Modern und clever konstruierte europäische Konkurrenz stellt Anfang der 70er die etablierten Kräfte infrage, die frisch auf den Markt kommenden Japaner locken deutsche Sparfüchse. Und alle jagen sie den VW Käfer.
Bild: Roman Raetzke
Hochhäuser, Ausfallstraßen, Parkplätze, Betonkübel, Begrenzungsgrün. Und dazwischen: Autos, Autos, Autos – als Zeichen des Wohlstands für alle. So sehen sie in den frühen siebziger Jahren aus, die neuen Viertel deutscher Städte, von Stadtplanern und Architekten für die Zukunft entworfen und als Vision der autogerechten Stadt in Zement gegossen. Hier ist die untere Mittelklasse zu Hause, auch die mit Rädern. Einen Ford Capri fährt allenfalls der fesche Junggeselle von ganz oben, die Familie darunter muss kühl rechnen: Platz für vier und solide Technik sind gefragt, und bezahlbar muss das Auto sein. Natürlich, was sonst? Da bietet sich die Neuauflage des deutschen Auto-Urmeters an. Der VW Käfer präsentiert sich seit 1970 grundlegend überarbeitet, mit Federbein-Vorderachse, langem Bug und mehr Kofferraum. Da weiß man, was man hat, auch wenn der 1302 lahm ist und säuft wie ein Loch. Sein ewiger Konkurrent ist auch nicht mehr der Jüngste. Der Opel Kadett B steht am Ende seines Lebenszyklus, sieht alt aus, doch die robuste Technik ist noch gut für mindestens zwei Jahrzehnte. Einen richtigen Kofferraum hat er auch, das macht es den Widersachern nicht leichter.
Konventionelle Technik, kleiner Preis: Der Datsun 1200 betört clevere Kleinsparer.
Bild: R. Rätzke
Neue Namen tauchen im Straßenverkehr auf. Noch sind die Japaner belächelte Exoten, doch sie punkten mit üppigen Ausstattungen. Dass die Technik oft von gestern ist, lässt ihre Kundschaft kalt: Die Autos aus Fernost verkaufen sich über den Preis. Da sind Franzosen und Italiener weiter, hier findet die Zukunft schon heute statt. Während der VW Golf nur eine ferne Ahnung ist, haben Fiat und Simca längst quer eingebaute Motoren und Frontantrieb im Programm und zaubern viel Platz auf kleine Flächen. Dass der Simca sogar eine große Heckklappe hat, wundert nur die Deutschen – im praktisch veranlagten Frankreich ist das Schrägheck längst salonfähig. Und der kleine Fiat 128 ist schneller und agiler als manch großer, stärker motorisierter Mittelklassewagen. Zwischen alt und neu, bewährt und verwegen ist also alles drin. So bunt ist sie, die Autowelt der frühen Siebziger. Und wie heißt heute der Sieger von damals?
Sportlicher Antrieb und kantiger Form: Der Fiat 128 ist agil und praktisch zugleich.
Bild: R. Rätzke
Die gute Nachricht vorneweg: In diesem Vergleich gibt es keine Verlierer, nur einen Ersten unter Gleichen, einen Sieger nach Punkten. Warum? Weil die milden Siebziger in den vergangenen vier Jahrzehnten nur noch besser geworden sind. Als Typen der unteren Mittelklasse bieten sie alle ausreichend Platz für vier Menschen mit Gepäck, überstehen dank solider Technik auch mal ein paar Tage im aufreibenden Alltag des 21. Jahrhunderts und kosten ganz nebenbei keine Reichtümer. Mit Preisen zwischen 3500 und 8200 Euro sind sie erschwinglicher und neidfreier unterwegs als zu ihrer Zeit. Und die hat sie geprägt: So bunt wie vor 40 Jahren ging es in der Kompaktklasse nie mehr zu. Und wir reden dabei gar nicht mal vom maximal auffälligen Zeitgeist-Farbspektrum. Damals war kaum etwas undenkbar und noch längst nichts entschieden. Der Kampf der Konzepte war in vollem Gang. Es gab Luftkühlung und Wasserkühlung, Heckmotor und Heckantrieb, Frontmotor und Hinterradantrieb, Frontmotor und Frontantrieb. Es gab Blattfedern, Schraubenfedern und Drehstäbe, Rundheck, Schrägheck, Stufenheck. Dass VW noch auf den Käfer setzte, als der Simca in der Neubau-Siedlung schon auf dem Parkplatz des Nachbarn lockte, ist aus heutiger Sicht schwer zu glauben. Zum Glück sehen wir das längst alles nicht mehr so eng, die Zeit der Glaubenskriege ist vorbei. Nicht die Art des Antriebs, sondern der eigene Geschmack ist kaufentscheidend.
