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Video: Citroën DS 20

Beziehungskiste: Die DS 20 von Frank B. Meyer

Bild: AUTO BILD
Beim Bau der Citroën DS gingen die Entwickler ähnlich vor wie die Köche des französischen Nationalgerichtes Cassoulet: Sie warfen in einen speziell geformten Topf alles hinein, was gerade auf dem Küchentisch lag, um ein Gericht zu schaffen, das nie aus der Mode kommen sollte. So steckten die Citroën-Designer in ihre Göttin vor 60 Jahren all ihre Visionen: Servolenkung, halbautomatische Schaltung, Scheibenbremsen und vor allem: ein hydropneumatisches Fahrwerk. Hy-dro-pneu-ma-tik: Das bedeutet nichts anderes als "gashydraulisch". Nicht herkömmliche Stahlfedern schlucken bei der "Déesse" die Unwägbarkeiten der Straße, sondern Stahlkugeln, deren Gasfüllung von Hydrauliköl über eine Membran unter Druck gesetzt wird. Weil die Karosserie damit höhenkonstant bleibt, sagt man der DS nach, sie schwebe über Löcher in der Chaussee einfach hinweg. Bremsen, Lenkung und halbautomatische Kupplung versorgt das Hydraulik-System nebenbei mit. Eine technische Revolution und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Flugmobil des fernen Jahres 2000. Eine real gewordene Zukunfts-Utopie, der nur noch der Atom-Antrieb fehlt.

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Die schönsten Klassiker der 50er Jahre

Umjubelte Premiere 1955

Citroën DS 21 von 1966
Die Farbe von einst wäre auch heute noch aktuell: Eine Citroën DS 21 von 1966.
Bei ihrer Premiere 1955 unter der Glaskuppel des Pariser Grand Palais war die DS nichts weniger als eine atemraubende Sensation. Auto-Enthusiasten und -Presse sowie entrückte Besucher knieten vor der viertürigen Limousine, die der damals 52 Jahre alte Designer Flaminio Bertoni entworfen hatte. Er hatte zuvor den legendären 11 CV Traction Avant und den 2 CV gezeichnet. Schon am ersten Tag der Autoausstellung sammelten die Citroën-Verkäufer für die DS 19 rund 12.000 Kaufverträge ein. Die Menschen rissen sich um das stilistisch und technisch revolutionäre, wie aus einem Guss gezeichnete Auto mit dem futuristischen, aber durchaus funktionalen Design. Der Motor allerdings war eine konservative Konstruktion, basierend auf dem 1,9-Liter-Vierzylinder mit 75 PS aus dem 1934 vorgestellten Traction Avant, der als Gangster-Limousine wegen seiner überragenden Straßenlage zur Berühmtheit wurde. Als alle anderen Automobilhersteller rustikale Sitzbänke und polternde Blattfeder-Achsen noch für vollkommen zumutbar halten, sitzt es sich in der DS 19 wölkchenweich. Aber auch, wie in dem blauen Wattebausch-Mobiliar unseres Testwagens von 1956 zu spüren ist, seltsam aufrecht. Wer zu Hause gelernt hat, seine Füße folgsam unter einen Tisch zu stellen, wird ohne Streckbeugen das Gaspedal und den charakteristischen Bremspilz erreichen – ein Kupplungspedal gibt es ja nicht.

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Video: Citroën DS/DS5

Generationen-Duell zwischen Citroën DS 20 und DS 5

Noch liegt die DS bäuchlings auf dem Asphalt, weshalb Laien ein kompliziertes Start-Prozedere erwarten. Wer seine herkömmlichen Auto-Gewohnheiten einfach mal komplett vergisst, findet sich dennoch schnell zurecht: Erst am Zündschlüsselchen Marke "Ronis" drehen, dann den Schalthebel in Leerlaufstellung nach links drücken, schon orgelt der Anlasser. Wenn der Motor läuft, dient Bertonis herrliche Hülle als blecherner Resonanzkörper, was 1956 zwar noch kein Makel ist, angesichts des friedliebenden Fahrwerks aber doch auffällt. Es dauert einen Moment, bis die Hydraulik genug Druck aufgebaut hat, um den Wagen auf Betriebshöhe anzuheben. Über einen Hebel im Fußraum ließe es sich noch höher pumpen, aber wir wollen ja nicht die Seine durchqueren, sondern zu einer Runde um das Conservatoire, die heiligen Hallen der Werkssammlung von Citroën Héritage, aufbrechen.

