Der Ur-M3 von BMW kann auf den ersten Blick enttäuschen. Wer sich aber auf ihn einlässt, entdeckt eines der stilbildenden Autos der 80er.
Bild: S. Krieger
"Pföh – ein Vierzylinder." Jaja. Ingo kennt das. Haube auf – und das Publikum verzieht den Mund. Aber hier hätte er so was nicht erwartet. Die Jungs nennen sich "Alltagssportler-Stammtisch", da hat er auf mehr Kenne gehofft. Klar, es hat ihm schon geschmeichelt, als sie ihn einluden, weil er doch M3 fährt – aber jetzt steht sein BMW zwischen den Karren der Alltagssportler und geniert sich ein bisschen. Die einzigen Autos hier, die Ingo als satisfaktionsfähig anerkennt, sind ein 2.5-16er-Baby-Mercedes und ein Ford Sierra Cosworth.
Der M3 ist fälschungssicher: Ohne die breite C-Säule mit der großen Heckscheibe und die Kofferklappe, die sich in die Seite zieht, ist es kein Original.
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Oder sind das nur Zufallstreffer, gekauft wegen ihrer Heckspoiler? Die übrigen Karren sind nämlich unsägliche Tuningschüsseln. Manche Leute würden ein Vollblut nicht mal erkennen, wenn sie Vampire wären. Und meckern über fehlende Zylinder. Ingo überlegt. Soll er jetzt weit ausholen und erklären, wie der Vierzylinder da reinkommt? Dass dies die letzte Ausbaustufe des klassischen BMW-Vierzylinders ist, des M10, eines der erfolgreichsten Motoren der Automobilgeschichte überhaupt, gebaut von 1961 (eingeführt mit der Neuen Klasse – kennt ihr die Neue Klasse? Egal) bis 1988 und Keimzelle von gleich zwei BMW-Sechszylinderfamilien. Das war möglich, weil der Motor von einem Rennfahrer entworfen wurde, Alexander von Falkenhausen, der dem kleinen Aggregat unglaubliche Reserven mitgab. Und die ermöglichten nicht nur ein langes Leben, sondern auch gewaltige PS-Zahlen, ja, die kamen zuerst mit Ludwig Apfelbeck, der eine zweite Nockenwelle draufpackte und ein zweites Ventilpaar pro Zylinder. Und anno 1982 fing der Motor an, in der Formel 1 aufzuräumen, mit Turbolader (ihr steht doch auf Daten: 1400 PS aus eineinhalb Litern, zieht euch das mal rein). Damit holte BMW 1983 die Weltmeisterschaft, und zu der Zeit war schon die Motorsport GmbH an der Arbeit für ein Homologationsauto für Tourenwagenrennen, basierend auf dem zweiten 3er E30.
Für manch einen ist der erste M3 der BMW schlechthin: stark, leicht, ausdauernd und völlig alltagstauglich.
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Der war seit einem Jahr auf dem Markt, und die M GmbH wählte wieder den Vierzylinder nach Apfelbeck, DOHC-16V, weil ein Sechszylinder vielleicht mehr Leistung bringt, aber vor allem mehr Gewicht auf der Vorderachse, und das ist schlecht für die Balance, ein Rennwagen muss tanzen können, was schlecht geht mit einem Klotz am Bein, versteht ihr die Metapher? Dieser M3 kann nämlich tanzen, und zwar alles, Samba, Standard, Jazz, sozusagen, oder von mir aus wie ein Torero, leichtfüßig, elegant, kraftvoll, fast schwerelos, könnt ihr euch das vorstellen? Eher nicht. Die Alltagssportler tönen rum, wie sie mit ihren aufgemockerten Rentnerautos auf der Autobahn diesen oder jenen Handelsreisenden ärgern. Ingo seufzt. Halbstarke PS-Spielchen ... soll er den Fischen predigen? Dafür fühlt er sich nicht heilig genug und beißt seinen Gedankenstrom auf der Zunge ab. Jemand fragt nach Spitze und null-auf-hundert. Die Werte machen nur mäßigen Eindruck, und Ingo erklärt, dass Leistung dazugehört, aber nicht die wichtigste Zutat ist. Das Wesen des ersten M3 ist vor allem sein großartiges Fahrwerk, wundervoll balanciert, fein gestimmt wie ein gutes Cello. Auf den Stirnen rundum erscheint ein großes "Hä?". Einer der Burschen hat das Schaltschema auf dem M3-Ganghebel entdeckt und will jetzt wissen, ob Ingo beim Schalten nicht durcheinanderkommt, wo doch der erste Gang links hinten sitzt. "Kaum. Den brauchst du selten – wie oft fährst du an bei einem Rennen? Dreimal, wenn’s hochkommt. Und mit dieser Auslegung hast du zwischen dem Zweiten und dem Fünften nur einen Gassenwechsel, wo zum Beispiel der Sierra hier zwei braucht."
