Mercedes 300 SL Roadster
Kampfstern Galactica

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Mit übermächtiger Technologie hat er den Planeten Erde erobert, mit hinreißender Schönheit die Herzen seiner Bewohner. Erlebnis Mercedes 300 SL – und warum er der wahre Star unter den Sternen ist.
Mein Verhältnis zu den Klassikern von Mercedes ist nicht das innigste, das gestehe ich. Bewundern, ja, aber verlieben? Kaum. Zu nüchtern, zu verkopft, um bei mir den Cupido zu spielen – so sah ich sie zumindest, denn heute weiß ich: Es gibt Ausnahmen, eine auf jeden Fall. Zwei Tage intime Bekanntschaft mit einem 300 SL Roadster, und es hat gefunkt, nicht nur an den Kerzen. Dabei kam es eigentlich nur, wie es kommen musste. Wenige Autos ziehen dich so vollständig in ihre Fantasiewelt hinüber wie dieser offene Mercedes-Benz, führen dich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Deutschlands Supersportwagen der 1950er Jahre, ein einmaliger Mix aus teutonischer Eleganz und der Intoleranz perfektionistischer Ingenieure, abgeschmeckt mit einer Prise Beverly Hills.
Der Namensvetter, 30 Jahre jünger: 300 SL R 107

Der zierliche 300 SL ist auf den schmalen Landstraßen des Hinterlands mit ihren engen Kurven zu Hause.
Der Alles-Überflügler: Mercedes-Benz 300 SL

Die wunderbare Aussicht im Cockpit hinter der kleinen Frontscheibe weckt Cabriogefühle so viel intensiver als die Blechburgen der Neuzeit.
Auf den stehen alle Frauen: Mercedes-Benz 280 SL

An diesem Heck konnten wir uns in 50 Jahren nicht sattsehen. Hier stimmt die Uralt-Phrase: zeitlos schön.

Sechs Saugrohre verbessern die Füllung der Zylinder.
Intensive Cabriogefühle
Unser Weg schraubt sich karge, felsige Hügel hinauf, der Roadster knüpft Kurve an Kurve, kraftvoll, im Dunst von heißen Bremsen und gefoltertem Gummi. SL-Besitzer konnten (und können) in rund 8,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen – je nach Achsübersetzung –, das gelang 1960 sonst höchstens einem Ferrari 250. Erst der Jaguar E-Type (ab 1961) und der AC Cobra (ab 1962) schafften es, einen 300er auf der Straße überzeugend zu schlagen. Die wunderbare Aussicht im Cockpit hinter der zierlichen Frontscheibe weckt Cabriogefühle so viel intensiver als die Blechburgen der Neuzeit. Gar nicht altertümlich dagegen die steife Struktur des Autos – nichts schüttelt, nichts zittert. Der vom Vorgänger, dem flügeltürigen Coupé, abgeleitete Rohrrahmen beeindruckt auch ohne Blechdeckel. Nimm dazu die Federung, straff gedämpft und doch – wenn es darauf ankommt – subtil im Ansprechen, und der alte 300 SL fährt sich verblüffend modern. Er ist in Aktion viel mehr Siebziger Jahre als Fünfziger.
Ein Benz für alle: Mercedes /8

