Wer heute Audi sagt, denkt sofort an Quattro. Quattro wie Allradantrieb. Den präsentierte Audi 1980 im Ur-Quattro. Der Sportwagen war der erste große Coup des ehrgeizigen Plans, Audi auf Augenhöhe mit BMW und Mercedes zu bringen.
Das Pepita-Hütchen, die umhäkelte Klopapierrolle auf der Hutablage und am Steuer ältere Herren oder brave junge Familienväter im Strickpulli. Leeres Klischee? Nein, genau das war die Audi-Welt der siebziger Jahre. Spießigkeit auf Rädern. Ein unhaltbarer Zustand für Racertypen wie Ferdinand Piëch, der von 1975 bis 1988 Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Audi war. Kein Ziel ist zu groß, auch das Unmögliche ist machbar: Porsche-Enkel Piëch packte es an. Audi auf Augenhöhe mit BMW und Mercedes, so lautete das Ziel, was seinerzeit nicht wenige Kommentatoren als Träumerei abtaten. Sie vergaßen: Vollbluttechniker Piëch hatte bereits in seinen Porsche-Jahren maßgeblich die Entwicklung des 908 und vor allem jenes legendären 917 gepusht, eines der erfolgreichsten Rennsportwagen der Siebziger, der es in seiner letzten Ausbaustufe auf sagenhafte 1100 PS brachte.
Dumpf aus zwei Endrohren trommelnd, pfiff der Audi Quattro damals über die Landstraße.
Ferdinand Piëch also gewährte einen kleinen Etat, als um 1977 in der Entwicklungsabteilung die Idee aufkam, normale Personenwagen mit vier angetriebenen Rädern auszustatten. Unbedingte Traktion und ein verbessertes Fahrverhalten in Kurven waren die theoretischen Vorzüge dieser damals noch exotischen Technik. Diese Vorzüge wurden zweifelnden Entscheidungsträgern anfangs von Entwicklern demonstriert, die klammheimlich einen Audi 80 zum Allradler umbauten und ihn zu Versuchsfahrten an verschneite Hänge brachten. Genfer Salon 1980, Weltpremiere des Quattro. Der Name war Walter Treser eingefallen, damals Leiter der Vorentwicklung und Chef von Jörg Bensinger, Quattro-Projektleiter und Vater des Allrad-Gedankens. Hätte Treser sich den Namen schützen lassen, wäre er in Geld geschwommen. 49.900 Mark kostete der Ur-Quattro, dieses von Designer Helmut Warkuß so kantig wie ein Briefkasten gezeichnete Coupé. Das aus dem braven Audi 80 übernommene Interieur wirkte in seiner Dünnplastik-Nüchternheit so billig, dass man nur vermuten durfte, der wahre Wert dieses Autos liege unter dem Blech. Zur Einordnung: 49.900 Mark kostete damals auch ein Porsche 911 SC.
Der Quattro ist zwar eckig, doch hier und da finden sich auch Rundungen.
Der Emporkömmling litt also nicht an Minderwertigkeitskomplexen – dazu bestand auch kein Grund. Bald demütigte der Quattro bei Rallyes unter den genialen Linksbremsern Hannu Mikkola und Stig Blomqvist heckgetriebene Konkurrenten wie Opel Ascona, Lancia Stratos, Fiat 131 oder Renault Alpine nach Belieben. Und Machos mussten damit leben, dass mit Michèle Mouton sogar eine Frau dem starken Geschlecht zeigte, wo man nicht Sekundenbruchteile, sondern Sekunden oder gar Minuten holt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Walter Röhrl auch zu Audi kam. Den Perfektionisten juckte es, sich und der Welt zu zeigen, dass er auch mit vier angetriebenen Rädern der Beste der Welt ist. Nach großen Eingewöhnungsproblemen und einigen verformten Quattro hatte sich Röhrl dann eingeschossen – Zeugnisse seiner Kunst gibt es zuhauf auf Youtube zu bestaunen, sein Parforceritt den Pikes Peak hinauf entlang den schönsten Abgründen Amerikas im 530 PS starken Sport Quattro S1 ist atemberaubende Pflicht. Puuh.
Führungsstarke Sessel mit Veloursbezug treffen auf die wunderbare Welt des Hartplastiks.
