Es ist der 18. April 1974, ein Donnerstag. Bühne frei für den VW Scirocco. 1000 dieser sportlichen Coupés schwärmen von Wolfsburg in alle vier Himmelsrichtungen aus, Ziel sind die VW-Vertragshändler. Zu jedem von ihnen fährt ein Scirocco, mehr geht nicht: Produktionsschwierigkeiten bei Karmann in Osnabrück, Lieferengpässe. Deshalb machen die VW-Marketingstrategen aus der Not eine Tugend, ordnen an: "In einem Geleitzug, von geschmückten Käfern begleitet, unter Abspielen von Musik, die gelegentlich von Lautsprecherdurchsagen unterbrochen wird, kommt der Scirocco ans Ziel. Und das nicht im Händlerbetrieb, sondern, je nach Ortsgegebenheiten, auf dem Marktplatz, vor dem Schauspielhaus, vor dem Bahnhof oder in einer Fußgängerzone."

Der weiße Wirbelwind: $(LC951723:VW Scirocco White Cat)$

VW Scirocco 1.5 TS
Verrückte Zeiten, diese 70er-Jahre. Und richtungweisende für Volkswagen. Schauen wir uns an jenem 18. April 1974 mal um beim VW-Händler: Käfer mit und ohne Dach, K70, 412, Spitzname "Nasenbär". Alles angestaubte Typen, bei denen das Herz keine Purzelbäume mehr schlägt. Und dann der Scirocco: Front- statt Heckmotor, Vorderrad- statt Hinterradantrieb, Wasser- statt Luftkühlung. Welch ein Fortschritt. Aber die Ausstellungshalle ist tabu. Anweisung von VW: "Das neue Auto darf – zumindest am Anfang und tagsüber – nicht im Schauraum stehen, sondern muss immer und überall dort zu sehen sein, wo viele Menschen sind." Sie ahnen es: Produktionsschwierigkeiten, Lieferengpässe.
VW Scirocco 1.5 TS
Der Scirocco kommt als sanfter Wüstenwind über das Land. Aber er wirbelt gleich mächtig Staub auf, schließlich ist er mit seinen klaren Linien, den scharfen Kanten, der Keilform, der niedrigen Gürtellinie, dem knackigen Heck mit Bürzelspoiler der erste Sportwagen von VW. Noch viel wichtiger: Er ist bezahlbar, ein Volks-Sportwagen. Mit 50 PS kostet er 9995 D-Mark, für die 70-PS-Variante verlangt VW 380 D-Mark Aufpreis, mit flotten 85 Pferdchen (Spitze 175 km/h!) werden 11.745 D-Mark fällig. Möglich macht es Großserientechnik. So liefert zwar die Firma Italdesign von Giorgetto Giugiaro das Styling, Karmann in Osnabrück konstruiert Karosserie und Innenausstattung, fertigt das Fahrzeug mit dem Projekt-Namen EA 398. Aber alles andere stammt von Projekt EA 337, vom Golf, der erst vier Monate später startet: Motor, Getriebe, Kupplung, Lenkung, Hinterachse, Bremsen, Schlösser, Griffe, Dichtungen, Fensterheber und Scharniere, Heizung und Lüftung. Der Beginn des Baukastenprinzips in der Autoindustrie.
VW Scirocco 1.5 TS
Zurück zum 18. April 1974. Die Scirocco, die da durch die Lande fahren, sind in Malagarot lackiert oder in Berbergelb, in Lagunenblau oder Nepalorange. Ist es das Spitzenmodell TS, dann sind Pilotensitze drin – und Bezüge im Schottenkaromuster, wahlweise in Grün-Gelb, Hellrot, Orange oder Blau mit zarten gelben Streifen. Ja, das ist schick in den schrillen 70ern, in denen die männliche Kundschaft mit Oberlippenbart, Koteletten, Schlaghose und Hemd mit breitem Kragen zur Probefahrt erscheint und bei der Zusammenstellung des Autos Mut zur Farbe beweist. Allein in den ersten acht Monaten verkauft VW 24.555 Scirocco. 42 Prozent der Kunden unterschreiben, weil ihnen die Form zusagt, gut 25 Prozent geben Sportlichkeit als Entscheidungsgrund an, elf Prozent gefällt die Wirtschaftlichkeit. Immerhin begnügt sich der 70-PS-Motor mit acht Litern, tankt im Gegensatz zu den Konkurrenten Ford Capri und Opel Manta kein Super.

Unschuldiges Tuning-Opfer

Und jetzt kommt der traurige Teil dieser Geschichte. Denn das Auto, das ab dem 18. April 1974 Deutschland im Sturm erobert, wird keine zehn Jahre später als "Scirosto" verspottet. Und was die braune Pest nicht schafft, das übernehmen junge Männer, die aus dem Wüstenwind ihren persönlichen Hurrikan machen. Sie bauen das Cockpit aus und tauschen es gegen eines aus dem 3er-BMW der Baureihe E21 (ja, das passt wirklich), montieren die hintere Stoßstange ab und schweißen die Löcher mit Metallplatten zu, schrauben die Rückleuchten ab und frickeln schwarz eingefärbte aus dem Golf rein, tauschen das "Spucknapf-Lenkrad" gegen ein 32er-Momo und den 1.6er-110-PS-Motor gegen den 16V mit 139 PS aus dem Golf II GTI, ziehen ATS-Cup-Räder mit 195er-Reifen auf. Rückblickend muss man sagen: alles Blödsinn. Denn der Scirocco, dieser erste Volks-Sportwagen, ist von Haus aus viel zu schön, um ihn zu verschlimmbessern. Deshalb müssen wir ihn noch mal feiern, so wie am 18. April 1974.

