"Golf Cabrio – nein danke!", tönte es 1979 aus den Kehlen erboster Käfer-Cabrio-Fans. Niemand wolle den Nachfolger mit seinem Überrollbügel. Nur komisch, dass er bis heute so beliebt ist – als moderner, günstiger Klassiker.
Bild: R. Raetzke
Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Zumindest keinen gebürtigen Sylter, der seit 50 Jahren im ebenso stürmischen Kiel lebt. So einer zieht nicht bei jedem Regenschauer wasserdichtes Ölzeug an. Oder lässt den kalten Kaffee halb voll zurück auf der windigen Seebrücke zurück. Es sei denn, man hat vergessen, das Verdeck seines Golf I Cabriolet zu schließen. Aber das kommt selten vor. Denn meist bleibt das Stoffdach so wie die Kieler Wolkendecke: geschlossen. Und so sind wir es aus dem sonnenverwöhnten Hamburg, die an diesem typischen Kieler Regentag lange Gesichter machen: Cabrio fotografieren im Wolkenbruch. Na super. Aber eigentlich passt dann doch wieder alles: Für 17 Minuten stoppt der Regen, das Golf-Sondermodell ist ruck-zuck geöffnet. Es trägt die Bezeichnung "Coast" sowie die Farbe Oceanic-Blau – und steht direkt am Wasser. Perfekt, findet unser Kieler Fotoauto-Besitzer. Außerdem sieht das Golf I Cabriolet geschlossen ja auch viel besser aus als offen. Dann sieht man nämlich den "Henkel" nicht.
Sondermodelle wie das Golf Cabriolet "Coast" atmen schönsten 80er-Zeitgeist – und kosten dabei nicht die Welt.
Bild: R. Raetzke
Autsch, das tut jetzt allen Fans weh! Doch selbst die Entwickler bei Karmann haben den Überrollbügel, den Henkel des Erdbeerkörbchens, nie gewollt. Und ihn demnach bei ihrem Entwurf eines Käfer-Cabriolet-Nachfolgers nach Kräften ignoriert. So kollidierten sie massiv mit dem damaligen VW-Entwicklungschef Ulrich Seiffert. Der bestand auf dem Überrollbügel. Damit, so darf man im Nachhinein behaupten, rettete Seiffert wohl das Cabriolet an sich: Zuvor hatte die Sicherheitsdiskussion fast alle viersitzigen Open-Air-Modelle vom Markt gefegt. Einzig Rolls-Royce Corniche und Käfer Cabrio hielten die Tradition gegen Ende der 70er-Jahre hoch. Mit dem Überschlagschutz schaffte es der Oben-ohne-Golf relativ schnell durch alle Wolfsburger Kontrollinstanzen. Die ihm oft angedichtete maßgebliche Funktion für die Verwindungssteifigkeit besitzt der Bügel übrigens gar nicht. Eine Mär, ein Gerücht. Nur zehn Prozent Steifigkeit bringt das Teil. Mit seinem massiven T-Träger-Rahmen sowie Versteifungen zwischen den hinteren Radkästen und im Bereich der Spritzwand würde der henkellose Golf also fast genauso gut funktionieren. So sahen die Karmänner den unumgänglichen Henkel pragmatisch – als verbesserte Verdeck- und Seitenscheibenführung und optimale Fixiermöglichkeit für die vorderen Sicherheitsgurte.
Für 3000 bis 5000 Euro bekommt der Youngtimer-Freund ein auf Wunsch offenes Auto mit einem auf Wunsch tatsächlich dichten Dach.
