Volkswagen wollte 1988 in Sport machen. Heraus kam ein sauber gezeichnetes Coupé, das versuchte, es allen recht zu machen, vor allem als 16V. Der VW Corrado verzichtete auf alle motorischen Extravaganzen des Hauses. Das drückt den Preis.
Heute besonders empfohlen: unser VW-Sparmenu: Man nehme den Golf, schneide den Fettrand ab, und als Füllung verwende man einen GTI-Motor, wahlweise gewürzt mit G-Lader, rühre ein ABS-System (und noch ein paar Delikatessen mehr) hinein, übergieße das Ganze mit einem hautengen Dressing, garniert mit einem Heckspoiler, der Kunststückchen kann, und lasse das Ganze rund ein Vierteljahrhundert schmoren. Wenn alles gar ist, stellt man fest: schmeckt lecker, aber der Preis ist gar nicht gesalzen! Name der Spezialität: Corrado. Das heißt auf Italienisch Konrad und ist die einzige Schrulligkeit dieses Autos. Volkswagen meinte, der Corrado sei ein echter Sportler. Rückblickend betrachtet ist er aber doch eher der gediegene Coupé-Ableger des Golf. Schon wegen der angetriebenen Vorderräder fällt es schwer, in ihm einen ernsthaften Sportwagen zu sehen, und im Motorsport war er auch nicht gerade auffällig. Außerdem gab es ihn auch mit Automatik! Na so was! Da kann auch der geschwindigkeitsabhängig geregelte Heckspoiler nicht mehr viel gutmachen. Ab 120 km/h stellte er sich automatisch auf. Das war cool, damals in den späten Achtzigern.
Gedrungen, breit, die Gürtellinie gespannt wie ein Muskel: Der Corrado tritt betont sportlich auf.
Einigen wir uns also auf Coupé. Übrigens hätte es gut sein können, dass über den Corrado auch ein Film wie "Manta, Manta" gedreht worden wäre. In "Corrado, Corrado" hätten wir dann jede Menge Connys mit ihren tiefen, breiten, fenstergeschwärzten rollenden Discos bewundern können, denn "ungemachte" Corrado sind heute in den einschlägigen Verkaufsbörsen die Ausnahme. An den meisten wurde mehr oder (meist) minder geschmackssicher herumgebastelt, dafür umso entschlossener. Es wäre mal interessant zu erforschen, warum gerade bestimmte Modelle so zum Vorstadtkracher werden. Wahrscheinlich ist es ihre Mischung aus Sportlichkeit und Spießertum. Jedenfalls dürfte das der Grund sein, weshalb der Corrado so günstig ist. Als seriöser Käufer mag man nicht gern mit Leuten verwechselt werden, die ihre Zigarettenschachteln im T-Shirt Ärmel tragen. Da hat VW also Pech gehabt, wo man sich doch alles so schön ausgedacht hatte mit dem Sportwagen. Eigentlich sollte der Corrado den Scirocco II beerben, wurde dann aber zu teuer in der Herstellung, weshalb man ihn oberhalb des Scirocco positionierte und diesen einfach im Programm beließ. Beide VW-Coupés wurden bei Karmann in Osnabrück produziert. Die Differenzierung lief über die Technik, weshalb der Ur-Corrado 1988 den legendären G-Lader bekam. Das machte ihn ziemlich aufregend, denn die Kraft war – anders als beim Turbo – sofort da. Die 160 PS brauchten keine Gedenksekunde, der aufwendige, schneckenförmige mechanische Lader kam praktisch verzögerungsfrei zur Sache, die Fahrleistungen waren überragend. Nachteil war höchstens das metallisch laute Geräusch des Laders und der hohe Einstiegspreis (sowie heute die Reparaturkosten des nicht gerade langlebigen Teils).
Leichtmetallräder mit 195/50-R-15-Reifen gab's serienmäßig.
