinder-Turbo machte aus der Reiselimousine einen Sportwagen. 242 km/h Spitze waren drin, in rund sieben Sekunden 100 km/h erreicht.
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Audis erster Achtzylinder seit 1932: Der Audi V8 versuchte, mit Allradantrieb und exquisiter Ausstattung S-Klasse und 7er anzugreifen. Die Technik passte, die Optik nicht: Die optische Ähnlichkeit zum Audi 100 vereitelte höhere Stückzahlen, von 1988 bis 1994 wurden nur 21.000 V8 gebaut.