Um diesen Saab zu entdecken, müssen wir umdenken, denn er ist anders. Anders als jeder andere Saab aus jener Prä-GM-Zeit, als in Trollhättan Ingenieure und Produktplaner noch selbst entscheiden durften. Der Saab 9000 ist anders anders. Er tritt nicht als schräges Kombi-Coupé mit Panorama-Frontscheibe oder wintertaugliches Cabrio auf, und der Zündschlüssel steckt auch nicht in der Mittelkonsole. Er ist, fast immer, eine Schräghecklimousine mit vier Türen und großer Heckklappe. Er ist, beinahe, nur ein Auto. Er möchte, das sieht man ihm an, vielen und nicht nur wenigen gefallen. Das zumindest erklärt, warum die Saab-Gemeinde den großen Typ 9000 so lange hat links liegen lassen.

Vom Flugzeugbau inspiriert: Saab-Modelle seit 1950

Saab 9000 Aero
Fiat Croma, Alfa Romeo 164 und Lancia Thema sind die Halbbrüder des Saab 9000. Identisch sind unter anderem die seitlichen Türen.
Der 9000 sieht ein bisschen zu normal und beliebig aus, vor allem in der modellgepflegten späteren Version, deren zugekniffenes Kühler-Leuchten-Band an Citroën XM und Subaru SVX erinnert. Bei allen dreien hatte Giorgio Giugiaro seine Finger im Spiel. Als Ende der 70er-Jahre das Projekt 9000 begann, waren neben dem Design-Großmeister noch weitere Italiener involviert. Fiat und Lancia mischten mit, doch statt Kooperation gab es Konfusion. Saab entwickelte von innen nach außen, Lancia versuchte es andersrum. Saab brachte bereits vorliegende Design-Ideen mit, Giugiaro lieferte neue Vorschläge. Fiat Croma, Alfa Romeo 164 und Lancia Thema hießen die Halbbrüder des Saab 9000, als 1984 die Fertigung anlief.
Saab 9000 Aero
Auch wenn das Zündschloss nicht in der Mittelkonsole sitzt: Der 9000 vermittelt das typische Saab-Gefühl.
Chassis, Windschutzscheibe und Türen waren austauschbar, doch den Seitenaufprallschutz in den Türen gab es nur beim Schweden, der sich aus eigenem Selbstverständnis den Derivaten überlegen fühlte. Leider rostete das frühe Saab-Topmodell wie ein Fiat, was erst im zweiten Anlauf abgestellt wurde. Ausgerechnet in seiner überarbeiteten, massenkompatiblen Form läuft der 9000 zur Höchstleistung auf. Dabei punktet er, kaum zu glauben bei einem Saab, mit seiner Normalität. Dem quer gestellten Motor haben die Insassen Raum auf allen Plätzen zu verdanken, in Breite und Länge übertrumpft der 9000-Innenraum den des 900 um mehrere Klassen. Dabei lebt auch der Saab 9000 das Prinzip der Nachhaltigkeit.

Zeitgenössischer Vergleichstest: Lancia Thema, Saab 9000 und Fiat Croma

Bordcomputer und Mäusekino funktionieren immer noch, unempfindliche Kunststoffe und im Idealfall schwere Ledersessel prägen ein Bild von Langzeitqualität, während die Welt in aller Stille vorbeirauscht. Ausgleichswellen beruhigen die Vierzylinder, serienmäßig trugen alle 2,3-Liter-Motoren und ab 1994 auch die Zweiliter-Triebwerke die Wellen im Innern. Aufladung ist immer erste Wahl, ein Leben im Saab ohne Turbo möglich, doch es ist sinnlos. Wenn 224 Aero-PS an völlig überlasteten Vorderrädern reißen und der 9000 summend zum Horizont fliegt, kommt dieses vertraute Saab-Gefühl auf. Die Fan-Gemeinde spürt es schon, kein Wunder: Es ist an der Zeit, den 9000 als Klassiker zu entdecken.