Daher musste sich VW etwas einfallen lassen und erweiterte das Programm nach unten. 1991, als die G60-Verkäufe zurückgingen, schob Wolfsburg ein Modell ohne G-Lader nach, den 16V mit 136 PS. Der hatte den Motor des Golf GTI und kostete nun 39.900 statt 42.500 Mark. Immerhin. Wer mehr ausgeben wollte, bekam aber auch Gelegenheit dazu: Gleichzeitig kam der VR6 als neues Topmodell und Image-Zugpferd ins Programm, 47.900 Mark teuer und 160 PS stark. Mit beiden erholte sich der Absatz wieder. Als jedoch ein Jahr später der Scirocco endgültig aufs Altenteil fuhr, fehlte noch ein echtes Einstiegsmodell, weshalb 1993 sogar noch ein Achtventiler-Corrado hinzugefügt wurde – mit dem 115 PS starken Basis-GTI-Motor. Preis: 39.500 Mark. Der 16V war zwischenzeitlich bei 41.500 Mark angelangt. Unser 16V war also der zweitgünstigste Corrado im Sortiment. Heute ist er richtig billig. Gepflegte, unverbastelte Exemplare finden sich schon für weniger als 3000 Euro, und sie sind eine gute Wahl, denn Motor und Antrieb gelten als wesentlich unproblematischer als bei den beiden Top-Modellen. Selbst der Spaß kommt nicht zu kurz. Schon in den 90er-Jahren werden die erstklassige Straßenlage, die standfesten Bremsen und die präzise Lenkung gelobt. Und so ein Corrado ist auch heute noch ein Freudenspender, auch wenn der drehfreudige Motor obenraus ein bisschen laut wird und untenrum mit Drehmoment ein wenig geizt. Der Achtventiler wirkt harmonischer, wenn auch insgesamt träger als der 16V. Kummer macht höchstens mal die hakelige Seilzugschaltung, die genau eingestellt sein muss.
Lenkrad im Bauklötzchen-Stil und ein eckiges, sehr nüchternes Armaturenbrett: Ein VW-Interieur im Stil der Zeit.
Das Design ist übrigens, dem italienischen Namen Corrado zum Trotz, urdeutsch – es stammt von Herbert Schäfer. Raffinesse zählt nicht zu seinen stärken, eher die stimmigen Proportionen und der zum Anspruch passende bullige Auftritt. Die schlichte Form hat sogar etwas Edles, sofern sie nicht durch Spoiler oder Nachrüsträder verunziert wurde. Eher hausbacken wirkt das Interieur: routiniert gemacht und ergonomisch ohne Fehl und Tadel, aber leidenschaftslos bis zum Gehtnichtmehr, auch wenn sich der Erstbesitzer Ledersitze gönnte. Womit wir wieder beim Thema edel wären. Als Gegner war mal der Porsche 924/944 im Gespräch, der aber gerade eingestellt wurde, als der Corrado erschien. Der 924 war ja ursprünglich, Anfang der 70er-Jahre, eine Auftragsarbeit Porsches für VW gewesen. Doch dann bekam VW kalte Füße ob des eigenen Übermuts, einen Sportwagen zu Zeiten der Ölkrise ins Programm zu nehmen, weshalb ihn dann Porsche selbst verkaufte. Der Corrado löste also seinen ursprünglich eigenen Vorgänger ab und füllte so das Vakuum, das Porsche mit dem Ende seiner Vierzylinder-Frontmotor-Sportwagen hinterließ. Genützt hat es ihm nicht viel. Der Opel Calibra (238.000 Stück) staubte ab. 1995 gab VW das Experiment "Sportwagen" nach 97.521 Exemplaren wieder auf. Der Golf ohne Fettrand, letztlich nur verfeinerte Hausmannskost, endete als Fast Food.
Technische Daten
Drehfreudig, leistungsfähig, unkaputtbar: Der 136 PS starke Vierventiler aus dem Golf GTI gilt als Idealbesetzung unter der Corrado-Haube.
VW Corrado 2.0 16V Motor: Vierzylinder, vorn längs • zwei obenliegende Nockenwellen, über Zahnriemen angetrieben, vier Ventile pro Zylinder, elektronische Benzineinspritzung (Bosch-KEMotronic) • Hubraum 1984 ccm • Leistung 100 kW (136 PS) bei 5800/min • max. Drehmoment 180 Nm bei 4400/min • Antrieb/Fahrwerk: Fünfgang-Schaltgetriebe (auf Wunsch Vierstufenautomatik) • Vorderradantrieb • Einzelradaufhängung vorn an MacPherson-Federbeinen, Querlenkern und Querstabilisator, hinten Verbundlenkerachse, Schraubenfedern, rundum Teleskopstoßdämpfer • Reifen 205/50 R 15 • Maße: Radstand 2470 mm • L/B/H 4050/1690/1310 mm • Leergewicht 1175 kg • Kofferraum 235 Liter • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 9,7 s • Spitze 207 km/h • Verbrauch 9,5 l S/100 km Neupreis: 41.475 Mark (1992).