Er mag für die Rennstrecke gebaut sein, aber im Alltag ist der erste M3 brav und gutmütig.
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Ah! Rennen fahren! Jetzt fangen sie mit der Nordschleife an. Ingo hört sich die Prahlerei fünf Minuten lang an und hat dann die Nase voll: "Die Nordschleife in zehn Minuten – schafft ihr nicht. Keiner von euch." Schlagartig fällt Stille auf den Parkplatz. Ist er zu weit gegangen? Aber irgendwo ist mal Schluss – Ingo weiß genau, wie schwer die Zehn-Minuten-Barriere zu knacken ist, man muss noch mal richtig fahren lernen, und man muss sein Auto kennen. Das ist den Alltagssportlern offenbar unbekannt. Man sieht’s ihnen an: Die Hälfte ist übergewichtig, einer hat Bluthochdruck, und zwei sind ganz einfach schlaff. Sport, auch im Alltag, braucht Fitness – die Zehnermarke auf der Nordschleife kommt nur mit einem Satz durchgeschwitzter Unterwäsche. Die Jungs sind ein bisschen angesäuert. Einer lässt durchblicken, dass die schicken M-Plaketten für zwei Euro auf jedem Flohmarkt zu kaufen sind und die Wahrheit ans Licht kommt, sobald die Motorhaube offen ist. Eine halbe Sekunde lang lodert der Zorn auf – aber dann greift Ingos Sportfahrer-Selbstkontrolle, er holt tief Luft und sagt: "Das stimmt. Aber keiner verkauft die breite C-Säule mit der langen Heckscheibe. Und wenn es einen gäbe, der die kurze Kofferklappe fälscht, du müsstest das Seitenteil oben verkürzen, und wenn du das hinbekommst, mein Lieber, bist du ein Schweißergott." Der Abend geht jetzt schnell zu Ende. Die Jungs wollen Blut sehen und fordern zum Duell – wer zuerst beim Johanniskreuz ist –, aber auf so was lässt Ingo sich nicht ein. Er bedankt sich artig für die Einladung, verabschiedet sich und macht sich auf den Heimweg. Beim Wegfahren lässt er weder den Motor heulen noch die Reifen.
Technische Daten
Der M3 hat nur vier Zylinder mit 2,3 Liter Hubraum und trotzdem einen der tollsten Motoren aller Zeiten.
Bild: S. Krieger
BMW M3 Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs, zwei oben liegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder • Bosch-Einspritzung Motronic ML • Bohrung x Hub 93,4 x 84 mm • Hubraum 2302 ccm • Verdichtung 10,5:1 • 147 kW (200 PS) bei 6750/min • max. Drehmoment 239 Nm bei 4750/min • Antrieb/Fahrwerk: Fünfganggetriebe (erster Gang in separater Schaltgasse) • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung an Querlenkern und Federbein, verstärkter Stabilisator; hinten Einzelradaufhängung an Schräglenkern, Schraubenfedern und Stabilisator • Scheibenbremsen, vorn innenbelüftet • Reifen 205/55 VR15 • Maße: Radstand 2562 mm • L/B/H 4360/1675/1365 mm • Leergewicht 1200 kg Fahrleistungen/Verbrauch: Spitze 235 km/h • 0–100 km: 6,7 s • Verbrauch 8,5 l/100 km • Neupreis: 58.000 Mark (1987).