Der Quattro krempelte die Rallyeszene um, bis hin zum bedrückenden Wahnsinn der Gruppe-B-Boliden. Die schossen wie glühend heiße Kanonenkugeln Mitte der 80er feuerspuckend und turboschnatternd durch die Fan-Spaliere. Schwere Unfälle. Tote. Schockstarre. Dieser Wahnsinn musste enden. Ohne den Quattro hätte er nie begonnen. Wer den Quattro heute sieht, schaut auf ein eckiges, zierliches Coupé mit ausgestellten Radhäusern, das nicht sonderlich elegant daherkommt. Aber das Wissen um seine Bedeutung für den Motorsport weckt Neugier und Respekt, der unterwegs rasch schwindet und unangestrengtem Genuss Platz macht. Der ist ja ganz handzahm, denkst du, wenn du dich durch die hakeligen Gänge arbeitest und immer brav bei 3000 Touren schaltest. Dann bläst der Turbo nur kurz an, das tiefe Grummeln des Fünfzylinders umschmeichelt dich wie das Schnurren eines kapitalen Katers, und der Quattro schwimmt einfach im Verkehr mit. Wer das Gas stärker durchtritt bis 6000 Touren, spürt heftigeren Druck im Rücken, den er gern auch auf kurvigen Landstraßen genießt. Denn für ein in den späten 70ern konstruiertes Auto ist der Quattro lenkpräzise und leicht zu fahren. Der Turbo pfeift, das Wastegate ächzt, die fünf Zylinder trommeln und brüllen.
Ein halbes Jahr Gewöhnungszeit
Der Quattro beamt seinen Fahrer zurück in die 80er, als viele Käufer der ersten Stunde für diese trügerische Sicherheit Lehrgeld zahlen mussten. ABS kam erst 1984, und das Fahrverhalten – ob mit oder ohne aktivierte Sperren – ist eigenwillig. "Man braucht schon ein halbes Jahr, um sich daran zu gewöhnen", soll Piëch amerikanischen Journalisten mal gestanden haben. Wer ihn kennt, weiß, dass damit nicht die gemütliche Fahrt zum Theater gemeint war, sondern das Fahren auf der allerletzten Rille, die oft schneller erreicht ist als gedacht. Denn vor allem auf Schnee wechselt der Quattro gern unentschlossen zwischen Über- und Untersteuern. Irgendwie kein Wunder, denkst du beim Blick unter die vordere Haube – die haben sich alle Mühe gegeben, den Motor so weit wie möglich in die Stoßstange zu stopfen. Wahr ist: Es ging nicht anders. quattro steht an den Seitenscheiben und am Heck, mit kleinem "q". Man sollte besser Quattro schreiben. Denn dieser Wagen, der Vater aller modernen Allrad-Pkw, ist ein ganz Großer.
Historie
Der Fünfzylinder mit Turboaufladung holte 200 PS aus 2,2 Liter Hubraum.
Als ein braver VW Iltis bei der Wintererprobung die Fronttriebler regelmäßig abhängte, kam den Audi-Enwicklern die Idee zum sportlichen Allradler, der als Quattro 1980 auf dem Genfer Salon Premiere hatte. Audi wollte mindestens 400 Stück verkaufen, um die Homologationsvorschriften für den Rennsport zu erfüllen. Hier sollte die Marke ein emotionales, fortschrittliches Image bekommen. Das Coupé mit dem charaktervollen Fünfzylinder-Turbo wurde zum Verkaufserfolg: Bis 1991 wurden 11.542 Exemplare gebaut. Größte Modelländerungen waren 1982 die Einführung des digitalen Tachos und Drehzahlmessers, 1987 die Aufstockung des Hubraums auf gut 2,2 Liter. 1989 bekam der Audi Vierventilzylinderköpfe, 220 PS und Katalysator. 1983 präsentierte Audi den kurzen Sport Quattro mit 306 PS. Straßenversionen zum Preis von 195.000 Mark wurden 224-mal verkauft, "der Kurze" mutierte bald zum Gruppe-B-Monster mit mehr als 500 PS. Ebenfalls 1983 startete Walter Treser die Kleinserie seines Klappdach-Roadsters auf Basis des Ur-Quattro. 1990 löste das Audi Coupé S2 den Ur-Quattro ab.