Historie

VW Karmann Ghia
1970: Während der Arbeiten am Golf kommt Italdesign-Chef Giorgetto Giugiaro auf die Idee, zusätzlich ein 2+2-sitziges Coupé zu entwickeln. Weil VW zu dieser Zeit in finanziellen Schwierigkeiten ist, kooperieren Giugiaro und Karmann. 1973: Das Coupé wird als Nachfolger des Karmann-Ghia auf dem Genfer Salon vorgestellt. 1974: Im März ist Verkaufsstart, produziert wird bei Karmann in Osnabrück. Die Basisversion hat einen 1,1-Liter-Vierzylindermotor mit 50 PS, die Breitbandscheinwerfer vom K70 und kostet 10.040 D-Mark. Der TS mit 1,5 Litern und 85 PS ist zwei Jahre lang das Spitzenmodell, hat Halogen- Doppelscheinwerfer, Drehzahlmesser, Voltmeter und Dreispeichen-Sportlenkrad. 1976: Im Juni kommt der GTI mit 1,6-Liter-Motor, Einspritzanlage und 110 PS. 1977: Nach der Sommerpause sind die Stoßstangen nicht mehr aus Chrom, sondern mit Kunststoff verkleidet, die Blinkleuchten vorn um die Fahrzeugecken herumgezogen. 1981: Nach 504.153 Scirocco der ersten Generation folgt im Mai der Scirocco II, der bis 1992 aber nur 291.497-mal gebaut wird.

Technische Daten

VW Scirocco 1.5 TS
Reihenvierzylinder, vorn quer • oben liegende Nockenwelle, Antrieb über Zahnriemen • zwei Ventile pro Zylinder • Registervergaser • Hubraum 1471 ccm • Leistung 63 kW (85 PS) bei 5800/min • max. Drehmoment 121 Nm bei 3200/min • Viergangschaltgetriebe (auf Wunsch Dreistufenautomatik) • Vorderradantrieb • McPherson-Federbeine, Querlenker, Schraubenfedern vorn; Federbeine, Längslenker, Schraubenfedern hinten • Reifen 175/70 R 13 S • Länge/Breite/Höhe 3855/1625/1310 mm • Leergewicht 830 kg • 0–100 km/h 11,0 s • Spitze 176 km/h • Verbrauch 9,5 l Super • Tankinhalt 40 l • Neupreis 1974: 11.020 D-Mark.

Plus/Minus

VW Scirocco 1.5 TS
Das Hauptproblem des Scirocco ist braun und wütet wie die Pest: Rost. Es gammelt praktisch überall, vor allem an den Schwellern, in der Reserveradmulde, an den Hinterachsaufnahmen, an den Endspitzen und den hinteren Radläufen. Aber auch vorn, im Bereich des Windlaufs an der Frontscheibe, rostet der Rocco. Bei den meisten wurden bereits die Stehbleche der Kotflügel geschweißt, im schlimmsten Fall sind die Bleche schlecht eingepasst, und die Spaltmaße stimmen nicht mehr. Die Türen rosten meist an den Unterkanten, wenn die Dichtungen defekt sind, aber auch an der Spiegelaufnahme und rund um das Türschloss. Die Technik gilt beim Scirocco als solide. Einzig Wasserpumpen quittieren gern den Dienst, und wenn beim plötzlichen Gasgeben eine blaue Wolke aus dem Auspuff strömt, sind unter Garantie die Ventilschaftabdichtungen hinüber.

Ersatzteile

Ein ganz schwieriges Kapitel. Viele Stoffbezüge gibt es gar nicht mehr, anderes wird in Gold aufgewogen. So liegt der Preis für eine rechte Tür fürs Facelift-Modell bei 600 Euro, für das Modell mit Chromstoßstangen gibt es viele Karosserieteile gar nicht mehr, auch Zierteile sind rar. Unser Tipp: Nichts wegwerfen, rostige Türen schweißen oder auf den vielen Scirocco-Fan- oder Klubseiten nach gebrauchten Teilen fahnden. Bei Motoren und Fahrwerk sieht es besser aus: Golf-I-Technik.

Marktlage

Immer wieder taucht bei Ebay ein Scirocco I auf, der um die 2500 Euro weggeht und nur wenig Arbeit braucht. Brauchbare GTI gehen nie für weniger als 5000 Euro weg, sind aber selten. Die meisten angebotenen Scirocco I sind Bastlern zum Opfer gefallen und müssen erst wieder in den Originalzustand zurückversetzt werden.

Empfehlung

Klar, einen GTI wollen alle. Aber die sind meist verbastelt, oder die Besitzer haben astronomisch hohe Preisvorstellungen. Für etwa 3000 bis 4000 Euro gibt es mit ein wenig Geduld einen ordentlichen 70-PS-Scirocco, mit ein wenig Glück sogar einen mit 85 PS. Beide machen glücklich, denn der Einser-Scirocco ist mit etwas mehr als 800 Kilogramm ein Leichtgewicht. Es gilt der Grundsatz: Unverbastelt muss er sein, reichlich Arbeit braucht er trotzdem.