Mir ist, als wäre es gestern gewesen. Ich sitze mit meiner frisch Angetrauten in einem der ersten Scirocco-Testwagen. Preis 1974: 10.040 Mark. Auf den Autobahnen diktieren Myriaden von VW-Käfern Tempo 120, auf 135 km/h kommen aber schon die 1302/1303 mit ihren 50 PS. Genauso viel hat Wolfsburgs schwächster "Wüstenwind", der bei Karmann gebaut wird und bereits muntere 140 schafft. Für damalige Zeiten viel. Für einen Sportkombi, der er ja sein will, wenig. Wer wirklich sportlich wirken wollte, der legte damals ein paar Mark drauf und erwarb einen TS mit prestigeträchtigen Doppelscheinwerfern. Die signalisierten den Vorderleuten: Hier kommt ein Renner mit mindestens 70 PS und 164 km/h Spitze. Schon damals fuhr VW der Konkurrenz ewig hinterher. Die Trend-Typen Capri und Manta mischten bereits seit 1969/70 die Pisten auf, drängelten die barocken Karmann-Ghia von der linken Spur.
Zeitensprung. 34 Jahre sind vergangen. Wir schreiben 2008 und meiner Frau ist ziemlich schnuppe, was ich ihr über den neuen Scirocco erzähle. An die schönen Stunden im Scirocco kann (oder will) sie sich nicht mehr erinnern. Fast mitleidig blickt sie mich an, als ich von 122 Basis-PS und 200 Sachen Spitze für nur 22.000 Euro schwärme und ihr dazu noch vorrechne, dass ein vergleichbar ausgestatteter Golf kaum billiger käme. Ich beschließe zu schweigen und denke, die Kollegen in der Redaktion werden mich bestimmt besser verstehen. Von wegen. Als die auf diesen Seiten gezeigten Fotos im Konferenzraum an die Wand gebeamt werden, da umgeben mich plötzlich nur noch neunmalkluge Formgestalter. Alle Design-Elemente seien geklaut, der neue Scirocco sei pummelig, gedrungen und mit dem alten überhaupt nicht zu vergleichen.

Diesmal ist VW der Konkurrenz eindeutig voraus

Mit Verlaub: Das ist das Knackigste, was Redakteur Rodatz seit langem gesehen hat.
Mit Verlaub: Das ist das Knackigste, was Redakteur Rodatz seit langem gesehen hat.
Stopp! Ich bitte um Ruhe. Und erzähle. Denn ich habe den Scirocco bereits gesehen, angefasst, in ihm gesessen. Als er rückwärts aus dem Transport-Lkw rollte, beeindruckte mich sein Hintern. Mit Verlaub: So ein knackiges Teil habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Da mögen die einen einwenden, das sei ein Honda-Mazda-Volvo-Verschnitt, und andere Kritiker halten Klappe und Rückfenster für zu klein. Mag ja sein. Für mich ist wichtiger: Das hier ist kein betuliches Heide-Design mehr, das ist formal auch kein Volkswagen. Das ist ein ganz eigenständiger Sportwagen, von mir aus auch ein Shooting-Brake oder Kombi-Coupé. Und besonders wichtig: VW ist endlich der Konkurrenz voraus. Preislich vergleichbare Mitbewerber, die äußerlich keinem Schwestermodell ähneln, finden sich allenfalls noch in der Korea-Ecke.
Die Eigenständigkeit der Scirocco-Form ist eine Folge der Modul-Technik - sie hat die alte Plattform-Strategie abgelöst. Im portugiesischen Setubal läuft der Eos vom Band, der auf Modulen der Golf-  und Passat-Reihe basiert. Der Scirocco wiederum bedient sich beim Eos, wird am selben Fließband gebaut. So konnten die Ingenieure auf Eos-Elemente zurückgreifen, und die Formgestalter um den damaligen Konzern-Designchef Murat Günak schufen den viel diskutierten Iroc. Nun verantwortet seit Anfang 2007 Walter deSilva die VW-Formensprache, änderte mit seinem Team vor allem das Interieur und den Vorderwagen, was die Einführung dann um ein Dreivierteljahr auf den 30. August dieses Jahres verschob.
Vorn betont das Coupé nun die Waagerechte, zeigt das künftige, hier chromlose VW-Gesicht. Die Waben im Grill stehen für GTI-Gene. Seitlich sind die Bleche eingezogen, die Designer tauften das "Tornadolinie". Und der Pressetext schwärmt: "Wer mit der Hand erst über einen Scheinwerfer, dann über den Kotflügel streicht, spürt, dass sich die Flächen der Silhouette gegeneinander verdrehen. Je nach Perspektive und Lichteinfall verändert sich die Seitenpartie dadurch wie ein sich bewegender Muskel." Papier ist geduldig.

