VW Golf Country
—Für Matsch und Schlamm
1990, lange vor der großen SUV-Welle, bot VW den Golf Country an. Der Verkauf lief schleppend, heute sind vor allem die Sondermodelle gesucht.
Erinnern wir uns an ein Auto, das als großer, vielleicht einer der größten Flops in die VW-Geschichte eingeht: Golf Country heißt es. Seine erste Auslandsreise tritt dieser Wagen ohne seinen neuen Besitzer an. Von Wolfsburg nach Graz, vom Volkswagen-Werk am Berliner Ring 2 zu Steyr an der Liebenauer Hauptstraße 317. Das sind 931 Kilometer, einfache Strecke. Grob gesagt funktioniert das so: In Wolfsburg rollt ein Golf CL syncro, viertürig, vom Band. Aus dem wird anschließend in Österreich der erste Gelände-Golf. Ein Auto, nach dem fast keiner gerufen hat. Aber das wissen sie bei VW noch nicht.
Der Golf II und seine Besitzer: Generation Golf II
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42.060 Mark – für einen Golf!
Ein letzter Versuch: Der Golf Country in Chromausstattung soll Anfang 1991 die Lifestyle-Kunden zum VAG-Partner locken. Lieferbar ist er nur in Schwarz und mit cremefarbener Lederausstattung, und – ganz speziell: Er hat ein riesiges Webasto-Faltdach, das ihn fast zum Allrad-Cabrio macht. Der Preis: unglaubliche 42.060 D-Mark. Für einen Golf. Heute, 22 Jahre später, werden all die sehr, sehr froh sein, die ein solches Chrom-Modell über die Zeit gerettet haben. Ganz zu schweigen von den 50 Modellen mit GTI-Motor, die ausschließlich an Werksangehörige verkauft wurden. In welchen Garagen die wohl stehen und immer sonntags gestreichelt werden?
Heute müssen wir den Golf Country einfach rehabilitieren. Exklusiv für AUTO BILD KLASSIK durchquert einer dieser Steppengölfe den Offroadpark Südheide. Die Kupplung stinkt in Ermangelung erwähnter Differenzialsperren, die Bremsscheiben glühen vor Hitze. Und doch: Das Gelände-Gölfchen wühlt sich durch. Erklimmt mit seinen 98 PS (aus dem Cabrio) Hügel, die man nur einem echten Offroader zumuten möchte, bremst sicher steile und morastige Abhänge hinab. Und dann, zu guter Letzt, fährt dieser Golf sogar durchs Wasser, die Oberkante steht Ganz schön umständlich: Erst den Bügel mit dem Ersatzrad schwenken, dann geht der Kofferraumdeckel auf. Sportsitze und Fünfspeichenrad sind original vier, fünf Zentimeter über dem Schweller. Vielleicht hätten ihn die gut betuchten Gummistiefel-Typen damals mal Probe fahren müssen. Vielleicht war die Zeit damals einfach nicht reif. 1990 fanden es die meisten Mamas weder schick noch geschickt, ihre Kinder mit dem SUV in die Schule zu fahren.
Historie
Volkswagen und Geländeautos – lange Zeit beschränkt sich die Produktion auf den militärischen Einsatz. In den 70ern bewegt der Typ 181 mit Käfer-Technik und Heckantrieb die Truppe, Anfang der 80er folgt der Allrad-Iltis. 1989 stellt VW auf dem Genfer Salon eine Studie mit dem Namen Montana vor, wenig später erregt der Wagen auch auf der Frankfurter IAA Aufsehen. Erste Kunden wollen den Montana beim Händler bestellen. VW entscheidet sich schließlich, den Wagen unter dem Namen Golf Country in Serie herzustellen. Die Produktion beginnt im April 1990. Basis ist der Golf CL mit vier Türen und Allradantrieb "syncro", den VW seit 1986 im Golf II anbietet. Die Mitarbeiter von Steyr im österreichischen Graz (heute Magna-Steyr) machen aus dem Golf den hochbeinigen Country. Im Oktober 1991, nach nur 18 Monaten und 7735 Fahrzeugen, ist Schluss. Ein Grund für den Flop des ersten VW-SUV ist der hohe Preis, der Golf Country kostet bei Einführung stolze 33.225 Mark. Erst 16 Jahre später, im Oktober 2007, kommt der Nachfolger: der VW Tiguan. Im Gegensatz zum Golf Country ein Verkaufsschlager.