Bild: R. Raetzke
Das serienfähige Golf I Cabrio kam 1979 ans Licht. Und in die Schlagzeilen, dafür sorgten die Traditionalisten der Käfer-Szene, die den kastigen Golf schlicht zum Kotzen fanden. Hätte nur die Hälfte der damals lauthals protestierenden Käfer-Cabrio-Fans ihren Liebling in den Jahren zuvor als Neuwagen geordert! Karmann wären alle Gedanken um den Nachfolger einer automobilen Legende und um die Zukunft des eigenen Unternehmens – denn hierum ging es – erspart geblieben. "Erdbeerkörbchen" wurde erst zum Spottbegriff, dann zum neutralen Identifizierungscode für das Golf I Cabriolet. So etwas wirst du nie wieder los, auch nicht als Auto. Doch dann kam es, wie es kommen musste: Das Golf I Cabrio geriet auf bald zum Verkaufsschlager. Sein Erfolg hielt so lange an, dass es nicht einmal einen Nachfolger auf Golf-II-Basis brauchte. Bei Karmann entstand zwar eine Studie, doch die brachte es noch nicht einmal zum lauschigen Keller-Parkplatz in der werkseigenen Sammlung: Das einzige Golf II Cabrio wurde verschrottet, nachdem sich die Daumen der Wolfsburger Bosse gesenkt hatten. Nur noch auf Fotos existiert das unglückliche Einzelstück, havannabraun mit cremefarbenem Dach und angebürzeltem Jetta-II-Heck. Schon okay, dass niemand dieses Auto kaufen musste. Bald trugen alle kompakten Cabriolets einen Überrollbügel, Sascha Hehn zementierte in der ZDF-"Schwarzwaldklinik" das Bild des Berufssohns im offenen Golf. Das Ding gehörte zum Inventar der deutschen 80er wie Nenas Frottee-Schweißband und College-Schuhe mit Bommeln.
Der luftigste der Gölfe zeigt noch heute eine hohe Materialqualität. Komplette Instrumente, stimmiger Original-Auftritt.
Bild: R. Raetzke
Auch wenn es die Käfer-Gemeinde nicht glauben will: Aus dem Golf I wächst ein Klassiker, das Golf I Cabrio avanciert zum Evergreen der klassischen, stets erschwinglichen Spaßautos. Für 3000 bis 5000 Euro bekommt der Youngtimer-Freund, was sein Frischluft-Herz begehrt: ein auf Wunsch offenes Auto mit einem auf Wunsch tatsächlich dichten Dach. Das Ganze relativ geräuscharm, komfortabel und so zuverlässig, wie es sich für ein Jedermanns-Gefährt der elektronikfreien 80er gehört. Schöner Nebeneffekt für Freunde der jungen Geschichte: Mit dem Facelift 1987/88 wird das Cabrio zum Chronisten gleich zweier Jahrzehnte. Es erzählt wunderschön von den kastigen Siebzigern, als Design eine klare Kante bekam, und spiegelt die schminkfreudigen 80er mit Tingeltangel-Sondermodellen und "Rundum-Spoilersatz" (VW-Jargon). Nachgeborene, die sich für Alltagssehnsüchte der Zeit um 1990 interessieren, müssen nur die offizielle Liste der Sonder-Cabrios studieren: Etienne Aigner, Toscana, Young Line, Classic Line, Genesis. Ja, so lange ist das her. Altersschwächen gibt es inzwischen auch, marode Verdecke und durchgammelnde Tankrohre. Und keine Innenausstattung macht 20 und mehr Jahre klaglos mit. Aber das sind alles nur Gebrauchsspuren, beherrschbare Problemchen. Wen kann das schon erschüttern?
Technische Daten
98 PS aus 1800 Kubik Hubraum reichen dem Coast-Sondermodell für 166 km/h Spitze.
Bild: R. Raetzke
VW Golf Cabriolet Coast Motor: Reihenvierzylinder, vorn quer • oben liegende Nockenwelle, über Zahnriemen angetrieben, 2 Ventile pro Zylinder, elektr. Einspritzung • Hubraum 1794 ccm • Leistung 72 kW (98 PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 142 Nm bei 3000/min • Antrieb/Fahrwerk: Fünfgang-Schaltgetriebe (auf Wunsch Dreistufenautomatik) • Vorderradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an McPherson-Federbeinen, Stabilisator, hinten Federbeine, Verbundlenkerachse, Stabilisator • vorn und hinten Scheibenbremsen, ABS gegen Mehrpreis • Reifen 185/60 R 14 H • Maße: Radstand 2400 mm • Länge/ Breite/Höhe 3890/1640/1395 mm • Leergewicht 1015 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 11,2 s • Spitze 166 (Automatik: 161) km/h • Verbrauch circa 9 Liter Normal bleifrei pro 100 km • Neupreis: 33.105 Mark (1991).
