Aah, diese unterkühlte Eleganz, so viel 60er-Jahre-Chic: Dieser Scheinwerfer-Blick hätte auch einem Mercedes SL gestanden, dazu die verchromten Radläufe und ein Heck, das an die S-Klasse der Baureihe W 108 erinnert. Die Türen schließen mit Tresorgefühl, die Sessel tragen schweres Cordvelours und laden mit ihrer Breite zum Fläzen ein. Und nein: Das Holz auf der Armaturentafel ist kein Plastik! Alles nicht billig, alles sehr gediegen hier, viel näher am Glanz des Sterns als am Spießer-Image, das den ersten Audi 100 so lange umgab.

Kein Revolutionär, aber doch ein Progressiver

Audi 100 LS
Was für eine Ungerechtigkeit, die Wiederbegegnung mit dem Ingolstädter Urtyp zeigt es: Zu Beginn seiner Karriere ist der 100er zwar kein Revolutionär gewesen, aber doch ein ganz Progressiver. Besser als auf die Behörden-Parkplätze der Republik passte er vor die weißen Bungalows jener Jahre. Das Langweiligste am Audi 100 waren oft nur die Männer, die ihn kauften. Besserwisser-Typen – aber bei der Wahl ihres Autos hatten sie wirklich recht. Viel moderner konnte man für zehn Riesen nicht Auto fahren, damals, als der Kanzler in Warschau kniete und die Söhne in der Mao-Bibel blätterten. Ganz Deutschland schrieb Geschichte, auch der Audi 100 war dabei: Ohne seinen Erfolg gäbe es die heutige Premiummarke nicht. Er war Audis erster Vorstoß in die gehobene Klasse, ein Volks-Mercedes, nur vitaler. Wie kann so einer heute kein gesuchter Klassiker sein? Vielleicht deshalb, weil er sich – abgesehen vom Frontantrieb – nicht um Traditionen scherte.

Top-Aerodynamik und niedriges Gewicht sorgen für niedrigen Verbrauch

Audi 100 LS
Er ist leicht, der erste Audi 100, fast sechs Zentner leichter als ein Mercedes 200/8: Keine 1100 Kilogramm wiegt das frühe Erfolgsmodell aus Ingolstadt – und trotzdem bietet es genug Lebensraum für fünf. Es gab ihn mit 80 und 90 PS, das war genug, aber auch die 100-PS-Version wurde gern genommen – und die fühlt sich selbst für heutige Begriffe nicht schlapp an. Nur der harzige Sound des 1,8-Liter-Motors wirkt museal, nicht aber ein Ampelstart oder die Lebendigkeit eines alten Audi 100 auf der linken Spur. Und wo Zeitgenossen saufen, sind ihm zehn Liter Super auf 100 Kilometer genug. Denn zum Leichtgewicht kommt sein niedriger cW-Wert von 0,37. So fühlt er sich nicht fremd in der heutigen Fahrspaß-Gesellschaft, und schon die Anschaffung eines alten Audi 100 macht Laune. Klar, er rostet wie jedes Auto seiner Zeit. Aber viele Besserwisser behielten ihre Audi lange, kannten den Wert von Scheckheft-Pflege und Hohlraum-Wachs. Es gibt sie also, die Spitzen-Exemplare, und sie kosten heute nicht mehr als früher in der Audi-Preisliste. Deshalb ist das Billigste an diesem Typ sein Liebhaber-Preis.

Plus/Minus

Für den Audi 100 spricht – neben dem günstigen Verbrauch und den geringen Fixkosten – seine Agilität, das komfortabel abgestimmte Fahrwerk und der geräumige Innenraum. Die Motoren halten bei guter Pflege 200.000 Kilometer und mehr, bei den Getrieben schwächelt früh die Synchronisation, und Knackgeräusche bei vollem Lenkeinschlag verraten kranke Antriebsgelenke. Viel dramatischer: Der frühe Audi 100 kann heftig rosten. Wichtigste Checkpunkte: vorderer Querträger, Wasserkasten im Motorraum, Kotflügel vorn/hinten, Türen, A-Säulen, Schweller, Kofferraumboden, Endspitzen, Hinterachs-Aufhängung, Batteriemulde (unter der Rücksitzbank).

Ersatzteile

Audi 100 Coupé
Bei Audi rechnete scheinbar niemand damit, dass der Ur-100 mal zum Klassiker werden könnte. Schon zu Beginn der 90er-Jahre gab es keine neuen Kotflügel und Türen mehr, selbst Bremsscheiben oder Handbremsseile strich die Premiummarke aus dem Programm. Heute sichern Fans und freie Händler die Versorgung mit Verschleißteilen, aber ein Blechschaden kann immer noch teuer werden. Und: Restaurieren ist meist unwirtschaftlich.

Marktlage

Selten, so ein früher Audi 100, obwohl er früher ein Massenauto war. Aber nur die Erhaltung eines gepflegten, rostarmen Exemplars macht auf Dauer glücklich. Bis zu 10.000 Euro verlangen manche Anbieter dafür, aber das ist Illusion: Für rund 5000 Euro gibt es kerngesunde Limousinen mit 100-PS-Motor. Etwas teurer ist das Spitzenmodell 100 GL, deutlich mehr kostet das nur 30.687-mal gebaute Audi 100 Coupé S: In makellosem Zustand sind Preise bis zu 18.000 Euro realistisch.

Empfehlung

Wer den Audi 100 und seine typischen Roststellen kennt, entscheidet nicht nach Wunschfarbe und -ausstattung, sondern allein nach Karosserie-Zustand. Zumal es wenig Unterschied macht, ob ein 80- oder 100-PS-Motor unter der Haube knurrt und das Topmodell 100 GL mit 112 PS sowieso sehr selten ist. Zu Recht meiden Audi-Fans allerdings die späte 85-PS-Version: Ihr 1,6-Liter-Motor (aus dem VW Passat) wirkt vergleichsweise schlapp.

Historie

1965: VW belebt die Vorkriegs-Marke Audi und lässt dafür DKW sterben. Technik-Chef ist Ludwig Kraus (*1911, †1997), ein früherer Mercedes-Entwickler.
1968: Präsentation des Audi 100 (80, 90, 100 PS, Zwei-/Viertürer).
1969: Audi 100 Coupé S (115 PS).
1970: Automatik auf Wunsch.
1971: Limousine auch als GL mit Coupé-Motor.
1973: Modellpflege, u. a. neuer Kühlergrill.
1974: neuer Basismotor (1.6, 85 PS).
1976: Produktionsende nach 827.474 Exemplaren.

Weitere Klassiker für Knauserer:

BMW 525e

Porsche 924

Fiat 500 D

$(LB548714:VW Golf I)$

Citroën 2 CV 6

Mercedes 200 D W 110

$(LB548673:Opel Kadett B 1100)$

VW 1200 A

Von

Christian Steiger