Lamborghini Countach: Der Urahn
—Ein Tag im Grünen
Er ist die 001, der Urahn aller Countach: Mit ihm begann die Serienfertigung. Lange galt er als verschollen, dann stand er im Museum. Jetzt ist er zurück auf der Straße.
Der Blick ist nur so zu verstehen: Der Mann ist glücklich. Valentino Balboni steht in der Hitze dieses Julitages in Sant'Agata Bolognese und streichelt den Grünen mit seinen Augen. Vielleicht würde er ihn sogar küssen, wenn sie allein wären. Es ist eine lange, erfüllte Beziehung. Dieser grüne Keil ist seine Liebe. Wild, ungestüm und doch ein wenig unbeholfen steht der Countach vor ihm, kantige 107 Zentimeter flach. Sein Dach endet auf Gürtelhöhe. Balboni fädelt sich hinters Steuer, er weiß, wie das schnell klappt, ohne anzuecken. Und ohne peinlich dabei auszusehen. Viele Jüngere schaffen das nicht. Balboni schon, obwohl er 62 ist. Er ist das Testfahrer-Gesicht von Lamborghini. Vor zwei Jahren haben sie ihm sogar eine eigene Sonderedition des aktuellen Gallardo gewidmet, mit Hinterradantrieb. Aufrichtige alte Schule also und ein Kontrast zum heutigen Audi-Allrad-Ambiente.
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So etwas gefällt Balboni. Wie sein Countach, der eigentlich nicht seiner ist, sondern Lamborghini gehört. Wieder, denn der grüne Keil galt lange als verschollen. "Wir hatten viele Jahre keine Ahnung, wo dieses Auto sein könnte", sagt Balboni. Schließlich ist er nicht irgendein Countach, falls es so etwas wie irgendeinen Countach überhaupt geben kann. Seine Chassisnummer lässt keinen Zweifel: Es ist die 001, der erste LP400. Im März 1973 stand er auf dem Genfer Salon (in Rot), im Herbst dann in Paris (nun in Grün). Gut, es hatte noch einen Countach davor gegeben. Ein gelbes, unglaubliches Ding, das schon 1971 als Studie auf dem Genfer Salon die Auto-Welt irritierte: So also stellten sich die Italiener einen Sportwagen vor, wenn er nicht von heute, nicht von morgen, sondern von übermorgen ist. Dieser erste Countach-Entwurf überlebte nicht. Lamborghini opferte ihn wenig später in England einem Crashtest. Doch die neue Form war gesetzt. Der Vorgänger Miura, ein starker Wagen für Genießer, war kurvenreich und betörend. Der Countach lehnte sich mit scharfen Linien gegen jede Harmonie auf. Sollte Pininfarina diese Harmonie ruhig für Ferrari suchen, der Countach wollte: anecken. Das tat er.
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Es genügt ein Blick in die späten 1960er, nach Norditalien. Sant’Agata Bolognese war ein verschlafenes Städtchen in der Po-Ebene mit ein paar Vespa und Fiat auf den Straßen, schnaufenden OM-Lastwagen. Eine alte Ordnung lag über dieser bäuerlichen Welt, in der Ferruccio Lamborghini Traktoren baute. Und Sportwagen, seit 1963. Valentino Balboni stieß im April 1968 zu Lamborghini. Zufall und Neugier hatten gewollt, dass der 19-jährige Automechaniker einen Nachmittag lang Miura-Rohkarosserien auf dem Werksgelände hin und her schieben durfte. Zum Abschied gab es zwar kein Geld, doch einen Arbeitsvertrag. "Damals war alles sehr überschaubar hier", sagt Balboni, "ich bekam Personalnummer 87." Er weiß noch, wie an seinem ersten Tag jemand die Tür aufstieß, mit Zigarette im Mundwinkel, und in Bologneser Dialekt in die kleine Besprechung polterte: "Wir brauchen hier keine Menschen, die reden! Wir brauchen Menschen, die arbeiten." Tür zu. So war Ferruccio Lamborghini. Impulsiv, ein Mensch mit Charisma und Charakter. "Er schob uns alle an", sagt Balboni heute, "er motivierte uns ständig." Wenn spätabends noch Arbeit fertig werden musste, holte Lamborghini persönlich belegte Brote und Cola. Die kleine Bar an der Kreuzung gibt es heute noch. Ferruccio Lamborghini hatte ein Händchen für die richtigen Leute. Er war clever genug, die Besten zu bekommen. "Nur ein guter Autofahrer war er nicht", sagt Balboni, "er sah das natürlich völlig anders. Und er hat gern gesagt, er sei ein guter Ingenieur. Stimmte auch nicht."
