Leder, Klima, Servolenkung, 4,39 Meter kurz, sechs Zylinder: Nie war ein Kleinwagen größer. Dass ein AMC Pacer ein Kompaktauto ist, glauben ja auch nur Amis.
Bild: Christof R. Schmidt
Äh, wie jetzt? Kleinwagen? Natürlich: Neben einer Autobianchi Bianchina sieht ein AMC Pacer aus wie deren Mutterschiff, und im Vergleich zu einem Vanden Plas Princess 1300 stellt er sich erschütternd neureich und würdelos dar. Über ein winziges Fiesta-Motörchen lachen Pacer-Limited-Piloten nur, ein Opel Kadett Berlinetta wirkt auf sie wie die nackte Armut. Aber steht ein Pacer neben einem Fullsize-Ford auf dem Walmart-Parkplatz, ist er doch nur ein Kleinwagen. Wir merken uns also: Größe ist relativ. Und auf die Technik kommt es auch nicht an. Pacer, das heißt übersetzt "Schrittmacher", doch der eigene Anspruch stimmt nur zur Hälfte. 4,39 Meter ist der Pacer lang, was wenig war im Mittsiebziger-Amerika der unbegrenzten Möglichkeiten, wo nur Nerds und Professoren freiwillig kleine Autos fuhren. Mit fast zwei Meter Breite hatte er in der ersten Reihe Oberklasse-Niveau, aber ernsthaft Platz bietet er nur zwei Leuten und etwas Gepäck. Sein Design ist so futuristisch, dass die Kristallkugel-Optik noch nach 40 Jahren mühelos Menschen in den Bann schlägt, doch die Technik darunter ist ein halbes Jahrhundert alt. Mindestens.
Das Modell Limited markiert die höchste Ausstattungsstufe, kein anderer AMC-Kompakter bot mehr Luxus.
Bild: C. R. Schmidt
Ein Pacer lebt in Widersprüchen. Er ist außen groß, innen klein, tollkühn modern und ernüchternd veraltet. Er weiß nicht, was er sein will, aber das mit Bestimmtheit. Er ist eben ein AMC! Zum Geschäft der im Vergleich zu GM, Ford und Chrysler kleinen, immer klammen American Motors Corporation gehörte es, ordentliche Massenware zu verkaufen und nebenbei Nischen zu entdecken, die den "Großen Drei" nicht lukrativ genug erschienen. Kleinwagen, oder was Amerika eben so dafür hielt, waren immer schon Teil des Sortiments. An den rundlichen, lichtdurchfluteten Pacer aus der Feder des Designchefs Richard A. Teague mussten sich die USA trotzdem erst gewöhnen, obwohl es bei AMC ja schon den abnormen Subcompact Gremlin gab, der nur aus Vorderwagen und C-Säule zu bestehen schien. 1975 kam der Pacer auf den Markt. Breit, flach, gläsern, vorn normales Auto, hinten Goldfischglas. Die Tür auf der Beifahrerseite war gut zehn Zentimeter länger, damit sich Passagiere leichter in den engen Fond falten konnten. "Das erste kleine breite Auto", warb AMC für den futuristischen Pacer; dem französischen Importeur Jean Charles fiel Expliziteres zum Styling ein: Er zeigte auf Werbeplakaten das pralle Hinterteil des Pacer neben dem Po Brigitte Bardots. 1977 wurde ein hübscher Kombi nachgeschoben, der sich ganz ordentlich verkaufte, und ein Jahr später der altbekannte Fünfliter-V8 angeboten, was eine höher bauende Motorhaube für alle Typen nach sich zog.
1975 ging der Pacer auf die Straße. Breit, flach, gläsern, vorn normales Auto, hinten Goldfischglas.