Historie
Im Mai 1979 präsentiert die Volkswagen AG den Nachfolger der Legende Käfer Cabrio – das Golf Cabriolet. Bis Anfang 1980 laufen Käfer und Golf parallel, danach entwickelt sich der zunächst geschmähte Nachfolger schnell zum Verkaufserfolg. Als GL mit 70 PS oder GLi mit dem 112-PS-Motor des GTI erfreut sich der offene Golf einer stetig wachsenden Zahl von Liebhabern. Schon bald gibt es attraktive Sondermodelle mit in Wagenfarbe lackierten Stoßfängern. Ab 1984 nutzt das Golf Cabrio die Plattform des SciroccoII, erhält serienmäßig Doppelscheinwerfer und den von 40 auf 55 Liter vergrößerten Benzintank. Zudem kommt das Cabrio ebenfalls in den Genuss der verbesserten Rostvorsorge des seinerzeit neuen Golf II – dessen offene Version der Markterfolg des Einser-Cabrios verhindert. Im Mai 1987 (also zum Modelljahr 1988) erfährt das Golf I Cabriolet seine wohl umfassendste Veränderung: Der bullige "Rundum-Spoilersatz" mit in Wagenfarbe lackierten Stoßfängern und Radhausverbreiterungen wird Serie, zudem ist der Kühlergrill grober gerippt. Bis 1993 überlebt der offene Einser, dessen Karriere nach 388.522 Exemplaren endet.
Plus/Minus
"Erdbeerkörbchen" wurde erst zum Spottbegriff, dann zum neutralen Identifizierungscode für das Golf I Cabriolet.
Bild: R. Raetzke
Geräumiges Cabriolet mit offiziell vier Sitzen – na ja ... Vielleicht waren Menschen früher kleiner? Egal, wenigstens vorn ist es im Golf I Cabriolet nicht eng – und für die Kurzstrecke reicht es auch auf der Rücksitzbank. Das Golf Cabriolet ist ab 1984 besonders gut konserviert, was an der Übernahme der Fertigungsmethoden des Golf II liegt. Neben leicht erkennbaren Schäden am Verdeck sollten Kaufinteressenten das Tankrohr im rechten hinteren Radkasten sowie die hinteren Dämpferdome auf Korrosion prüfen. Einen genauen Blick verdienen auch die Rahmen der Frontscheibe sowie der hinteren Seitenscheiben. Zeigt sich im Bereich des Übergangs vom Verdeck zur Karosserie Feuchtigkeit, sind die Blechpartien oft durchgerostet. Wellige Interieurteile (Cockpit, Handschuhkastendeckel) sind dagegen kein großes Problem, die Teile gibt’s noch.
Ersatzteile
Keine ernsthaften Engpässe. Für unser Foto-Sondermodell "Coast" beispielsweise hält das Volkswagen Classic Parts Center (CPC) sogar noch zweifarbige Original-Avus-Räder bereit – Stückpreis: 100 Euro inklusive Steuer. Blechteile, Mechanik, Fahrwerk, Antrieb: Die Cabriolet-Baugruppen sind identisch mit der millionenfach gebauten Golf-Limousine und daher ohne langes Suchen zu haben. Eine Enttäuschung erlebten wir bei der Recherche allerdings: Stoff oder gar Sitze hatten die VW-Classic-Leute nicht mehr für unseren Foto-Wagen. Doch da können die rührigen Leute aus der Klubszene helfen – wetten?
Marktlage
Noch ist die Auswahl an guten und günstigen Golf I Cabriolet groß. In jeder Preis- und Zustandskategorie existieren Angebote. Fahrbereite Exemplare mit TÜV und Zuwendungsbedarf rangieren zwischen 1500 und 2500 Euro. Zwischen 2500 und 5000 Euro kosten gute Einser-Cabrios, Top-Exemplare liegen bei 15.000 Euro.