Doch seine Mannschaft hielt er zusammen. Manchmal war Mitternacht vorbei, bevor Kunden ihr repariertes Auto in Empfang nehmen konnten. Ferruccio Lamborghini lauschte mit den Mechanikern am Werkstor, wie sein Sportwagen in die offene Weite der Po-Ebene davonstob. Dann zählte der Chef gern laut mit: "Erster Gang. Zweiter. Dritter", nun mit etwas Pause, "Vierter. Fünfter – so, der hält. Jetzt können wir nach Hause gehen." Typisch Lamborghini war das, sagt Balboni: "Nachts am Straßenrand stehen und zuhören, wie seine Kunden die Gänge hochschalten." Und er liebte das Extreme. Schon beim Miura war das so. Beim Countach steigerte er das Risiko nochmals. Allein die Türen, die nicht einfach nach außen öffneten, sondern spektakulär nach oben schwenkten. Schon in den frühen 70ern war die Zulassung derart exotischer Lösungen eine Hürde. Für Lamborghini wurden sie zum Markenzeichen. Großen Anteil an Lamborghinis Erfolg hatte Nuccio Bertone, der Karossier aus Turin. Ferruccio Lamborghini stand gut mit ihm. "Das waren zwei Genies, die sich verstanden", sagt Valentino Balboni, "und zugleich zwei einfache Menschen." Lamborghini hatte gute Ideen, Bertone viel Gespür für deren Umsetzung: "Sie arbeiteten fantastisch gut zusammen."
Zu viele Ecken, zu radikal
Als 1970 das erste Countach-Holzmodell im Maßstab 1:1 in Sant’Agata ankam, waren sie überrascht im Werk. Wie extrem, wie angriffslustig der Neue ausah: "Anfangs mochten wir ihn nicht", sagt Balboni, "zu viele Ecken, zu radikal." Niemand glaubte, dass man ein Auto mit solchen Details tatsächlich auf die Straße bringen könne. Niemand? Doch, einer. Ferruccio Lamborghini fand den Entwurf von Bertones Designer Marcello Gandini großartig. Und er war der Chef, er gab das Go. Auf einer Rohrrahmen-Konstruktion haben die Blechkünstler bei Bertone im Winter 1972/73 den Vorserienwagen mit der Nummer 001 von Hand geklopft. Die Haut entstand aus 1,2 Millimeter starkem Alublech. Im Anschluss diente sie als Urmodell für die gesamte Baureihe. Countach hieß der Wagen damals schon. Paolo Stanzani, Lamborghinis Technikchef, hatte diesen Namen in der frühen Phase aus Turin mitgebracht. Balboni erzählt, wie es dazu kam: Stanzani verspätete sich zu einem Termin, Nuccio Bertone war bereits zu Hause. Also führte der Pförtner den Lamborghini-Mann zum Modellzimmer. Dort zog Stanzani für ihn die Hülle weg – und der Pförtner rief bass erstaunt: "Countach!" Im Piemont heißt "Countach" so viel wie "Oha!" – meist gilt das Wort schönen Frauen, wie ein Pfiff. "Die richtige Aussprache mussten wir auch erst lernen", sagt Balboni: "Kuntasch". Auch Stanzani kannte es nicht – er ließ es sich damals vom Pförtner eigens aufschreiben.
Der heiße Riese: Lamborghini LM 002
Technische Daten | ||||
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Motor: | V12, Mitte längs | Verbrauch (Test): | ca. 25 l Super/100 km | |
Hubraum: | 3929 ccm | Spitze: | ca. 290 km/h | |
Drehmoment bei U/min: | 368 Nm/5000 | 0-100 km/h: | 5,4 s | |
Leergewicht: | 1275 kg | Preis (1974): | 99.800 Mark | |
Stückzahl (1973-1978): | 150 |
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