1962, vor fünfzig Jahren. Noch ist die Welt in Ordnung. Adenauer ist Kanzler. Arbeiter arbeiten, Studenten studieren. Und der Käfer läuft und läuft und läuft. In der Werbung und in den VW-Autohäusern, und auf der Straße sowieso. Neu ist das Krabbeltier längst nicht mehr, sein Debüt als KdF-Wagen liegt bereits ein Vierteljahrhundert zurück. Das stört deutsche Autokäufer nicht. Sie verlassen sich auf Bewährtes, Braves. Die meisten jedenfalls. Wer anderer, fortschrittlicher Meinung ist, kann in diesem Jahr zwischen zwei sensationellen Neuerscheinungen wählen, die  als genügsame, also in Anschaffung und Unterhalt bezahlbare Typen fürs Volk gegen den Käfer antreten.

Und noch mehr Käfer finden sich hier

VW 1200 Käfer Opel Kadett Ford Taunus 12M
Drei Kompaktautos der frühen 60er Jahre – und völlig unterschiedliche Konzepte.
Da wäre zuerst der Kadett (später Kadett A genannt). Opel hat eigens für ihn ein komplett neues Werk aus dem Boden gestampft, in Bochum, wo das beginndende Zechensterben Arbeitsplätze freisetzte. Arbeitskräfte sind schließlich absolute Mangelware – wie gesagt, wir schreiben 1962. Der Kadett läuft noch besser, wächst zu einem ernsthaften Konkurrenten des Wolfsburger "Ervolks"-Krabblers heran. Kein Wunder: Mit 40-PS-Motor vorn und Antrieb hinten ist er geräumiger, schneller, sparsamer und moderner als der Kugel-Porsche. "Opel Kadett – kurz gesagt: OK". Wenn wir nun der "Linie der Vernunft" folgen, treffen wir in Köln auf den zweiten Kontrahenten dieses Jahres: den Ford Taunus 12M.
VW 1200 Käfer Opel Kadett Ford Taunus
Der Taunus setzt auf Größe, der Käfer auf Solidität, der Kadett auf Nutzwert.
Die 12 markiert die Kompaktklasse mit 1200 Kubik, M steht wie immer für "Meisterstück". Viel Auto fürs Geld bietet der Taunus schon auf den ersten Blick. Zwischen seinen verchromten Stoßstangen streckt er sich weiter als die Konkurrenten – bis auf knapp 4,25 Meter. Allerdings: 40 PS, die hier schon die Vorderräder antreiben, müssen auch dem großen, kleinen Taunus 12M genügen. Ob sie auch für einen Sieg in unserem historischen Vergleich ausreichen?

Im Vergleich: die Karosserien

"Die Volkswagen-Form richtet sich nach den Regeln der Zweckmäßigkeit und Stabilität" (Zitat VW-Propekt, 1962). Stimmt. Zumindest wenn es um die Stabilität geht, sagt der Werbeprospekt die reine Wahrheit. Solide ist der Käfer nämlich ohne Frage. Hier steckt deutsche Wertarbeit vom Feinsten drin. Kein Klappern, kein Rütteln, keine unnötigen Karosserieverwindungen. My Home is my Käfer. Die Windschutzscheibe dicht vor der Nase, das Kuppeldach weit, weit weg – so fühlt man sich auch nach 50 Jahren im Käfer pudelwohl. Und sitzt tatsächlich bequem. Auf stoffbezogenen Einzelsitzen (Schaumgummi auf Federkern) und mit Blick auf liebevolle Details wie die verchromten Halter der Sonnenblenden.
Ford Taunus 12M
Mehr Blech als im Taunus-Innenraum findet man in keinem der drei Oldies.
Gemessen am Käfer wirkt der 12M wie die schlichte Laubsägearbeit eines Grundschülers. Extra viel nacktes Blech verströmt zudem die Heimeligkeit einer U-Bahnstation. Fehlt nur, dass es im Ford auch so zieht wie dort. Aber so weit geht es nicht. Im Vergleich zum Käfer funktionieren Heizung und Lüftung sogar recht zuverlässig. Und die rotkarierten Sitzbezüge, die an eine Küchenhandtuch-Kollektion erinnern, bringen sogar launige Ferienhausstimmung in den Taunus. Gut so. Denn einen Schuss guter Laune braucht man auf der Sitzbank auch – richtig, selbst vorn gibt es keine Einzelsitze. Durch die dünnen Polster pieksen die Federn schnell durch die Bezüge. Die labberigen Lehnen scheinen einem Labil-Baukasten zu entstammen. Man mag sich kaum dagegenlegen, aus Angst, dass sie abbrechen. Und dann noch die spitzen Knie der Mitfahrer von hinten.