Entspannen und mit den Fingerspitzen lenken

Citroën DS 19 Citroën DS 23 Injection Pallas
Das Urmodell (l.) wirkt ein bisschen fischig. Die späte DS schaut eher entschlossen drein.
Bild: G. von Sternenfels
Den Schalthebel in Richtung Tacho auf "1" drücken und mit dem Fuß das Gaspedal streicheln: Nun hat der Fahrer den größten Teil seiner Schuldigkeit getan und muss nur noch zusehen, wie das Heck tief eintaucht und die Tachonadel nach rechts gleitet, während seine rechte Hand mit einem jeweils vernehmlichem "Klonk" nacheinander die nächsten drei Fahrstufen einrasten lässt. Dabei muss der Fuß immer wieder runter vom Gas, was ruckfrei funktioniert, wenn alles richtig eingestellt ist. Der erste Verkaufsprospekt kommentiert das so: "Jetzt müssen Sie sich nur noch entspannen und mit den Fingerspitzen lenken: Die DS 19 nimmt Ihnen die Arbeit ab". Für den deutschen Ordnungssinn ist es derweil befremdlich, dass das Lenkrad genau dann gerade stehen soll, wenn es genau das nicht tut. Geradeaus geht es mit der Lenkradspeiche auf sieben Uhr, was einem halben Citroën-Doppelwinkel entspricht. Über gelegentliche Flatulenz-Geräusche der Lenkhydraulik zeigt sich die Kundschaft irritiert; doch sie gewöhnt sich daran, und Citroën gewöhnt der DS das Schnaufen und Keuchen allmählich beinahe ab. Die Finesse ihres Designs allerdings auch, innen wie außen. Allenfalls die vom Panhard 24 inspirierten Doppelscheinwerfer dürfen als echte ästhetische Verbesserung durchgehen, weil sie sich hinter ihren Streuscheiben besser in die Gesamtform einfügen als die schüchternen Einzel-Strahler der DS 19. 

DS 23: beste und schnellste Göttin

Citroën DS 19
Das Cockpit der DS 19 wirkt noch heute wie eine Konzeptstudie und duftet dabei nach Plastik.
Bild: G. von Sternenfels
1975 endet die DS-Fertigung. Die letzte läuft im alten Werk am Quai Javel vom Band, obwohl das neue Werk in Aulnay-sous-Bois, errichtet für den Nachfolger CX, schon länger D-Modelle fertigt. Die DS 23 Injection Pallas aus dem vorletzten Produktionsjahr mag die beste und schnellste je gebaute Göttin sein, doch hinter dem Lenkrad trifft der Fahrer für DS-Verhältnisse auf Herkömmliches in erschreckender Anzahl. Vorbei die Zeiten, als der Blinker durch Druck auf ein Hebelchen zu blinken begann und durch Ziehen an demselben wieder damit aufhörte. Wie ein Büroklotz im Pariser Hochfinanzviertel La Défense türmt sich ein Armaturenbrett aus schwarzem Plastik vor dem Fahrer auf, Rundinstrumente verraten unter anderem – ganz vulgär – die Drehzahl. Der Chauffeur sitzt auf schwarzweichen Lederpolstern, sein Blick fällt über den nicht minder schwarzen Bug nach draußen. Es riecht neutral hier drin, nicht mehr nach den würzigen Plastikdämpfen der Bertoni-Schalttafel. Und doch scheint es, als funktioniere das D-Modell endlich so, wie es seinen Erfindern, ähem, "vorschwebte": Zur Bedienung des Schalthebels braucht es nur noch ein Fingerschnipsen, der Motor hat endlich genug Reserven auch fürs Gebirge, die Karosserie gibt sich völlig dröhnfrei, und eine entschlossenere Fahrwerkabstimmung führt dazu, dass im Unterschied zur DS 19 endlich keiner mehr seekrank wird. Es ist, als habe die DS ihren Raumanzug gegen einen existenzialistischen Rollkragenpulli eingetauscht. So bleibt im letzten Prospekt von 1974 noch Platz für Philosophisches: "Die Passagiere werden weder Straße noch Stunden wahrnehmen. In der DS gibt es keine Zeit."

Historie

Citroën DS 19 Citroën DS 23 Injection Pallas
Gleiche Silhouette, aber Unterschiede im Detail bei später DS (l.) und zwanzig Jahre älterer Schwester.
Bild: G. von Sternenfels
Eine Sensation ist die DS schon 1952: Noch mitten in der Entwicklungsphase zeigt das französische "Auto-Journal" erste Bilder des neuen Mittelklasse-Citroën – ein Skandal, der sogar die Polizei auf den Plan ruft. Spätestens 1955 ist er vergessen, als Citroën bei der Präsentation der DS 19 auf dem Pariser Salon gleich 80. 000 Bestellungen notiert. Mit dem Vierzylinder aus dem Vorgänger Traction Avant leistet die DS 19 zunächst 75 PS bei 1911 ccm. Mit stark vereinfachter Ausstattung und ohne hydraulische Kupplung, Lenk- und Bremshilfe ist ab 1957 das nur 66 PS starke Einstiegsmodell ID 19 verfügbar, das über 50 Prozent der Gesamtproduktion ausmachen wird und einer eigenen Modellpflege folgt. Im Herbst 1965 wird die DS 21 vorgestellt, die aus nunmehr 2175 ccm 109 PS generiert. Zwei Jahre später erfährt die DS ihr einziges echtes Facelift, mit Doppelscheinwerfern und optionalem Kurvenlicht. Die DS 21 wird im August 1972 durch die DS 23 mit 124 PS ersetzt. Bis zum Produktionsende 1975 bringt es die DS-Baureihe auf insgesamt 1.455.746 Stück.

