Kein Turbo, kein Coupé, keine Eitelkeiten. Der Saab 90 war schon 1984 anders – und altmodisch. Schon damals kauften nur Wenige den seltsamen Mix aus Saab 99 und 900. Heute kennt ihn fast niemand mehr – schade eigentlich.
Bild: U. Sonntag
Sie kennen den Saab 90 nicht? Kein Wunder, denn er lief unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Den großen deutschen Autozeitschriften war er vor 30 Jahren, obwohl neu, noch nicht einmal einen Testbericht wert. Es gab ja den heißen Saab 900 Turbo, und außerdem stand der komplett neu entwickelte, weiter oben positionierte 9000 in den Startlöchern. Alle sehr schnell, spannend oder zumindest in Teilen leicht schräg. Wer wollte da schon über Saabs leidenschaftslos-brave Resterampe zum kleinen Preis reden? An diesem Leben unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat sich bis heute nichts geändert.
Im Saab 90, dem neuen alten Basismodell von 1984, steckt abgehangene, bewährte Technik. Viel Saab fürs Geld – die Gleichung geht heute noch auf.
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Der Saab 90 von 1984, diese seltsame Mischung aus veralteter Wagenfront, bravem Vergasermotor und hinter der B-Säule neu modellierter Stufenheck-Karosserie, gilt selbst in Saab-Kreisen – wo sich die Besitzer durch ihre Autowahl offensiv der Andersartigkeit verpflichtet fühlen – als Randerscheinung. Er ist nicht pur und klassisch wie ein 99 und nicht so hip und allseits beliebt wie der 900. Er ist, optisch wie technisch, ein seltsames Zwitterwesen. Es ist die Abwesenheit markentypischer Must-Haves wie Schrägheckbauweise und Turbo-Technologie, die ihn heute zum Sonderling stempelt. Und auch der Raritätenstatus zieht nicht wirklich: Nur 600 von etwas über 25.000 produzierten Exemplaren soll Saab in vier Jahren in Deutschland losgeworden sein. Das machte den 90 zwar besonders, aber nicht automatisch begehrt. Als sich alle einen schwarzen 900 Turbo 16S mit Aero-Kit in die Garage stellten, wurde der 90 als Winterauto rangenommen. Doch das ändert sich. Langsam beginnt die Saab-Szene zu erkennen, dass der Saab 90 klassisch und modern zugleich und in seiner konsequenten Verneinung des Mainstreams auch ein sehr typischer Saab ist. Was sich aus seiner Konstruktionsweise und Entstehungsgeschichte erklärt. Um nach Auslaufen des Saab 99 ein bezahlbares Basismodell im Programm zu haben, wird gestückelt. Vorn ist der neue 90 ganz der alte 99, mit knubbeliger Front, kleinen Scheinwerfern, riesigen Blinkern und Positionsleuchten. Hinten sitzt das Stufenheck des aktuellen 900 Sedan dran. Und mittendrin gibt es eine Mischung aus beidem: Motor, Vorderachse und Armaturenbrett stammen vom 99, Sitze und Hinterachse steuert der 900 bei.
Am alten 99-Vorderwagen hängt das neue 900-Sedan-Heck: Der Saab 90 kombiniert vorhandene Styling-Elemente zum kostengünstigen Modellmix.