Der Opel Kadett ist ein echtes Raumwunder

VW Käfer 1200 Opel Kadett A Ford Taunus 12M
Das beste Karosserie-Konzept bietet der Kadett. Mehr Platz als im größeren Taunus und erst recht als im Käfer.
Dabei ist der Ford doch deutlich geräumiger als der Käfer, dessen Zweckmäßigkeit als Transporter bescheiden ausfällt: Mini-Kofferraum vorn und ein schlecht zugängliches Staufach hinter der Rücksitzlehne – das war's. Unvorstellbar heute, dass der Käfer einst fünfköpfige Familien nach Italien transportierte. Der wahre Raumfahrer der frühen 60er kommt von Opel. Kantig, kastig, Kadett. Außen bleibt Opels Kleinster unter der Vier-Meter-Marke, er unterbietet damit das klassische Käfer-Maß noch um einen Butterkeks (der mit den 52 Zähnen), innen schafft er genausoviel nutzbaren Raum für die Passagiere wie der außen so große Ford Taunus 12M.

Die Kadettsitze sind so glatt wie eine Schlittschuhbahn

Opel Kadett A
Kadett mit hohem Unterhaltungswert: Auf den Kunststoff-Bezügen der Sitze rutscht man hin und her.
Und lustig ist's im Kadett auch. Die Sitzbezüge aus Kunststoff sind so glatt, dass man darauf Schlittschuh laufen könnte. Im Winter werden sie übrigens auch so kalt. Aber Opel hat nachgedacht und dem kleinen Seefahrer eine gut regulierbare Heizung konstruiert. Und damit der Beifahrer sich nicht ständig in die Klimatisierung des Steuermanns einmischt, sind die Bedienungshebel links vom Lenkrad. Es kommt noch besser, der Breitbandtacho im Kadett ist ein Showstar: Beim Beschleunigen schiebt sich von links eine grüne Zunge in die Skala, zeigt das Tempo an, wechselt bei 50 km/h die Farbe auf Gelb und wird ab 100 warnend Rot.

Fazit Karosserie-Kapitel: Sieg für den Opel Kadett

Bei Platz, Rundumsicht und Bedienbarkeit punktet der Kadett A voll. Käfers Spezialität ist seine hohe Qualität. Die rundliche Form ist zwar niedlich, aber auch unübersichtlich und eng. Und der Ford scheitert an seiner Verarbeitung.

Die Antriebe: Es geht voran

"Hier sehen Sie den Vierzylinder mit der berühmten Opel-Zuverlässigkeit. Sein seidenweicher Lauf  wird Ihnen gefallen. Man glaubt zu hören, wie elastisch dieser Motor ist" (Opel-Prospekt, 1963). Wir wissen nicht, wie sich Elastizität anhört. Wir wissen aber, wie sie sich anfühlt und wie man sie misst.
Und sie fühlt sich im Opel gar nicht an. Beim Nachmessen entdeckten wir auch kein bemerkenswertes Talent für diese Übung. Also: kein Beschleunigungskribbeln im Bauch, der Atem stockt nicht. Das gilt nicht nur für den Opel. VW und Ford tragen noch weniger Begabung zu Sturm und Drang in ihren Genen. Ein Blick in die Messwerte genügt als Beweis. In den Wirtschaftwunderjahren wandern wir lieber. Autowandern, mit viel Zeit und Lust für den Weg. 30 oder mehr Sekunden bis 100 km/h? Auch recht, dauert der Spaß eben länger. Endlich mal Zeit, den Motoren zuzuhören.