Historie
Der Scirocco II basiert noch auf dem ersten Golf und ist damit in den späten 80ern ein alter Hut. Die Entwicklungsgrundlage für den Nachfolger bildet der Golf II. VW fügt sogar einige Teile des künftigen Golf III hinzu und entwickelt ein technisch anspruchsvolles Aufladungskonzept für den 1,8-Liter- Motor, aber der Preis des 2+2-Sitzers driftet nach oben ab. Wolfsburg hatte sich im wahrsten Sinn verkalkuliert, tauft den Wagen daher kurzerhand Corrado und positioniert ihn oberhalb des Scirocco, der – ungeplant – noch vier weitere Jahre durchhalten muss. Kurz bevor er 1992 endgültig abtritt, schiebt VW den Corrado 16V und später den 8V nach, um in die passenden Preisregionen zu kommen. VW ist auf dem Markt der sportlichen Kompakt-Coupés aber kein Glück beschieden. Während sich Opels Calibra wie geschnitten Brot verkauft, findet der Corrado beim Publikum nur wenig Zuspruch und bringt es in acht Jahren Bauzeit auf nur 97.521 Exemplare. Zum Vergleich: Den Scirocco II wurde VW 291.497-mal los. 1994 geben die Wolfsburger das Experiment auf und trauen sich erst 2008 wieder an das Thema Sportcoupé: mit dem Scirocco III.
Plus/Minus
Der 16V ist unter den vier Corrado-Motoren der cleverste Kauf. Mit ausreichend Dampf, mehr jedenfalls als im Basismodell mit 115 PS.
Freude macht natürlich der günstige Preis, aber vielen gefallen am Corrado auch das bullige Design und typische VW-Tugenden wie Robustheit, gute Ersatzteilversorgung und Alltagstauglichkeit. Rost ist bei den VW Coupés kein großes Thema, allenfalls als Folge schlampig reparierter Unfallschäden oder halbherzigen Tuning-Rückbaus. VW hatte sich seinerzeit beim Korrosionsschutz besondere Mühe gegeben und viele kritische Teile, darunter Türen, Motorhaube und Heckklappe, verzinkt. Die Vierzylinder-Saugmotoren machen kaum Probleme und vertragen hohe Laufleistungen. Auch die G60-Modelle sind zuverlässig, allerdings sollte der Spirallader alle 50.000 bis 70.000 Kilometer geprüft beziehungsweise überholt und sein Antriebsriemen erneuert werden. Die Achillesferse der VR6-Motoren ist der Kettenspanner, unterlassene Wartung kann sich rächen. Vorsicht ist diesbezüglich (bei allen Motorisierungen) geboten, weil der Corrado gern von jugendlichen Heißspornen gefahren wurde, die ihr Geld lieber für Breitreifen und Spoiler ausgaben als für Inspektionen.
Ersatzteile
Schrauber können sich entspannt zurücklehnen. Wegen des VW-Baukastensystems passen zahlreiche Technikteile von Passat und Golf auch beim Corrado. Versorgungslücken gibt es so gut wie keine, und so lange es nicht um Karosserieteile geht, ist der Nachschub meist auch preiswert. Speziell hier lohnt es sich, das Angebot von Gebrauchtteilehändlern und Internet-Anbietern zu sondieren.
Marktlage
Der größte Feind des Corrado war die Liebe seiner Fans: Viele Autos wurden in der Tuning-Bastelbude verschlimmbessert. Naturbelassene Exemplare sind selten, einige auch rückgebaut. Vorsicht: Fehlende Innenkotflügel oder umgebördelte Radläufe bieten Angriffsflächen für Rost. Auch die Technik kann gelitten haben.
Empfehlung
Der 16V ist unter den vier Corrado-Motoren der cleverste Kauf, denn hier gibt es keinen wartungsbedürftigen G-Lader, nicht den hohen Verbrauch und die thermischen Probleme des Sechszylinders, aber dennoch ausreichend Dampf (Spitze über 200 km/h), mehr jedenfalls als im Basismodell mit 115 PS. Dieses wäre die zweitvernünftigste Wahl. Wer auf Sound, Laufkultur und Leistung steht, kommt am VR6 natürlich nicht vorbei.