Technische Daten
Reihenvierzylinder, vorn quer • zwei Ventile pro Zylinder • elektronische Einspritzanlage (Digifant) • Hubraum 1781 ccm • Leistung 72 kW (98 PS) bei 5400/min • max. Drehmoment 143 Nm bei 3000/min • Fünfgangschaltgetriebe ohne Geländereduktion • permanenter Allradantrieb über Visco®-Kupplung • Einzelradaufhängung vorne/hinten • vorne Scheiben-, hinten Trommelbremsen • Reifen 195/60 R 15 • L/B/H 4255/1705/1555 mm • Radstand 2480 mm • Leergewicht 1245 kg • Verbrauch EU-Mix 11,3 l Normal • CO2 220 g/km • Tankinhalt 55 l • 0–100 km/h 12,3 s • Spitze 155 km/h • Neupreis 1990: 33.225 Mark.
Plus/Minus
Die Qualität des Golf II (1983–92) ist legendär. Selten wurde ein Auto schon im Werk mit so viel Hohlraumversiegelung ausgespritzt. Noch heute rinnt die schützende Masse aus dem Kofferraumdeckel jedes Golf II. Auch der Golf Country hat die Langzeitqualität der zweiten Golf-Generation, wenngleich er schon zu Lebzeiten ein ungeliebter Exot war. Crossover? Das gab es damals noch nicht. Heute sind höhergelegte Autos wie Crosspolo und Co beliebt – selbst ohne Allradantrieb. Der Golf Country war einer der Begründer des heutigen SUV-Booms. Auf schneebedeckten Straßen und morastigen Feldwegen hält er noch heute tapfer mit. Und er ist auch nach 23 Jahren voll alltagstauglich.
Ersatzteile
So ganz langsam verstehen sie es bei VW: Tradition gehört bewahrt. So ist die Ersatzteilversorgung für diesen Exoten gar nicht schlecht. VW Classic Parts hat die meisten Karosserieteile, die größtenteils identisch sind mit denen des Normalo-Golf-II. Die Fahrertür etwa kostet 390 Euro. Auch die rostanfälligen Längsträger sind lieferbar – für 700 Euro. Ein Fünfspeichenrad namens Estoril kostet stolze 330 Euro, der Hinterachsträger 500 Euro, ein Querlenker pro Stück 95 Euro. Sogar die hinteren Stoßdämpfer vom Zulieferer Bilstein sind wieder lieferbar, kosten 400 Euro. Ganz mau sieht es mit Stoffen für die Sitze und dem "Country"-Aufkleber aus: nicht mehr verfügbar!
Marktlage
Das Angebot an gebrauchten Golf Country ist äußerst bescheiden. Von den Gelände-Gölfen wurden 1990 und 91 ganze 7735 Exemplare verkauft, die meisten waren Standard-Modelle mit Stoffsitzen. Anfang 1991 kam die exklusive Chrom-Edition mit Ledersportsitzen. Bei einem Preis jenseits von 40.000 Mark fand das Auto nur 558 Käufer. Von der abgespeckten Variante "Allround", die es nur in der Farbe "Waldgrün" gab, wurden klägliche 160 Exemplare verkauft. Nur an VW-Mitarbeiter gingen 50 Country mit GTI-Motor, zudem sollen zwei Dutzend Golf Country in Italien zu Cabrios ("Passo") umgebaut worden sein. In den bekannten Internet-Börsen warten 30 Golf Country auf einen Käufer zu Preisen zwischen 1800 und 10.000 Euro – je nach Zustand. Die ganz billigen Angebote haben meist Laufleistungen von 200.000 km und drüber.
Empfehlung
Der Golf Country ist wegen seiner Seltenheit ein kommender Klassiker. Tipp: Nicht von hohen Laufleistungen abschrecken lassen, der 1.8er ist ein Dauerläufer. Auch 5000 Euro für einen guten Country aus erster Hand mit Scheckheft sind eine gute Investition. Billiger wird er nicht mehr.
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