Technische Daten
Audi Quattro Motor: Reihenfünfzylinder, vorn längs • eine obenliegende Nockenwelle, über Zahnriemen angetrieben • zwei Ventile pro Zylinder • mechanische Benzineinspritzung Bosch K-Jetroic • ein Turbolader KKK 26, Ladeluftkühlung • Bohrung x Hub 79,5 x 86,4 mm • Hubraum 2144 ccm • Verdichtung 7,0:1 • 147 kW (200 PS) bei 5500/min • 285 Nm bei 3500/min • Antrieb/Fahrwerk: Fünfgangschaltgetriebe • permanenter Allradantrieb • mechanische Sperren für Zentral- und Hinterachsdifferenzial • Einzelradaufhängung vorn und hinten an McPherson- Federbeinen, Stabilisator vorn und hinten • Scheibenbremsen vorn und hinten • Reifen 205/60 R 15 • Maße: Radstand 2524 mm • L/B/H 4404/1723/1344 mm • Leergewicht 1260 kg • Fahrleistungen/ Verbrauch: 0–100 km/h 7,5 s • Spitze 222 km/h • Verbrauch 11,3 l Super/100 km • Neupreis: 49.900 Mark (1981)
Plus/Minus
Trotz des saftigen Neupreises von 49.900 Mark wurden 11.548 Quattros verkauft.
Ein gut gewarteter Quattro ist ein sehr alltagstaugliches, problemloses Auto. Er fährt sich erstaunlich modern, ist komfortabel gefedert und leise. Sein Beschleunigungsvermögen darf auch heute noch als sportlich gelten. Viel stilvoller kann man nicht in den Winterurlaub düsen, wobei der kleine Kofferraum Augenmaß beim Packen erfordert, wenn es zu viert in den Schnee geht. Der Verbrauch (vom teuren Super plus, bitte) ist bei forscher Fahrweise nicht gerade niedrig, hier fordert die miese Windschlüpfigkeit Tribut. Rost ist bei frühen Quattro durchaus ein Thema, denn erst von Modelljahr 1985 an waren einige Karosserieteile verzinkt.
Ersatzteile
Audi scheint noch immer davon überrascht zu sein, dass viele Fans den Quattro als erhaltenswertes Kulturgut ansehen und hin und wieder Ersatzteile brauchen. Wer nämlich auf die Teile-Theke seines Audi-Händlers vertraut, sieht sich schnell alleingelassen. Vor allem Interieurteile sind neu kaum noch erhältlich – und gebraucht oft so teuer, als hätten sie einen Kern aus purem Gold. Das Lenkrad etwa mit dem Quattro-Schriftzug wird bei Ebay in der Regel um 600 Euro gehandelt, die vier eckigen Scheinwerfer liegen in ähnlichen Dimensionen. Bei Karosserieteilen verspricht der Gang zum Vertragshändler mehr Erfolg – auch weil manche Teile von den 80- und 90-Coupés passen. Bei Technik-Komponenten lohnt sich ein Blick nach England, wo die Quattro-Szene sehr rege und hilfsbereit ist.
Marktlage
Die Zeit billiger Quattro ist längst vorüber. Wer einen guten hat, gibt ihn freiwlllig nicht mehr her – oder verlangt gesalzene Preise auf Niveau eines Porsche 911 SC. Meist gut gepflegt, aber nur 160 PS stark und daher spürbar weniger dynamisch, sind Quattro aus der Schweiz.
Empfehlung
Das echte Quattro-Feeling liefern die Zweiventiler mit 2,1 Liter Hubraum, die ihre Leistung aus der Tiefe des Turbolochs explosiv herausschießen. Der 1987 präsentierte 2,2-Liter-10V ist schon geschliffener, die 20V-Modelle mit 220 Kat-PS ab 1989 sind mit ihrer gleichförmigen Kraftentfaltung fast schon unspektakulär. Von 1983 an hatte der Quattro ein Digital-Cockpit – im Alter oft Quelle vieler Störungen.
Von
Michael Harnischfeger
Allrad-Klassiker: Audi Quattro
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Wer heute Audi sagt, denkt sofort an Quattro. Quattro wie Allradantrieb. Den präsentierte Audi 1980 im Ur-Quattro. Der Sportwagen war der erste große Coup des ehrgeizigen Plans, Audi auf Augenhöhe mit BMW und Mercedes zu bringen.
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Ferdinand Piëch gewährte einen kleinen Etat, als um 1977 in der Entwicklungsabteilung die Idee aufkam, normale Personenwagen mit vier angetriebenen Rädern auszustatten. Unbedingte Traktion und ein verbessertes Fahrverhalten in Kurven waren die theoretischen Vorzüge dieser damals noch exotischen Technik.
