Erinnern wir uns mal kurz an die Leute, die wir 1990 am Steuer neuer Audi trafen. Nein, nicht mehr die Physikleh­rer in ihren braunen Pullundern und keine Opas mit Wackelda­ckeln im beigen Audi 100 L. Aber Charismatiker waren es meistens auch nicht. Audi, das stand schon für ersten Wohlstand, aber längst nicht für die Gelassenheit des gu­ten Lebens. Audi war 80, 90, 100, 200, selten V8 und gerade nicht mehr Ur-quattro. Dann kam das Cabrio und zeigte, dass es ein Leben nach der Prokura gibt. Wie gut erinnern wir uns? Das Zeitlos-Design des Audi Cabrios täuscht. Es will uns überzeugen, dass sein Premierenjahr noch nicht lange zurückliegt. Aber 1991 tanzten wir entweder Lam­bada oder hörten Guns N' Roses, es gab die RAF und Krieg am Golf.
Audi Cabriolet 2.8 E
Ein Young­timer ist er in­zwischen gewor­den, der kom­pakte Audi mit seinen 4,36 Meter Länge, ein Klassiker der Moder­ne. Ein Auto, das jeder lieben müsste, der das Bauhaus nicht  für einen Lieferanten von Lami­natparkett hält. Stattdessen las­sen wir zu, dass die frühen Fünf­zylinder-Modelle aussterben. Und wir versäumen es, wenigstens die Ersthand-Exemplare vor jugend­lichen Tieferlegungs-Tätern zu schützen.  Das ist wichtig, denn sie verste­hen ihn nicht. Nur ein origi­nales Exemplar konserviert das Cabrio-Gefühl der frühen 90er. Und zeigt, wie nostalgisch so ein junger Klassi­ker sein kann: Ganz frühe Audi Cabriolets kamen noch mit ma­nuellem Verdeck und waren ab Werk mit schlankem Nardi-Holz­lenkrad zu haben.

Faltenfrei bis in die Ewigkeit: Audi Cabriolet

Audi Cabriolet 2.8 E
Das Airbag-Zeitalter hatte bei Audi noch nicht begonnen. Ferdinand Piëch verglich den Luftsack allen Ernstes mit einer Pistole, die auf den Fahrer gerichtet ist. Doch wichtiger war ohnehin ein Schalter auf der Mittelkonsole des Ca­brios. Mit ihm ließen sich nicht nur ganz junge Mitfahrerinnen beeindrucken: Er öffnet alle vier Seitenfenster auf einmal. "Audi will perfekte Autos bauen", kommentierte AUTO BILD im Sommer 1991, "und von diesem Geist ist das Cabrio beseelt." Heute ist das Audi Cabriolet kein Technologie-Träger mehr, sondern ein Zeitzeuge mit er­staunlich weicher Karosserie und Edelholzblenden, die sich so ele­gant ins Cockpit einfügen, als hätte sie ein Tuner aus dem Ruhrgebiet geliefert.

Innovation: der erste Dieselmotor in einem Cabriolet

Der Audi ist von gestern. Zum Glück – weil ihm die Fahrwerkhärte von heu­te fehlt. Weil seine simple Vier­stufenautomatik noch immer sanft genug für den Alltag ist. Und das Topmodell 2.8 E mit 174 PS zwar so stark wie heutige Ba­sisversionen, aber doch kräftig genug, um nicht nur zu cruisen. Ausgerechnet die schwächste Version war es, die Geschichte schrieb: Ab Herbst 1995 gab es das TDI-Cabrio mit 90 PS und erstem Vorgeschmack auf die Crossover-Epoche. Ein offenes Auto zum Knausern und Genie­ßen, so was konnte nur von Audi kommen, dieser immer etwas zu ernsthaften Marke. Sie baute das Cabriolet wegen des großen Er­folgs viel länger als geplant, bis ins Jahr 2000. Ein paar späte Stücke zum Wegstellen sind also noch da.