Historie

Ein Lebenslauf voller Kürzel und (Leistungs-)Kurven. 1984: Einführung des Saab 9000 mit dohc-Vierzylinder- Turbomotor (1985 ccm, 175 PS), fünf Türen und Fließheck (CC). 1988: viertürige Stufenheck-Version mit schräger Wagenfront (CD), die 1991 vom CC übernommen wird. 1992: Facelift mit neuer Front und schmalen Scheinwerfern sowie geänderter Heckpartie (CS, später CSE). 1995: Facelift für CD (jetzt CDE). Bis zum Ende der Baureihe werden Vierzylindermotoren mit und ohne (Leicht- und Voll-)Turbo, mit und ohne Ausgleichswellen sowie mit PS-Zahlen zwischen 126 (CC) und 224 PS (Aero) angeboten. Einzige Ausnahme: der Dreiliter-Sauger-V6 von Opel (ab Modelljahr 1995) mit 210 PS. 1998: Ende der Fertigung. Stückzahl Saab 9000 CC/CD/CS: 503.087.

Technische Daten

Reihenvierzylinder, vorn quer • Turbolader, Ladeluftkühlung • vier Ventile pro Zylinder • zwei oben liegende Nockenwellen, über Kette angetrieben • elektronische Einspritzung Trionic • Hubraum 2290 ccm • Leistung 164 kW (224 PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 342 Nm bei 1950/min • Vorderradantrieb • Fünfgangschaltgetriebe/Vierstufenautomatik optional• Einzelradaufhängung an Federbeinen vorn, Starrachse an Schraubenfedern hinten • Reifen/Räder 205/55 ZR 16 auf 6,5 J 16 • Radstand 2672 mm • Länge/Breite/Höhe 4761/1778/1415 mm • Leergewicht 1450 kg • Kofferraum 487/1397 Liter • 0–100 km/h 6,9 s • Spitze 240 km/h • Verbrauch 9 Liter Super plus • Preis 1993: 82.000 D-Mark.

Plus/Minus

Saab 9000 Aero
Korrekt genutzt und gewartet, ist der 2,3-Liter-16V-Turbo für über 300.000 Kilometer gut.
Späte Saab 9000 sind ausgereifte, extrem zuverlässige Fahrzeuge und schwimmen wie der 900 abseits des Mittelklasse-Mainstreams. Das Image des Individualisten pflegt der 9000 jedoch nicht so konsequent, sein Äußeres ist weniger eigenständig. Die frühen Vertreter dieser letzten echten Saab-Baureihe sind rostempfindlicher und eher ein Fall für Endverbraucher oder echte Fans, die eine Sammlung komplettieren wollen. Bei beiden Typen klaffen Qualität und Wahrnehmung weit auseinander, das ist gut für Käufer, die viel Saab für wenig Geld suchen. Billig ist der Spaß jedoch nur, wenn nichts kaputtgeht – die Ersatzteilpreise sind traditionell hoch. Richtig guten Aero- und Anniversary-Modellen dürfte aufgrund der Exklusivität und Leistung eine vielversprechende Youngtimer-Karriere bevorstehen. Jetzt kaufen!

Ersatzteile

Teilweise gibt es bei Saab bereits Lücken in der Ersatzteilversorgung, der Einkauf beim Hersteller geht zudem ins Geld. Zum Glück helfen freie Spezialisten und Werkstätten bei der Versorgung und können meist billiger liefern. Viele Ersatzteile sind bei Saab-Enthusiasten in Internet-Foren zu finden.

Marktlage

Dank langer Laufzeit und großer Typenvielfalt lässt die Auswahl an Saab 9000 nichts zu wünschen übrig. Die Preise sind im Keller, zwischen 500 und 5000 Euro ist alles möglich. Nur nach oben wird die Luft dünn: Begehrte Top-Typen wie der sportliche Aero und das feine Jubiläums-Modell Anniversary sind selten.

Empfehlung

Ja, der Aero ist der Beste. Exklusiv ausgestattet, von hoher Fertigungsqualität, langlebig und voll ungezügelten Turbo-Temperaments. Und diese Sitze... Aber auch die 9000er darunter können begeistern: Ein CSE mit Lederausstattung und 2,3-Liter-Maschine ist ein Meister des Understatements und für lächerlich wenig Geld zu bekommen. Wer abseits aller Pfade wandeln möchte, sollte nach einer der ungeliebten Stufenheck-Limousinen Ausschau halten. Individueller geht's kaum.