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Wer weiter in der Saab-Historie zurückschaut, erkennt in diesem Vorgehen ein bewährtes schwedisches System der Nachhaltigkeit. Das Weiterbenutzen und Wiederverwerten hatte bei dem stets klammen Autobauer Tradition – schon der erste Saab, der 92 von 1950, lebte beinahe 30 Jahre lang. Als 92 besaß er einen Zweizylinder-Zweitakter. 1956 wurde, bei gewachsenen Abmessungen, der 93 mit Dreizylinder daraus. An die runde, aerodynamische Nase hängte Saab 1959 ein kompaktes Kombiheck: Der 95 war geboren. Und während die Form über Jahrzehnte nur leichte Facelifts erhielt, gab Saab den Zweitakter 1967 zugunsten des kompakt bauenden V4 auf, zugekauft von Ford. Als Saab 96 lief diese technisch und optisch noch immer dem Urmodell verwandte Version bis 1980 vom Band. Die seitdem vakante Rolle des einfachen Einsteigermodells übernimmt 1984 der Saab 90, dessen Modellbezeichung weniger mit der Vergangenheit als vielmehr mit der neuen Hierarchie im Markengefüge von 1984 zu tun hat. 90, 900, 9000 lautet die Rangfolge. Wer viel Saab mit wenig Ausstattung möchte, wird anderswo enttäuscht: So schlicht wie der 90 werden der sportliche 900 oder der wertige 9000 nie. Beim Einfachmodell pflegt Saab motorische Monokultur. Zum bewährten Zweiliter-Vierzylinder mit Vergaser und 100 PS gibt es keine Alternative, zwei Türen und Stufenheck sind obligatorisch. Die Aufpreisliste enthält zwei Positionen: Metallic-Lackierung für 920, Schiebedach für 1120 Mark. Fertig! Dabei wissen die Käufer in Deutschland gar nicht, dass sie im Luxus leben. Fünfganggetriebe und Frontspoiler sind serienmäßig, ebenso der Drehzahlmesser, der in dem grotesk veralteten Umfeld von aufgeklebter Holzfolie und hartem schwarzem Plastik fast frivol wirkt. In Schweden und Finnland, wo der 90 bei Valmet in Uusikaupunki im Saab-Auftrag gebaut wird, fehlt das alles. Das Nebeneinander von ernsthafter Wertigkeit und Verzicht lebt der Saab 90 auf einem Niveau, wie es bisher nur bei vom Munde abgesparten Mercedes 200 bekannt war.
Innen lässt der 90 sein Alter erkennen. Extras wurden nie angeboten, das Lenkrad vom 900 Turbo erst später nachgerüstet.
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Die Kombination aus einfachster Technik und finnischer Produktion, wo die Bänder langsamer laufen als in Trollhättan und in der Montage Einkehr herrscht, bringt die besten Tugenden des Saab 90 zutage. Das dicke Blech ist gut konserviert, der stoische Achtventilmotor verlangt nur ungefähr alle 300.000 Kilometer nach einem Service, das Fahrwerk ist solide und der Kofferraum groß. Fesche oder praktische Extras, wie sie der Foto-Saab von 1984 trägt, gab es – siehe Aufpreisliste – nur im Zubehörkatalog. Minilite-Räder und Heckjalousie peppen die Optik zeitgemäß auf, während die Zusatzlampen ganz pragmatisch der Ausleuchtung schwedischer Wälder dienen, durch die im Urlaub der Wohnwagen gezogen wird. In 20 Jahren hat sich dieser Saab 90 als verlässlicher Partner erwiesen, der vor allem eines bietet: das größtmögliche Saab-Gefühl für das kleinste Geld. Umso bedauerlicher, dass keine der großen Autozeitungen das je überprüfen wollte. Blöd auch, dass selbst den Prospekt-Textern wenig bis gar nichts Schlaues dazu einfiel. "Dank seiner vielen praktischen Details ist der Saab 90 ein preiswertes und vielseitiges Automobil. Der serienmäßige Ausrüstungs- und Qualitätsstandard ist sehr hoch. Mit anderen Worten: Der Saab 90 ist eine Investition, die sich lohnt." Es ist an der Zeit für einen Test!
Technische Daten
Die evolutionäre H-Version des ohc-Vierzylinders – in den 60ern mit Triumph entwickelt – holt im Saab 90 solide 100 PS aus zwei Liter Hubraum.