Historie
Vier Sitze, genügend Kofferraum, Hinterradantrieb und 50 Prozent mehr Dampf unter der Motorhaube als die Durchschnittslimousine: Ist das nicht die klassische Formel für einen BMW? So jedenfalls hat sich die Marke in der öffentlichen Wahrnehmung verankert, daran hängt der Leitspruch "Freude am Fahren" – familientauglich, aber immer einen Hauch sportlicher als die anderen, oder gern auch einen Orkan. Die Anfänge lassen sich schon bei den Eisenacher Vorkriegstypen finden. Der BMW 327/28 ist eher Coupé als Limousine, aber mit dem 80-PS-Motor des Rennwagens 328 ist er ein leichtfüßiger Tänzer unter den Luxus-Phlegmaten der Zeit. In den Nachkriegsjahren passiert wenig, erst der 700 Sport nimmt das Thema wieder auf, erst mal mit 40 PS. Dann aber geht es rund: zuerst der leichte, ultraagile 2002ti (später tii), dann der erste Express-3er 323i, der anfangs als übermotorisiert gilt – und schließlich der M3, bis heute die reinste Interpretation der Formel. Das Leistungsplus verschiebt sich im Lauf der Jahre von 33 Prozent auf heute etwa 150. Ob das dem Konzept "BMW-Sportlimousine" weiterhilft, wird die Zukunft zeigen.
Plus/Minus
Nicht zu vergessen: Der erste Gang liegt hinten links – nur mit all dem ist die Plakette gerechtfertigt.
Bild: S. Krieger
An dieser Stelle müssen wir ein bisschen mit den Zähnen knirschen, denn bei diesem Auto können wir beim besten Willen kein echtes Minus anprangern. Na gut, bei niedrigen Drehzahlen ist der Motor nicht sehr zugkräftig, und bei ganz hohen faucht er mehr, als dass er singt, aber wer sich daran nicht stört, findet im ersten M3 ein Auto fürs Leben. Es mag für die Rennstrecke gebaut sein, aber im Alltag ist es brav und gutmütig. Im Rahmen dieser Geschichte ist Michael Groß sein Sportlerpate, und wie dieser hat der M3 enorme Reserven – in der Ausdauer, in der Technik, im Fahrwerk. Laufleistungen von 200.000 Kilometern gibt’s oft, deutlich über 400.000 im Alltag sind belegt (und werden fortgeschrieben). Na gut, hier ein kleines Minus: 200 PS sind heute eher Einsteigerniveau, und die M-Plakette ist allzu wohlfeil.
Ersatzteile
Kein Problem. Der M3 fällt in den Bereich von BMW Classic (www.bmw-classic.de), die ihre Aufgabe sehr ernst nehmen, die Ersatzteilversorgung für klassische BMW zu gewährleisten. Konkret bedeutet dies: Sämtliche betriebs- und sicherheitsrelevanten Teile sind verfügbar, von den übrigen beinahe alle. Also selbst wenn die Heckscheibe zu Bruch geht, muss man nur im nächsten BMW-Autohaus eine neue bestellen. Das geht auch online unter shop.bmw-classic.de. Spezielle M3-Teile sind nicht billig, die Tarife der meisten Verschleißteile oder solcher, die im normalen E30 vorkommen, sind dafür aber wirklich moderat.
Marktlage
17.969 M3 E30 – eine ordentliche Stückzahl. Viele haben überlebt, aber wer heute einen hat, gibt ihn ungern wieder her, besonders wenn es ein unverbasteltes Original ist. Ja, es gab auch Cabrios, 785 Stück, aber auf so eines sollte man sich wenig Hoffnungen machen. Oder noch mehr Geduld haben als für eine Limousine.
Empfehlung
Lassen Sie sich nicht von hohen Laufleistungen abschrecken. Wichtiger ist der Pflegezustand. Wurde das Auto fair behandelt (und das braucht gar nicht viel Aufwand), steckt selbst nach einer viertel Million Kilometern noch jede Menge Leben drin. Unter den M3-Varianten empfehlen wir die Basis-Version mit 195 bzw. 200 PS, die ist am einfachsten zu handhaben.