Empfehlung
Ein Golf I Cabriolet als Investition mit Wertzuwachs? Warum nicht, das hat beim offenen Käfer auch geklappt. Also gehen wir einkaufen. Auf der Liste sollten stehen: frühe, originale Exemplare, am besten als GLi, von den Facelift-Modellen besonders die Ausführungen Genesis, Classic Line sowie natürlich das edle Cabriolet Etienne Aigner. Zudem sind unverbastelte Sport-Line-Modelle ein Geheimtipp.
Unverständlich, dass das Golf I Cabrio bei seinem Debut 1979 erstmal einen Aufschrei bei den VW-Fans provozierte. Besonders die Traditionalisten der Käfer-Szene fanden den kastigen Golf grauenhaft. Die Bezeichnung "Erdbeerkörbchen" wurde erst zum Spottbegriff, später zum neutralen Identifizierungscode.
Bild: Roman Rätzke
2/10
Erst mit Verzögerung wurde das kleine Spaß-Cabrio zum Verkaufsschlager. Sein Erfolg hielt so lange an, dass es nicht einmal einen Nachfolger auf Golf-II-Basis brauchte. Kein Wunder: Der Wagen ist rundum gelungen, die Proportionen stimmen, die Linienführung ist nahezu perfekt.
Bild: Roman Rätzke
3/10
Selbst die Entwickler bei Karmann haben den Überrollbügel, den "Henkel" des "Erdbeerkörbchens", nie gewollt. Die ihm oft angedichtete maßgebliche Funktion für die Verwindungssteifigkeit besitzt der Bügel übrigens gar nicht.
Bild: Roman Rätzke
4/10
Schöne Aussichten: Der luftigste der Gölfe zeigt noch heute eine hohe Materialqualität. Komplette Instrumente, stimmiger Original-Auftritt. Die Sportsitze von VW sind noch heute tiptop, das Dekor zeittypisch.
Bild: Roman Rätzke
5/10
Als GL mit 70 PS oder GLi mit dem 112-PS-Motor des GTI erfreut sich der offene Golf einer stetig wachsenden Zahl von Liebhabern. 98 PS aus 1800 Kubik Hubraum reichen dem Coast-Sondermodell für 166 km/h Spitze.
Bild: Roman Rätzke
6/10
Auch wenn es die Käfer-Gemeinde nicht glauben wollte: Aus dem Golf I Cabriolet ist ein Klassiker geworden, der zum Evergreen der klassischen, stets erschwinglichen Spaßautos avancierte. Für 3000 bis 5000 Euro bekommt der Youngtimer-Freund, was sein Frischluft-Herz begehrt: ein auf Wunsch offenes Auto mit einem auf Wunsch tatsächlich dichten Dach. – Lesen Sie dazu unbedingt den Artikel: die ausführliche Kaufberatung!
Bild: Roman Rätzke
7/10
Und nun zur "lieben Verwandtschaft": Das legendäre VW Käfer Cabriolet lief von 1949 bis 1980 vom Band. Bis Anfang 1980 erfolgte die Produktion von Käfer und Golf noch parallel.
Bild: Christian Bittmann
8/10
"The Thing" nennen die Amerikaner den VW 181, der ja eigentlich Kurierwagen heißt und von 1969 bis 1979 hergestellt wurde. Er ist überwiegend in olivgrün in Erinnerung geblieben, denn die meisten Exemplare orderte die deutsche Bundeswehr.
Bild: Uli Sonntag
9/10
Von 1965 bis 1975 währte die Buggy-Welle, auf der mehrere Hersteller surften, ab 1970 auch Volkswagen. Hier im Bild: Der VW Apal Jet Buggy.
Bild: Uli Sonntag
10/10
Der Nachfolger: Huch, wie vernünftig! Das Golf III Cabrio löste 1993 den offenen Golf I nach 14 Produktionsjahren ab. Es lief nicht ganz so erfolgreich bis 2002. Hier waren auch eine Diesel-Version (!) und Doppel-Airbags im Angebot. Und auch hier schlug der Zeitgeist zu: Es gab Sondermodelle namens Pink Floyd, Rolling Stones und Bon Jovi.