Plus/Minus

Bei der DS gilt das umgekehrte Lada-Prinzip: Wo viel dran ist, kann auch viel kaputtgehen. Was nicht heißt, dass ein hydropneumatischer Citroën ständig in der Werkstatt steht – ganz im Gegenteil, denn eigentlich funktioniert das Leitungs- und Pumpengewirr einer DS sehr zuverlässig. Es sei denn, der Faktor Mensch pfuscht ins Technik-Idyll oder lässt es an regelmäßiger Wartung fehlen. Doch auch wer sich zum Schrauber berufen fühlt, tut seiner DS oft nichts Gutes: Verbastelte Fahrzeuge sind häufig anzutreffen (etwa ehemalige ID mit DS-Pallas-Ausstattung), kaputtreparierte ebenfalls. Aus dem riesigen Angebot am Markt ein wirklich originales und technisch gesundes Fahrzeug herauszuschälen, erweist sich daher als verdammt schwierig – und hat noch nicht mal etwas mit dem Preis zu tun, der nur selten zum dargebotenen Zustand passt. Selbst auf teure Autos kann dies zutreffen, zumal alle DS früher oder später dem Rost anheimfallen: Eine Art "Visitenkarte" ist der obere Windschutzscheibenrahmen unter der Gummidichtung der Frontscheibe. Besonders anfällig ist die Karosserie zudem im Heckbereich und prinzipiell in allen nicht sichtbaren Arealen. Mit der nötigen Vorsicht, ausreichender Sachkenntnis und/oder einem Spezialisten an der Hand lässt es sich mit einer DS aber gut leben: Wer einmal das außergewöhnliche Ensemble aus Design und Fahrgefühl gekostet hat, wird so schnell nicht mehr davon lassen können.

Ersatzteile

Spezifische Teile für die Ur-Modelle bis Baujahr 1961 sind besonders selten und gesucht. Das gilt für Armaturenbretter (deren Kunststoff zerbröselt oder sich verfärbt und verzieht) ebenso wie für Auspuffanlagen, Kotflügel oder die Schwellerverkleidungen, die sich weder für Geld noch gute Worte auftreiben lassen. Jüngere DS und ID sind dagegen gut versorgt und leiden lediglich an einem generellen Qualitätsproblem: Schlampig überholte Pumpen und minderwertige Gummiteile führen zu Folgeschäden und Leckagen.

Marktlage

Citroën DS 19
Mit dem Vierzylinder des Traction Avant leistet die DS 19 75 PS bei 1911 Kubikzentimetern.
Bild: G. von Sternenfels
Facelift-DS und ID ab 1967 werden am häufigsten angeboten, frühe Baujahre sind äußerst selten. Für alle DS gilt: Das Angebot ist der Nachfrage entsprechend groß, doch teure Autos sind oft genauso schlecht wie billige: Wer meint, mit einem hochpreisigen Auto vom Händler sein Risiko minimieren zu können, legt oft sogar noch drauf. Das gilt für den Markt in Deutschland übrigens genauso wie für den französischen, wo die Zustandsbeschreibung "Refaite à neuf" (neu aufgebaut) nicht selten für dramatischen Pfusch am (Auf)bau steht.

Empfehlung

Sie ahnen es schon: Eine DS vor Baujahr 1960 ist nur was für Sammler, die schon alles haben und sich durch gute Kontakte in die Szene auch seltene Teile beschaffen können. Wer trotzdem Wert auf das ursprüngliche DS-Design legt, ist mit einer DS der Baujahre 1961 bis 1966 am besten bedient: Verfügbarkeit und Leistung sprechen für sich. Anfänger und Selberschrauber sollten sich in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren umschauen: Gute ID bzw. DSuper sind am besten beherrschbar. Sind sie beim Kauf nicht perfekt, lassen sie sich gut in den Griff bekommen. Eine DS mit Einspritzmotor ist hingegen nur etwas für all jene, denen der regelmäßige Besuch beim Spezialisten nicht allzu sehr aufs Portemonnaie drückt: Im Motorraum des Topmodells fehlt es schon für simpelste Arbeiten an Platz. (Mit dpa)