Der Sound der Wirtschaftswunderzeit

Wer die Ohren spitzt, erfährt eine Menge. Über Technik, über Herkunft und Geschichte. Im Käfer boxt sich der Motor tapfer durch. Erst, im Drehzahlkeller, dumpf brabbelnd, dann, je höher die Touren, immer heller, immer optimistischer. Natürlich lauter als die anderen, aber nie störend. Das ist der Sound der Hochkonjunktur, das ist der typische Klang eines Boxermotors. Opels Vierzylinder schnarrt wie eine Nähmaschine, die gerade ein Knopfloch säumt. Laufruhig und sanftmütig wechselt der Reihenmotor erst bei hohen Drehzahlen ins kernige Fach. Nähmaschine – da war doch was? Richtig: Zwischen 1863 und 1911 baute Opel in Rüsselsheim die Dinger. Erfolgreich. Das passt. Aus dem Taunus klingt eine andere, verlorene Welt zu uns hinüber. Kehlig, hohl, holprig – bei allen Drehzahlen. Erstaunlich: Er wird bei höheren Touren kaum lauter (siehe Messwerte). Warum er so klingt? Es liegt am V4 unter seiner Haube. Ein Motorentyp, der wegen rauer Sitten später nicht mehr gebaut wird. Trotzdem passt er gut zum Ford, geht eine perfekte Ehe mit der Lenkradschaltung ein.

Ein echter Spaßmacher: die Lenkradschaltung im Ford Taunus

Das Teil ist so genial unsportlich. Hier wird der Gangwechsel zum Schalt-Event. Rauf und runter – die Gänge liegen so schön weit auseinander und in den Schaltpausen singt das Getriebe auch mal nicht. Rauf und wieder runter. Nur so. Auch wenn der Motor gerade gar keinen Gangwechsel braucht. Warum gibt es das heute nicht mehr? Opel und VW erledigen den Gangwechsel gewöhnlicher – mit einer Mittelgangschaltung. Im Kadett ist der Schaltstock ellenlang und spaghettidünn, kommt von ganz weit vorn aus dem Fußraum (damit der Fahrer mal rüberrutschen und rechts aussteigen kann). Der dürre, filigrane Schalter bricht trotzdem nicht ab und lässt sich erstaunlich exakt durch alle vier Gänge führen. Superpräzise rutschen die Gangwechsel im Käfer aus dem Handgelenk ins Getriebe. Nur beim Einlegen des Ersten muss man den Hebel durch einen Engpass drücken.

Fazit Antrieb: Opel mit niedrigstem Verbrauch und bester Beschleunigung

Der zweite Kapitelsieg für den Opel. Aber relativ knapp. Und das ist kein Wunder: Die Motorleistungen der kleinen Wirtschaftswunder liegen dicht beieinander. Platz zwei geht an den VW, dessen Motor bessere Manieren mitbringt als der V4 des Ford.

Das Fahrwerk: Oldies auf Schleuderkurs

"Dieser Wagen hat Frontantrieb. Er ist absolut spursicher. Er kann gar nicht anders" (Ford-Prospekt 1962). Ob das so seine Richtigkeit hat? Der Taunus verlässt die Linie der Vernunft schon auf schnurgerader Straße, schlängelt über den Asphalt wie eine Blindschleiche durchs Gestrüpp. Und kommt nach Korrekturversuchen noch weiter vom Kurs ab. Der Übeltäter ist schnell entlarvt: die Lenkung. Indirekt und ausgeleiert kommt jeder Steuerbefehl verzögert auf der Straße an. Böse Testerzungen behaupten: Wer abbiegen will, muss 500 Meter vor der Kreuzung mit Lenken beginnen. Im Schleuderkurs, Pylonenabstand 18 Meter, artet die wilde Kurbelei dann in schweißtreibende Arbeit aus. Nein, die Ford-Zeit war für den Frontantrieb noch nicht reif. Die Kölner verlegten den Antrieb 1970 beim Knudsen-Taunus wieder zurück nach hinten.

Unerwartet sportlich: der VW Käfer

Meister im Schleuderkurs wird der Käfer. Leicht zu lenken, exakt und zielgenau, wirft er sich todesmutig flott um die rotweißen Hütchen. Das schwere Heck drückt den Wagen leichtfüßig ums Eck. Übersteuern nennt man das in der Testersprache. Den Spitznamen Kugelporsche führt der kleine VW-Rundling zu recht. Sein Fahrverhalten ähnelt dem prominenten Verwandten zum Verwechseln. Nur zu spektakulären Heckschwenks fehlt Leistung. Der Opel-Fahrer hat unterdessen alle Hände voll zu tun, nicht von seinem glatten Sitz zu rutschen. Denn der Kadett liegt wie ein Brett, aber das ist kein Plus, sondern wörtlich zu nehmen. Er stelzt steifbeinig wie ein Storch mit Rheuma durch die genormte Pylonengasse. Talentierter (und schneller) als der behäbige Ford bewegt er sich aber allemal um die Kurve. Schluss mit lustig ist für Kadetten auf schlechten Wegen. Dann zeigt der kleine Opel, was er unter sich trägt: ein Postkutschen-Fahrwerk mit Querblattfeder vorn – hier Weitspaltfeder genannt – und zwei Blattfedern hinten. Und darauf hoppelt er über Bodenwellen wie das aufgescheuchte Häschen aus der Grube.