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Das war die schöne Seite des Pacer, die halbe Wahrheit. Die andere handelt von Sachzwängen und Notlösungen. Eigentlich sollte in der flach gezeichneten Front ja ein neuartiger Wankelmotor arbeiten, Frontantrieb war geplant – nicht auszudenken, welch einen Kultstatus der Pacer genießen würde, wäre es so weit gekommen. Aber schließlich gurgelte aus Kostengründen doch nur ein altbackener Jeep-Motor unter der Haube, und die angetriebenen Räder saßen hinten. Diese Einfachst-Technik ist es, die in exaltierter Umgebung Verlässlichkeit vermittelt. Der Reihensechser übersteht gefühlt rund 500.000 Meilen ohne viel Wartung – und ganz gleich ob die kleine 232-c.i.-Version mit 3,8 Liter oder die 258-c.i.-Variante mit 4,2 Liter Hubraum drinsteckt, laufen immer 16 Liter pro 100 Kilometer durch. Immer! Zu hören und zu sehen ist davon unter Luftfilter und Servoschlauch-Gewimmel nicht viel. Aus der Tiefe des Raums holt der Motor seine Power: Knapp über Standgas steht eine Kraft bereit, die einen handelsüblichen Kadett C wohl in zwei Stücke risse. Mit dem optionalen, kaum stärkeren und nicht viel durstigeren V8 verhält es sich übrigens ähnlich. 150 km/h Spitze sind jedoch eine Mühsal für die AMC-Maschinen.
Von der Idee eines Kompakten ist nicht viel übrig geblieben
Über seine vollfette Serienausstattung mit Leder, Leseleuchten, E-Fenstern und Plastik-Holz hinaus enthält dieser Pacer noch viele Extras mehr.
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Letztlich ist es aber völlig egal, welche Technik im Pacer steckt, weil ihn sowieso niemand wegen seiner sexy Starrachse, des herrlich übersichtlichen Kofferraums oder seines antiquierten Reihensechsers kauft. Pacer bedeutet Styling und Limited Luxus. Mit schrillen "Turbine"-Alufelgen, Servolenkung, elektrischen Fensterhebern, Armlehnen, dickem Leder und tiefen Teppichen spielt der Pacer mit dem Verwöhnaroma ganz selbstbewusst Cadillac in der Kompaktklasse. Dass bei dieser Fülle an Extras und einem Leergewicht von rund 1,5 Tonnen von der Idee eines Kompakten nicht viel übrig bleibt, kann da nicht verwundern. Handling? Ein Pacer rollt halt dahin, doch dafür überzeugt die Aussicht. Vorn, inmitten all der großformatigen Fensterflächen, sitzt es sich wie in einem Tauchboot mit Ledercouch, nur viel weicher und bequemer. Natürliches Leder so zu behandeln, dass es sich anfasst wie Plastik, ist eine nur in Amerika verbreitete Kunst. Aber so passt es perfekt zum Chrom-Imitat der Knöpfe, zum Falsch-Holz am Instrumentenbrett und zum lässigen Charme eines Autos, das aufgedonnert ist wie ein ganz Großer, aber als komischer Außenseiter nicht dazugehören will. Ein Pacer ist eben anders. Daheim nicht groß, bei uns nicht klein. Nicht praktisch, als Limited ein bisschen edel. Eigentlich ist er nicht einmal ein Auto. Eher ein Kunstwerk.
Technische Daten
Aus der Tiefe des Raums holt der Motor seine Power: Zu hören und zu sehen ist von dem Reihensechser unter Luftfilter und Servoschlauch-Gewimmel nicht viel.
Bild: C. R. Schmidt
AMC Pacer Limited Motor: Reihensechszylinder, vorn längs • zentralliegende Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, Carter Fallstrom-Doppelvergaser • Hubraum 4229 ccm • Leistung 81 kW (110 PS) bei 3200/min • max. Drehmoment 285 Nm bei 1100/min • Antrieb/Fahrwerk: Drei- und Viergang-Schaltgetriebe (auf Wunsch Dreigang-Schaltgetriebe mit Overdrive oder "Torque-Command"-Dreistufenautomatik) • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung an Querlenkern und Schraubenfedern, hinten Starrachse an Blattfedern • Räder/Reifen 6 J x 14 mit 195/75 R 14 • Maße: Radstand 2540 mm • L/B/H 4387/1956/1341 mm • Leergewicht 1453 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 15 s • Spitze 160 km/h • Verbrauch 16,6 l N pro 100 km • Neupreis: 6177 Dollar (1979).
