Manche Tage beginnen gut. Frühstück mit Blick auf die Elbe, danach per S-Klasse in den Verlag. Zuvor noch schnell dem jungen Blondschopf einen Kuss auf die Wange gedrückt, schon rollt die Lebensfrau im Mini Cooper Richtung Steuerberatungsbude. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht reich. Der Mercedes ist Baujahr 1992 und kostete 5800 Euro. Mein defektfreudiger Mini aus dem Baujahr 2007 fristet seinem Leasingende als Frauenauto entgegen, weil ich die rollende Ruine nicht mehr sehen will. Sie merken, es wird kompliziert. 20.000 km fuhr ich mit abnehmender Freude den Cooper und lernte viele Leute kennen, die meisten arbeiten bei der BMW-Niederlassung. Nach der letzten Reparatur war klar: Es geht nicht mehr. Mit vergleichbaren Gefühlen legen andere dem Chef die Kündigung auf den Tisch oder tragen den Umzugskarton an der Frau vorbei.

92er Neupreis des 400 SEL: über 160.000 D-Mark

Mercedes-Benz 400 SEL Nikolaus Eickmann
Komfortabler als im Fond eines W 140 mit Einzelsitzanlage ist es auch in einem neuen Maybach nicht.
Ich suchte nach einem gebrauchten Mercedes, einem unkaputtbaren Alltagsbewältiger. Bei diesen Vorgaben und zehntausend Euro auf der Kante landet man beim W 140, der vergessenen S-Klasse aus der Kohl-Ära. Meine Lieblingsmenschen reagierten unterschiedlich: Jubel beim Blondschopf, hat ihr Vater doch die S-Klasse seit Jahrzehnten im Abo und verhalf so seiner Tochter schon in deren Teenie-Zeit zu einem Geschmack der Sonder-Klasse. Ralf, Vater meiner Patentochter, hoffte auf ein Ende dieses Spleens. Meine Mutter wundert grundsätzlich nichts mehr, weshalb sie zu allen Mobilitätsfragen kategorisch schweigt.

Fond mit Einzelsitzanlage und Gardinen

Und dann: 400 SEL, blauer Velours, dunkelblau gelackt. Erstbesitzer: die Bertelsmann AG. Der Wagen diente der Eigentümerin Liz Mohn als Dienstwagen. Erstes Kennzeichen: GT-LM 400. Die Nummer passte zur S-Klasse wie die dunkelblauen Gardinen im Fond und die zusätzlichen Leselampen in der C-Säule. Hier studierte Frau Mohn die "Bunte" oder die "Financial Times", der Mercedes rollte bestimmt oft zum Haubenkoch, und es roch im Fond stets nach dem Leder neuer Schuhe. Heute? Riecht es nach Hausrenovierung, da zwischen elektrisch verstellbarem Einzelsitz und Fahrersitz perfekt ein Eimer Farbe passt. Der 400 SEL bewegt sich im Dreieck Baumarkt, Verlag und Wien, meiner zweiten Heimat. Silvester 2009 wird der Tacho wohl ein Jahresplus von 40.000 Kilometern ausweisen.
Beschaulicher Youngtimeralltag mit viel Poliermittel, warmer Garage und einer Rallye pro Jahr? Also bitte, wir sprechen von einem Fahrzeug, keiner Immobilie. Ähnlichkeit zu Gebäuden gibt es trotzdem, der Innenraum spendet mehr Platz als mein verdrecktes WG-Zimmer vor zehn Jahren. Händchenhalten? Vermutlich dachten die Entwickler in Stuttgart nicht an verliebte Paare, sondern an Herren mit getrennten Schlafzimmern, welche die Entfernung zur Beifahrerin schätzen. Bestimmt auch die Ruhe im Innenraum, die doppelten Seitenscheiben garantieren Kathedralen-Atmosphäre. Glauben Sie ja nicht, dass die ersten 10.000 Kilometer frei von technischen Sorgen waren, die Hälfte des Kaufpreises wanderte bereits in die Mechanikertasche. Es gibt keine billige S-Klasse. Kostet der Wagen in der Anschaffung wenig, fließt das Geld eben später in die Werkstatt – die Rechnung kommt immer.

Dank ausbleibendem Wertverlust wirtschaftlich

Mercedes-Benz 400 SEL W 140
Der W 140 fährt sich viel handlicher, als die üppigen Abmessungen vermuten lassen.
Andere mögen sich einen neuen Opel Corsa kaufen – ich sehe die Reparaturen meiner S-Klasse als persönlichen Beitrag zur Rettung der heimischen Wirtschaft. Aus dem Logbuch: Motorkabelbaum defekt, Verteilerkappen vergammelt, Batterie altersschwach, Reifen abgefahren, Ölverlust. Macht in Summe 2700 Euro. Kraftstoffverbrauch: circa 15 Liter. Manche nennen mich geizig, nur weil ich mich beim Zahlen nicht immer vordränge und auf Kleingeld achte. Doch wenn selbst der Diplomkaufmann in mir keine finanziellen Bedenken gegen den 400 SEL hat, ist das ein Zeichen. Glauben Sie mir: Mein Mini ist dank Wertverlust wesentlich teurer.

Die üppige S-Klasse macht einfach glücklich

Mercedes-Benz 400 SEL W 140
Enge Tiefgaragen sind nicht das bevorzugte Areal eines W 140. Besser aufgehoben ist er auf der Autobahn.
Nachteilig im Alltag ist die Breite der S-Klasse. Oje: Mein Auto passt nicht in meine Garage, ein Bauwerk der 70er-Jahre. An den W 140 dachte zur Zeit der Ölkrise keiner. Wer kann schon sicher in die Autozukunft blicken? Irgendwann kommt der Tag, an dem die S-Klasse ein politisch korrektes Auto ohne CO2-Emission ist, dessen Power per Katzenfellreibung erzeugt wird. Bis dahin erfreue ich mich hoffentlich noch viele Jahre am fetten V8-Sound, der weichen schaltenden Automatik und dem Sänftenfahrwerk. Denn nichts ist schöner, als wenn ein Arbeitstag in einer Fahrt entlang der Elbe endet und der letzte Sonnenstrahl warm über die glänzenden Holzeinlagen streicht. Vor der Garage.

Von

Nikolaus Eickmann