Die Motoren: drei Benziner, zwei Diesel 

Sparsam, aber kräftig: Zur Wahl stehen drei Benziner und zwei Diesel.
Sparsam, aber kräftig: Zur Wahl stehen drei Benziner und zwei Diesel.
Mich bringt das Stichwort Muskel eher auf die Motoren. Mit Einführung der TSI-Direkteinspritzer hat VW hier ebenfalls die Nase vorn. Die Motoren haben trotz kleinen Hubraums (und damit geringeren Verbrauchs) einen Drehmomentverlauf wie ein Diesel. Im Basis-Scirocco steckt der 1,4-Liter mit 122 PS, den wir schon vom Golf kennen und dessen höchstes Drehmoment bereits bei 1500 Umdrehungen anliegt. Der gleich große, aber 160 PS starke Motor bringt es bei 1700 Umdrehungen. Das Zweiliter-Topaggregat mit 200 PS erreicht sein höchstes Drehmoment ebenfalls bei 1700 Touren. Die beiden Diesel (140 und 170 PS) haben kaum mehr Muskeln zu bieten.

Die Grundausstattung ist nahezu komplett

Eos-Innereien: griffiges Lederlenkrad, klar gezeichnete Mittelkonsole, Sechsgang-Schaltgetriebe in allen Motorversionen.
Eos-Innereien: Der Scirocco macht einen großartigen Eindruck.
Die Konferenz-Runde schweigt nachdenklich, als ich vom Innenraum-Erlebnis erzähle. Vier Einzel-Sportsitze sind Serie. Verstellbares Lenkrad und Schalthebel mit griffigem Leder bezogen. Beide Frontsessel haben Höhenjustierung, die Rücksitzlehnen lassen sich einzeln nach vorn umklappen. Elektrische Fensterheber gehören ebenso zur Grundausstattung wie Klimaanlage, ESP-Schleuderschutz, sechs Airbags, eine tempoabhängige Servolenkung und das Sechsganggetriebe (DSG-Automatik auf Wunsch). Äußerlich glänzen bereits 17-Zöller aus Leichtmetall im zeitlosen Speichen-Design.
Mit dem dritten Scirocco ist VW ein großer Wurf gelungen.
Mit dem dritten Scirocco ist VW ein großer Wurf gelungen.
34 Jahre liegen zwischen Scirocco eins(t) und jetzt. Die Käfer sind verschwunden, die Ansprüche gestiegen und mit ihnen die Autos gewachsen. Rückblickend war der Ur-Scirocco als Heckklappen-Coupé seiner Zeit voraus. Und der Neue eifert diesem Vorbild nach. Zum Glück. Zwar hat VW das Sportcoupé mit dem Scirocco III nicht neu erfunden, sich aber erfolgreich der alten Tugenden erinnert. Fazit von Testredakteur Diether Rodatz: 34 Jahre nach dem ersten Scirocco kommt nun die Nummer drei, die mit dem Ur-Modell einiges gemeinsam hat: keckes Äußeres verbunden mit variabel nutzbarem Innenraum. Dazu noch eine nicht nur die Jugend ansprechende Form und flotte Motoren. Dieses Konzept dürfte wieder Erfolg haben, zumal der Einstiegspreis bei 22.000 Euro liegt. Und die Konkurrenz hat noch nichts. Zufall?