Historie
1954: Die unabhängigen Autobauer Nash und Hudson fusionieren zur American Motors Corporation (AMC), der neuen Nr. 4 hinter den "Big Three" GM, Ford und Chrysler. 1970: AMC übernimmt die Marke Jeep und präsentiert im April, noch vor Chevy Vega und Ford Pinto, den ersten US-amerikanischen "Subcompact", das zweitürige Schrägheckmodell Gremlin. 1975: Der "Compact" Pacer kommt auf den Markt, ausgerüstet mit Reihensechszylinder-Motoren (3,8 und 4,2 Liter Hubraum) und Fünfliter-V8. 1977: Die Baureihe wird durch die Kombi-Variante "Wagon" ergänzt. 1979: Renault wird Teilhaber von AMC, am Stammsitz Kenosha/Wisconsin laufen Renault 9 und 11 vom Band. 1980: Pacer (Stückzahl: 296.716) und Pacer Wagon (Stückzahl: 60.512) werden aus dem Programm genommen. 1985: AMC nimmt die Fertigung von Dodge- und Plymouth-Modellen auf. 1987: Renault steigt bei AMC aus, Chrysler übernimmt die Anteile. Aus AMC werden die Marken Eagle und Jeep. 1998: Daimler-Benz und Chrysler fusionieren, Eagle wird beerdigt. 2007: Daimler und Chrysler gehen getrennte Wege. Die Marke Jeep, letzter AMC-Rest, bleibt bei Chrysler.
Plus/Minus
Der AMC Pacer ist schräg, selten, einmalig in der Form, einfach im Wesen und darüber hinaus auch sehr, sehr sicher.
Bild: C. R. Schmidt
Plus? Design und Technik! Minus? Design und Technik! Je nach Sichtweise. Niemand kauft sich zufällig einen Pacer. Der Pseudo-Kompakte ist schräg, selten, einmalig in der Form, einfach im Wesen und darüber hinaus auch sehr, sehr sicher. AMC entwickelte die Karosseriestruktur mit Seitenaufprallschutz und Überrollbügel, als mit neuen, strengen Gesetzen zu Insassensicherheit gerechnet werden musste. Bis heute sind Pacer in den USA von Demolition Derbys ausgeschlossen, weil sie als unzerstörbar gelten – es sei denn, der Rost frisst den Pacer von innen auf. Die hinteren Radläufe, die Heckschürze, die vorderen Bodenbleche, die Türen, die Spritzwand und der im Verborgenen liegende Querträger unterhalb des Armaturenbretts gelten als extrem gefährdet. Umso haltbarer sind Mechanik, Getriebe und Motor, die in millionenfacher Ausfertigung gebaut wurden und auch in vielen anderen AMC- und Jeep-Baureihen zum Einsatz kamen. Chronische Technik-Schwachstellen des Pacer sind leckende Servolenkungen, unzuverlässige Zündanlagen und verzogene Auspuffkrümmer.
Ersatzteile
Ersatzteile für Antrieb und Fahrwerk sind in den USA leicht verfügbar, Blech und Teile der Innenausstattung bereiten größere Probleme. Ein Motordichtsatz für Sechszylinder kostet 104 Dollar, ein Auspuffkrümmer 234 Dollar (www.rambler parts.com). Neue Fronthauben werden für 375 Dollar, ein Teppichsatz für 289 Dollar angeboten (www.kennedyamerican.com).
Marktlage
Nur vereinzelt tröpfelten Pacer nach Deutschland hinein, das erklärt das magere Angebot bei uns. Frankreich und die Schweiz sind die richtigen Länder für Pacer-Fans.
Empfehlung
Investieren statt restaurieren. Die Teilebeschaffung kostet Zeit und Geld (Versand und Einfuhr-Umsatzsteuer kommen noch hinzu), und Spezialisten sind sowieso rar. Deshalb lieber gleich für einen höheren Einstiegspreis ein gutes Exemplar kaufen. Eine umtriebige und herzliche AMC- und Pacer-Gemeinde findet sich in der Schweiz, Kontakte dorthin lohnen sich vor und nach dem Kauf auf jeden Fall.