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Saab 90 Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs • eine obenliegende Nockenwelle, über Steuerkette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder • ein Fallstrom-Vergaser Zenith-Stromberg 175 CD • Hubraum 1985 ccm • Leistung 73 kW (100 PS) bei 5200/ min • maximales Drehmoment 162 Nm bei 3500/min Antrieb/Fahrwerk: Fünfgang- Schaltgetriebe • Vorderradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an Querlenkern und Schraubenfedern, hinten Starrachse an Längslenkern und Schraubenfedern • Räder/Reifen 5,5 x 15'' mit 175/70 R 15 • Maße: Radstand 2465 mm • L/B/H 4477/1690/1425 mm • Leergewicht 1145 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 14,0 s • Spitze 165 km/h • Verbrauch 11,4 l Super pro 100 km • Neupreis: 21.550 Mark (1984).
Historie
Die Lebensspanne des Saab 90 erstreckt sich über drei Epochen. Die Laufbahn beginnt mit der Präsentation des Saab 99 im Jahr 1968. Als erster Saab besitzt der 99 eine neu gestaltete, vom runden Urentwurf abweichende Stufenheckkarosserie und einen Reihenvierzylindermotor (1,7 Liter, 68 PS). 1970 folgt der Viertürer, 1974 das zweitürige Fließheckmodell mit großer Heckklappe, 1976 das darauf aufbauende viertürige Combi-Coupé und 1977 der erste Saab 99 mit Turbo-Triebwerk (2,0 Liter, 145 PS). 1978 erscheint die dritte Saab-Neukonstruktion, der 900 mit Schrägheck (2,0 Liter, 100 PS), 1980 wird die Baureihe durch den 900 Sedan ergänzt. 1984 endet die Fertigung des 99, gleichzeitig wird der neue, größere Saab 9000 Turbo (2,0 Liter, 160 bzw. 175 PS) vorgestellt. Neues Basismodell ist der zweitürige Saab 90, der die Karosserien von 99 und 900 Sedan kombiniert und nur mit Standardmotor (2,0 Liter, 100 PS) erhältlich ist. Seitliche Zusatzblinker in den vorderen Kotflügeln und längere Stoßstangen gehören zum Facelift von 1986. 1987 kommen Änderungen am Innenraum, ein neuer Vergaser und nach 25 378 Stück das Ende der Baureihe.
Plus/Minus
Ein Saab 90 gilt selbst in Saab-Kreisen, wo Individualismus einen Wert an sich darstellt, als schrullig und selten.
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Ein Saab 90 gilt selbst in Saab-Kreisen, wo Individualismus einen Wert an sich darstellt, als schrullig und selten. Dieser Logik folgend, können dem seltsamen Zwitterwesen seine Rolle als Sparmodell sowie sein kurzer Herstellungszeitraum nur positiv ausgelegt werden. Auch die sprichwörtliche Solidität und hochwertige Machart sowie die ordentliche Ersatzteilversorgung stehen auf der Habenseite. Und die Szene ist sich einig: Billiger ist derzeit kein klassischer Saab zu haben und zu unterhalten! Allerdings müssen Saab-90-Interessenten lernen, sich selbst zu beschränken: Es gibt nur eine Karosserieform (Stufenheck, ausgerechnet!), nur zwei Türen, nur eine Motorisierung (und keinen Turbo!). Wer das gut findet, ist über den 900-Combi-Coupé-Mainstream längst hinaus und sollte möglichst schnell einen Saab 90 kaufen.
Ersatzteile
Im Saab 90 stecken zwei Modellreihen, die über sehr lange Zeit – gemeinsam und in Summe beinahe 30 Jahre – und ohne große Veränderungen gefertigt wurden. An die vordere, ältere Hälfte passen Ersatzteile vom 99, dahinter kann man sich mit Komponenten vom jüngeren 900 helfen. Und in der Mitte passt beides: Das Armaturenbrett ist vom 99, die Innenausstattung stammt vom 900. Hinzu kommt, dass die Technik des einen im anderen weiterlebte, sodass Verschleißteile kein Problem darstellen. Schwierig wird es nur beim Blech, das neu kaum noch zu bekommen ist. Da helfen oft nur Kontakte nach Schweden.