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49.900 Mark kostete der Ur-Quattro, dafür bekam man auch zwei Mercedes 230. Oder eben dieses von Designer Helmut Warkuß so kantig wie ein Briefkasten gezeichnete Coupé. Das aus dem braven Audi 80 übernommene Interieur wirkte in seiner Dünnplastik-Nüchternheit so billig, dass man vermuten durfte, der wahre Wert dieses Autos liege unter dem Blech.
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Heute wirkt das zierliche, kantige Coupé trotz ausgestellter Radhäuser relativ unsscheinbar und nicht übermäßig elegant. Aber das Wissen um seine Bedeutung für den Motorsport weckt Neugier und Respekt, der sich unterwegs rasch schwindet und unangestrengtem Genuss Platz macht.
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Ein Klotz im Wind, oder: Aerodynamik ist was für Leute, die keine Motoren bauen können. Audi sah das ganz ähnlich wie Enzo Ferrari. Der cW-Wert des Quattro-Quaders liegt etwa bei 0,4 – auf Niveau des 20 Jahre älteren Ford Taunus 17M.
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Der Quattro ist im Wesentlichen eckig, doch hier und da finden sich auch Rundungen.
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Alles so schön plüschig hier: Rahmenkopfstützen und führungsstarke Sessel mit Veloursbezug treffen auf die wunderbare Welt des Hartplastiks. Der erste Eigner unseres Fotoautos ließ ein Telefon einbauen. Nein, kein C-Netz. B-Netz.
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Die Ladedruckanzeige endet in einer Zielflagge. Wenn Tuner den Druck erhöhten, dann bimmelte auch mal das Totenglöckchen für den Fünfender.
9/17
Der Fünfzylinder mit Turboaufladung leistet 100 PS aus 2,2 Litern Hubraum. Die sind ganz handzahm, wenn der Fahrer immer brav bei 3000 Touren schaltet. Wer das Gas stärker durchtritt bis 6000 Touren, spürt heftigeren Druck im Rücken, den er gern auch auf kurvigen Landstraßen genießt.
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Bis zum Baujhar 1982 wurden Hinterachs- und Zentral-Differentialsperre über Seilzüge betätigt.
11/17
Die Sperrungen wurden durch Signallampen bestätigt. Ein apartes Kühlwasserthermometer hat in diesem Wagen auch noch auf dem Panel Platz gefunden. Dem ging wohl ein beherzter Angriff mit der Lochsäge voraus.
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Audi wollte mindestens 400 Quattro verkaufen, um die Homologationsvorschriften für den Rennsport zu erfüllen. 11.542 wurden daraus, der Quattro lief bis 1991 – das nennt man einen Erfolg. Und jeder einzelne Wagen steuerte das Image der Marke in Richtung emotional, fortschrittlich, sportlich.
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Den "zivilen" Quattro entwickelte Audi zum Sport Quattro weiter. Die Ingolstädter zogen alle damals verfügbaren Register zur Leistungssteigerung: Turbolader, Vierventilmotor und die neueste Einspritzttechnologie. Lohn der Mühe: 306 PS aus (homologationspolitisch maximal zulässigen) 2,14 Litern Hubraum, knapp unter fünf Sekunden für den Sprint auf Tempo 100.
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220 Sport Quattro entstanden – die Homologation zur FIA-Gruppe B glückte. Das Coupé mit den eindrucksvollen Muskelpaketen kostete allerdings ordentliche 200.000 Mark, was damals zwei Porsche 911 Turbo entsprach und dem Quattro den Titel des teuersten deutschen Serienautos einbrachte.
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Ging noch mehr? Klar doch: Nur noch wenig Ähnlichkeit zum Straßen-Renner Sport Quattro hatten die aus ihm entwickelten Rennsportversionen Sportquattro S und besonders E2, der 1985 etliche Rennerfolge verbuchen konnte. Den Zenith erreichte Audi 1987 mit dem E2 Pikes Peak (Bild), mit dem Walter Röhrl das gleichnamige Bergrennen gewann. Eckdaten: 598 PS, 2,4 Sekunden bis Tempo 100.
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1990 trat das S2 Coupé mit 220 bis 230 PS und natürlich Allradantrieb in die großen Fußstapfen des Quattro.
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Knapp 20 Jahre später: Quattro concept hieß der 2010 vorgestelllte und inzwischen in (Klein-)Serie gegangene weiße Enkel des legendären Sport Quattro. Seine Plattform kommt vom Audi RS 5, der 408 PS starke Fünfzylinder vom Audi TT RS. So kann die Zukunft kommen.