Der Kadett liegt straff, der Taunus schaukelt

Geht es um das Verhalten auf Bodenwellen, müsste der Taunus eigentlich Kadett heißen. Der Ford schaukelt seine Passagiere über Straßen, als hätten sie eine Transatlantik-Passage auf der Queen Mary mit Sturmgarantie gebucht. Nett: Kreuzfahrer von gestern sind die entspannten Cruiser von heute. Gar nicht nett: Blasen die Böen von der Seite, sollten Fahrer der Wirtschaftswunder auf jeden Fall das Lenkrad gut festhalten. Sonst kommen die leichten Wagen weit vom Kurs ab. Vor allem das Käferchen wird schnell vom Winde verweht. Davon abgesehen fühlen sich VW-Reisende wohl. Käferbeine tragen nämlich große Schuhe. 15-Zoll-Räder sorgen für Ruhe, selbst auf gemeinem Kopfsteinpflaster. Beim Anhalten helfen aber auch die Riesenräder nicht: Um 58 Meter muss man bei einer Vollbremsung aus 100 km/h im Käfer – und auch bei Ford und Opel – einkalkulieren, darunter geht kaum was. Fast 60 Meter Bremsweg: Früher war Autofahren tatsächlich weit gefährlicher.

Fazit Fahrwerke: Oldies auf Schleuderkurs

Die eigentliche Überraschung ist in diesem Kapitel der VW Käfer. Heckmotor und -Antrieb verschaffen ihm tatsächlich Vorteile im Kurvenverhalten. Vor allem gegenüber dem Ford Taunus mit Frontantrieb, der nur im Federungskomfort überzeugt.

Kosten-Vergleich: Die Aktien stehen gut

"Temperament sozusagen kostenlos. Ein lebendiger Wagen. Zurückhaltend ist er nicht, nur in einem Punkt: in seinen Ansprüchen" (Opel-Prospekt, 1963). Nicht umsonst nennen wir Taunus, Kadett und Käfer die kleinen Wirtschaftswunder. Einfache und genügsame Autos standen Anfang der 60er-Jahre hoch im Kurs. Und doch überraschten uns die Verbrauchswerte: Zwischen 6,3 (Opel) und 7,7 Liter (VW) flossen im Test durch die Vergaser. Normal, versteht sich. Da wird Oldie fahren zum preiswerten Vergnügen. Steuer und Versicherung sind dank H-Kennzeichen ein Klacks, zur Wartung müssen sie alle 5000 Kilometer (Opel und VW), der Ford erst nach 10.000 Kilometern.

Typisch Oldtimer: niedrige Unterhaltskosten, kein Wertverlust

Größter Brocken auf dem Weg zum klassischen Fahrspaß ist die Anschaffung: Den Kadett A gibt es – in Zustand zwei – ab etwa 6000 Euro, der Ford wird ab 4500 Euro gehandelt. Käfers Preise liegen bei 7000 bis 10.000 Euro, besonders gute Exemplare – wie unser Testwagen mit Faltdach – auch deutlich darüber. Für alle drei gilt: Wertverlust war gestern, heute können sie alle – vor allem aber der Käfer– mit einer Wertsteigerung rechnen.

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Andreas Borchmann

Es fällt schwer, einen Sieger zu küren. Denn eigentlich haben wir alle drei kleinen Wirtschaftswunder ganz doll lieb. Trotzdem: Die Punkte der AUTO BILD KLASSIK-Wertung sind unbestechlich – und sie sehen den Opel Kadett vorn. Mit überraschend viel Platz und einem laufruhigen Motörchen. Der Käfer krabbelt auf den zweiten Platz, was er seinem fast schon sportlichen Fahrverhalten verdankt. Weshalb der große Taunus so weit zurückfällt, werden Ford-Fans jetzt vielleicht fragen? Das liegt am Frontantrieb, den die Kölner damals nicht richtig im Griff hatten.