Marktlage
Schlecht, aber das stört keinen. Weil niemand einen Saab 90 sucht, findet er sich, wenn überhaupt, von selbst. Und die meisten Autos stehen ohnehin als Beifang in den Hallen der Saab-Sammler und warten auf ihre Wiederentdeckung. Die gute Nachricht: Kommt doch mal ein 90 auf den Markt, ist er garantiert nicht teuer.
Empfehlung
Leichter wäre es, einen Saab 99 oder einen 900 Sedan zu kaufen. Der ältere 99 ist uriger, der 900 formal gelungener. Besser verfügbar sind sie beide sowieso. Wenn es dann aber doch ein Saab 90 sein muss, sollte der Erhaltungszustand kaufentscheidend sein. Eine Grotte zu restaurieren, wäre nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnlos.
Sie kennen den Saab 90 nicht? Kein Wunder, denn er lief unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Den großen deutschen Autozeitschriften war er vor 30 Jahren, obwohl neu, noch nicht einmal einen Testbericht wert. An diesem Leben unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat sich bis heute nichts geändert.
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Der Saab 90 von 1984 führt bis heute ein Schattendasein. Er ist nicht pur und klassisch wie ein 99 und nicht so hip und allseits beliebt wie der 900. Er ist, optisch wie technisch, ein seltsames Zwitterwesen.
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Um nach Auslaufen des Saab 99 ein bezahlbares Basismodell im Programm zu haben, wurde gestückelt. Vorn ist der neue 90 ganz der alte 99, mit knubbeliger Front, kleinen Scheinwerfern, riesigen Blinkern und Positionsleuchten.
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Hinten sitzt das Stufenheck des aktuellen 900 Sedan dran.
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Saubere Scheinwerfer waren serienmäßig. Statt zierlicher Wischer gibt es massive Schneeschieber.
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Pastellige Beige- und Brauntöne, kombiniert mit Lack in "Rosenquarz". Das samtige, damenhafte Aufreten dieses seltenen Saab 90 will so gar nicht zu seiner Positionierung als Basismodell passen, zumal beheizte Sitze vom Saab 900 Teil der Serienausstattung sind. Vorn reist man bequem, hinten wird es eng – schuld ist der zu kurz geratene Radstand.
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Wer mehr Platz braucht, soll Bus fahren! Ganze 617 Liter passen ins Stufenheck und bei umgeklappter Rückbank sind es sogar 1500 Liter.
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Buntes Durcheinander: Das Interieur besteht aus Teilen und Designlösungen dreier Jahrzehnte. Extras wurden nie angeboten, das Lenkrad vom 900 Turbo in diesem Exemplar erst später nachgerüstet.
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Schalter, Hebel, Knöpfe, Rädchen, falsches Holz und echtes Plastik...
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...aber immer nur das Nötigste – es kam nichts in den Saab 90, was den Preis nach oben hätte treiben können.
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Beim 90 pflegte Saab motorische Monokultur. Zum bewährten Zweiliter-Vierzylinder mit Vergaser und 100 PS gab es keine Alternative.
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Ein Saab 90 gilt selbst in Saab-Kreisen, wo Individualismus einen Wert an sich darstellt, als schrullig und selten.
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Das Heck vom 900er, die Front vom 99er und dazwischen eine noch merkwürdigere Mischung aus beiden: Der Saab 90.
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Zum Vergleich: Der Saab 900 Sedan (1980–93) als Limousine mit Stufenheck mit vier (oder wahlweise zwei) Türen. Der 900er war natürlich auch teurer als der Saab 90.
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Der Vorgänger des Saab 90, der Saab 99 (1968–84) war seit 1950 der erste Saab ohne das typische buckelige Heck.
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Außerdem hatte er einen komplett neuen Motor, eine Triumph-Konstruktion mit anfangs 1,7, später bis zu zwei Litern Hubraum erhalten.