Historie

Oktober 1988: Audi bringt das Coupé auf den Markt. September 1989: Eine Cabrio-Studie auf Basis des Cou­pés steht auf der Frankfurter IAA und trägt Audi zahlreiche Blindbestellungen ein. Mai 1991: Auslieferungsbeginn des Audi Cabriolets, das es anfangs nur mit 2,3-Liter-Fünfzylindermotor (133 PS) gibt, Grundpreis 51.950 Mark. Dezember 1992: Audi Ca­briolet 2.8 E mit V6-Motor und 174 PS. März 1993: Einstiegsversion 2.0 E mit Vierzylin­der-Motor und 115 PS. Juli 1993: Fünfzylinder entfällt zugunsten eines V6 mit 2,6 Litern und 150 PS. September 1995: TDI mit 90 PS. Januar 1997: 1,8-Liter-Motor (125 PS) ersetzt 2.0-Version. November 1997: Produktionsverlegung zu Karmann in Rheine. September 2000: Einstellung der Produktion nach 71.510 Exemplaren.

Technische Daten Audi Cabriolet 2.8 E

Audi Cabriolet 2.8 E
V6, 90 Grad, vorn längs • zwei Ventile pro Zylinder • zwei oben liegende Nockenwellen, über Zahnriemen angetrieben • Dreiwege-Katalysator • Hubraum 2771 ccm • Leistung 128 kW (174 PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 250 Nm bei 3000/min • Vorderradantrieb • Fünfganggetriebe oder Vierstufenautomatik • vorn McPherson-Federbeine, hinten Torsions-Kurbelachse • Scheibenbremsen vorn und hinten, ABS • Reifen 205/60 R 15 • Länge/Breite/Höhe 4366/1716/1378 mm • Radstand 2556 mm • Leergewicht 1430 kg • 0–100 km/h 9,8 s (Automatik: 11,1 s) • Spitze 218 km/h (Automatik 217 km/h) • Verbrauch um 11 Liter Super/100 km • Neupreis (März 1993, Schaltgetriebe): 66.950 D-Mark.

Plus/Minus

Ein stilsicheres Qualitäts-Cabrio zum Preis eines Vierthand-Golf: An der All­tagstauglichkeit des Audi soll es nicht scheitern. Der junge Klassiker fährt komfortabel und agil, punktet mit vollverzinkter Karosserie und haltbaren Motoren. Nur Pfusch am Blech lässt den Audi rosten, schlampige Unfallrepara­turen und brutales Tuning sind k.-o.- Kriterien. Zu den typischen mecha­nischen Schwachstellen zählen Ver­schleiß an der Vorderachse (Tragge­lenke, Spurstangen), Probleme mit dem Kühlsystem (Wasserpumpen, Thermo­schalter) sowie – speziell bei Sechszy­lindern und TDI – defekte Schaltgetrie­be. Die Vierstufenautomatik gilt dage­gen als haltbar. Bei Modellen mit elektrischem Verdeck können Hydrauliklei­tungen oder die Pumpe defekt sein, ölige Flecken im Kofferraum sind ein Alarmsignal: Eine neue Hydraulikpum­pe kostet 3000 Euro – plus Einbau.

Ersatzteile

Keine Katastrophen, aber erste Engpäs­se: Eine Zeitlang konnte Audi keine hin­teren Seitenscheiben liefern, auch Schläuche für Kühl- und Servosystem sind zum Teil nicht mehr über das offi­zielle Audi-Programm bestellbar.

Marktlage

Sehr gute Originale sind schon rar, viele Dritt- bis Fünftbesitzer liebten breite Schlappen, Tieferlegungen und Bum-bum-Boxen mehr als den feinen Stil des Originals. Lieber Hände weg und länger nach Opas Ersthand-Schätzchen su­chen. Das gibt’s – je nach Motor und Aus­stattung – mit Laufleistungen unter 150.000 Kilometern zwischen 5000 und 8000 Euro, manchmal sogar mit Garan­tie beim Händler. Die gepflegtesten Stücke sind meist keine 2.8er: Wer stattdessen einen sanften 1.8er mit Automa­tik nahm, war wohl eher kein Heizer.

Empfehlung

Typisch Audi – und außerdem fast un­zerstörbar – ist der Fünfzylinder, aber ausgerechnet diese frühen Exemplare sind meist schwer abgerockt. Wer eins findet, das noch auf den ursprünglichen 15-Zöllern steht und sein werksorigi­nales Nardi-Holzlenkrad nicht einbü­ßen musste: sicherstellen!

Von

Christian Steiger