Fünf for Fun: Die alten Kompakten punkten mit viel Charme und unterschiedlichen Philosophien.
Was früher auf Technik reduziert wurde, geht heute als Charakter durch. Der eine punktet mit Vorteilen, der andere mit Charme. Und gäbe es eine "Wie schön, dich zu sehen"-Rubrik und einen Seltenheits-Faktor in der Gesamtwertung, wären Simca 1100 und Datsun 1200 auch längst nicht so weit vom Sieger Fiat 128 entfernt, wie es die Punktzahl vermuten lässt. Die beiden wenig verbreiteten Außenseiter beglücken uns mit ihrer Andersartigkeit: Der konservative Japaner ist unbekannt (auch wenn er nicht so aussieht), der Franzose von herbem Reiz, aber trotz allem praktisch. Gegen die solide gemachten Lieblinge der Nation, Opel und VW, und deren Erinnerungskultur können sie nichts ausrichten. Zu Kadett und Käfer fällt einfach jedem eine Geschichte ein, im Gedächtnis schmecken sie wie Capri-Sonne und Erdbeereis im Freibad anno 1973. Fahren, hupen, blinken, bremsen können sie natürlich alle. Am Ende siegt der erfrischende Fiat 128, weil seine alten Talente noch 40 Jahre später die richtigen sind. Hübsches Aussehen, eine Konstruktion auf dem Stand der Technik, Fahrfreude, Raumangebot und Alltagstauglichkeit ergeben in der Summe ein stimmiges Gesamtpaket. So muss ein guter Kompakter gemacht sein. Damals wie heute.
Fazit
von
AUTO BILD
Was hatten wir für einen Spaß mit dieser bunten Truppe, selten so gelacht. So unterschiedlich die fünf Vernünftigen aus den fernen 70ern in Form, Technik, Ausführung und Image auch sein mögen, haben sie alle eines gemeinsam: Sie eignen sich für den Alltag und verbreiten, jeder auf eigene Art und Weise, ganz viel gute Laune. Der Käfer, überladen mit Erinnerungen, entzieht sich nach wie vor nahezu jeder objektiven Bewertung. Fahrdynamik ist nicht sein Ding, aber er strahlt Ruhe und Verlässlichkeit aus. Sein alter Widersacher, der Opel Kadett, ist dieses Mal der Feinste im Vergleich. Wegen, nicht trotz der Automatik, ist er auf einmal auch ganz schön cool. Viel Leistung braucht es nicht zur Lässigkeit. Der exotische Datsun ist erfrischend simpel und überraschend agil. Er ähnelt dem Kadett und fährt sich wie ein Triumph Spitfire. Ganz anders der fortschrittliche Simca, der eine gelassene Gangart erfordert und durch Praxistauglichkeit überzeugt. Als die gelungenste Mischung der guten Eigenschaften aller fährt der Fiat aufs Treppchen: Antrieb und Fahrwerk sind modern, er ist flott und munter, sieht entzückend aus und taugt sogar für vier. Fiat vor Volkswagen – das gab es schon lange nicht mehr.