Ein Platz für Millionäre: Wer in diesem prachtvollen Cockpit sitzt, ist flüssig – nicht immer, aber meistens.
Historie
Ursprünglich wollte Mercedes mit dem 300 SL nur Rennen bestreiten. 1952 war es so weit, das flügeltürige Coupé, Baumuster W 194, heimste die ersten Lorbeeren ein, unter anderem beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. 175 PS aus drei Liter Hubraum mussten genügen, erst 1953 brachten Versuche mit einer Benzineinspritzung mehr. Zu diesem Zeitpunkt regte US-Importeur Maximilian Hoffman die Verwandlung des 300 SL in einen alltagstauglichen Sportwagen für den freien Verkauf an. Der Vorschlag traf ins Schwarze, und schon im Februar 1954 konnte das Werk in New York das Resultat präsentieren: Deutschlands ersten Supersportwagen, Typ W 198, zugleich der Welt erster Serienviertakter mit Einspritzung (215 PS). Die Flügeltüren blieben dran, ansonsten wurde das meiste erneuert, aber auch als W 198 stand der 300 SL in Wettbewerben seinen Mann. 1957, 1400 Flügeltürer später, verwandelte Mercedes das Renommee-Auto in den luxuriöseren, leichter fahrbaren und besser verkäuflichen Roadster. 1963, nach 1858 weiteren 300-SL-Exemplaren, ersetzte der zivilere und preisgünstigere 230 SL (W 113) die Legende.
Technische Daten
Mercedes 300 SL Roadster Antrieb: Reihensechszylinder, vorn längs • obenliegende Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, mechanische Direkteinspritzung • Hubraum 2996 ccm • Bohrung x Hub 85 x 88 mm • Leistung 154 kW (215 PS) bei 5800/min • max. Drehmoment 275 Nm bei 4600/min • Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • Fahrwerk: Einzelradaufhängung, vorn an Doppelquerlenkern, hinten Eingelenkpendelachse mit Zugstreben • Teleskopstoßdämpfer, Schraubenfedern • Scheibenbremsen vorn und hinten (bis 1960 Trommelbremsen) • Kugelumlauflenkung • Reifen 6,70 – 15 • Maße: Radstand 2400 mm • L/B/H 4570/1790/ 1300 mm • Leergewicht: 1420 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 8,5 s • Spitze circa 220 km/h • Verbrauch 15,5 l/100 km • 100 Liter Tankvolumen • Neupreis: 32.500 Mark (1961).
Plus/Minus
Wohl dem, der ihn sich leisten kann. Wobei ein 300 SL, speziell als Roadster, viel zu schade ist, um als bloßes Sammlerstück und Schauobjekt in Millionärsgaragen zu verschwinden. Er ist ein echter Benz, das bedeutet: robust und vollkommen gebrauchstüchtig. Und er will gefahren werden. Diese Qualitäten unterscheiden ihn nicht nur von anderen Supersportwagen seiner Zeit, sondern auch von seinem Vorgänger, dem Flügeltürer, dessen heikle Fahreigenschaften und saunaheißes Cockpit im Alltag keine Freude machen. Ist der SL ein Vermögen wert? Die Preisentwicklung scheint das zu bestätigen – wenige Autos können einen Wertzuwachs von fünf bis acht Prozent pro Jahr vorweisen, und das über einen derart langen Zeitraum. Vom Spaß ganz zu schweigen. Da lohnen sich sogar die stattlichen Unterhaltskosten.
Ersatzteile
Schön, wenn die Besitzer von Klassikern so umsorgt werden. Für den 300 SL, ob Flügeltürer oder Roadster, gibt es an Ersatzteilen fast nichts, was es nicht gibt, und zwar ab Werk. Weniger schön: Alles, sofern original von Mercedes, kostet horrende Summen. Über den Daumen lässt sich immer mindestens eine Null an die bei gewöhnlichen Autos üblichen Beträge hängen, das wäre dann der 300-SL-Preis. Beispiel: Stoßstange für knapp 5000 Euro, vorderer Kotflügel für 5500 Euro. Wahlweise gibt es hier und da auch preisgünstigere, nachgefertigte Teile. Aber deren Qualität ist oft unterlegen, und sie können den Wert des Autos schmälern.
Marktlage
Der Flügeltürer bleibt 300-SL-Ikone, aber der Roadster holte in den letzten Jahren zügig auf. Wobei die anschwellende Nachfrage aus Russland, dem Nahen Osten, auch China, die Preissituation weiter anheizt. Folge: Wer noch ein originales Exemplar in gutem Zustand für 400.000 Euro findet, darf sich glücklich schätzen.
Empfehlung
Sehr wenige Geldanlagen werfen so viel ab und machen zugleich so viel Spaß. Beim Kauf unbedingt einen Experten zu Rate ziehen – vor allem an US-Importen wurde häufig gepfuscht. Scheibenbremsen sind ein großes Plus, auch wenn sie (originalgetreu) nachgerüstet wurden. Die letzten 209 Exemplare (ab März 1962) hatten Leichtmetallmotoren, kosten deutlich mehr. Erstrebenswert: das Hardtop (ab Herbst 1958).
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