Klassiker für Ästheten: Opel Rekord D
—Schön schlicht
Flokati hin, Fototapete her, auf der Straße gab es ihn, den guten Geschmack der 70er-Jahre: Der Opel Rekord D bewies, dass eine Massen-Limousine weder schwülstig noch dröge aussehen muss. Seine klare Linie hielt sich bis heute frisch.
Schöne Bescherung. Der Opel Rekord D, dieser durch und durch bürgerliche Kantenhauber, als Teilnehmer eines hochkarätigen Designgipfels. Was hat der denn unter den schönsten Viertürern zu suchen? Mercedes S-Klasse vom Stamm W 108, klar: die ganze Daimler-Wucht in einem Wabengrill. Oder die bezaubernde Déesse: Nie mehr danach war ein Citroën dem Himmel so nah. Wir schnauzbärtigen Opel-Treter der frühen 80er-Jahre hingegen hatten mit Formen und Formalien nichts am Hut. Stattdessen durchkreuzten wir im billig geschossenen D-Rekord die rostige Hölle. Unsere rekordverdächtigen Buntspechte vereinten alle Töne der werkseitigen Farbpalette auf einem einzigen Modell, Schrottplatz-Willi sei Dank. Ein roter Rekord D trug nach spätestens acht Jahren unschuldiges Arktisweiß am Kotflügel vorn rechts, Citrusgelb gegenüber links, eine Fahrertür in Montanagrau, die Kofferklappe in Saharagold. Oder auch Tropengrün.
Tropengrün? Ja, so wie der Foto wagen hier. Kein zusammengewürfeltes Exemplar wie eben beschrieben, sondern schier, glatt und fast ein wenig kokett figurbetont steht er da. Ein ausnahmsweise mal echter Scheunenfund aus Belgien. Erste Hand, erster Lack, 16.000 Kilometer jung. Schauen wir genau hin. Ist es die Farb-Kombination, die fasziniert? Beiges Interieur mit Dunkelgrün liegt auf der imaginären Liste der Geschmackssicherheit eindeutig weit oben. Direkt neben Mercedes-Lack 291 "Dunkeloliv". Aber es ist ein Opel. Ein schnöder Rekord. Der "Rekord II", wie die Rüsselsheimer Werber das neue Modell anfangs nannten. Er trat im Januar 1972 die Nachfolge des Millionensellers Rekord C an. Der hatte seit 1966 gut gelebt vom modischen Coke-Bottle-Design, was nichts anderes bedeutet als dies: Seine Seitenlinie hat die Form einer Cola-Flasche, die alte, klassisch-kleine natürlich. Doch dann kommt "Chuck". Charles M. "Chuck" Jordan. Ein Mann, so amerikanisch wie Coca-Cola. Typ: Traum aller Schwiegermütter. Gepflegt, teamfähig, kreativ. Vor allem aber weiß er, was er will: schöne Autos bauen. Denn sonst "ist die Technik vergeblich", meint er. Mit 30 ist Chuck Chefdesigner beim Opel-Mutterkonzern General Motors (GM). Mit 40 abkommandiert zur Opel-Tochter nach Deutschland.
Klassiker für Ästheten | ||
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Citroën ID 19 | BMW 730i (E32) | Lanica Flaminia Berlina |
Lincoln Continental (1966) | Maserati Quattroporte I | Mercedes 280 S (W 108) |
Neuer Stil, alte Qualitäten: Opel Rekord P2
V wie Verkannt: Opel Diplomat A V8 Coupé
Technische Daten
Opel Rekord D 1700L (1974) Motor: Reihenvierzylinder vorn längs • seitlich im Zylinderkopf liegende, kettengetriebene Nockenwelle • zwei Ventile pro Zylinder• ein Solex-Fallstromvergaser • Hubraum 1698 ccm • Leistung 49 kW (66 PS) bei 5300/min • max. Drehmoment 118 Nm bei 2550/min • Antrieb/Fahrwerk: Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung an doppelten Querlenkern, Schraubenfedern, Stabilisator, hinten Starrachse mit Schraubenfedern, Doppel-Längslenkern, Panhardstab, Stabilisator • vorn Scheiben-, hinten Trommelbremsen • Reifen 6.40- 13, auf Wunsch 175-14 • Maße: Radstand 2668 mm • Länge/Breite/Höhe 4607/ 1728/1415 mm • Leergewicht 1115 kg • Zuladung 460 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 20,0 s • Spitze 143 km/h • Verbrauch circa 11 Liter pro 100 km • Neupreis: 10.500 Mark (Januar 1974).
Historie
"Ich will eine Form, die den Käufer förmlich in den Verkaufsraum saugt", fordert der junge Opel-Verkaufschef Robert "Bob" Lutz Ende der 60er-Jahre. 1968 entstehen in Rüsselsheim erste 1:1-Skizzen des neuen Rekord, am 19. Januar 1972 beginnt der Verkauf (ab 9285 Mark). Opel bietet wie beim Vorgänger eine Limousine mit zwei und vier Türen, ein Coupé und den Kombi namens CarAVan, dazu ab März 1972 den Commodore mit sechs Zylindern. Erstmals gibt es ab Herbst 1972 einen Opel Rekord Diesel (2,1 Liter, 60 PS), erkennbar an der Hutze auf der Motorhaube. Die magische Zwei-Liter-Hubraum- und 100-PS-Marke knackt ab Herbst 1975 der Rekord 2000, dazu liefert Opel das "Berlina"-Paket mit Plüschsitzen und Vierspeichen-Lenkrad. Die Produktion des einmillionsten Rekord D feiern die Hessen 1976 mit dem luxuriösen Sondermodell Millionär (u. a. Velourspolster, Zusatzinstrumente). Im Juli 1977 erscheint der Rekord E, der die glattflächige Designlinie des Rekord D nicht fortsetzt. Dessen Erfolgsbilanz: 1.128.196 Opel-Käufer fühlten sich in den Schauraum gesaugt, darunter auch Bundeskanzler Helmut Schmidt, der privat Rekord D fuhr.
Plus/Minus
Ersatzteile
Opel kann nicht groß helfen, doch bei Ebay laufen über 5000 Auktionen mit Rekord-D-Teilen, dann gibt’s da auch noch die spezialisierten Händler, die Clubs und viele Opel- Hobbydealer auf Teilemärkten. Technikteile sind kein Problem (Benzinpumpe 25 Euro, Auspuff-Endtopf 55 Euro), Blech ist rarer: Ein neuer vorderer Kotflügel kostet beim Teilehändler um die 300 Euro.
Marktlage
Ab etwa 5000 Euro gibt’s eine richtig gute Rekord D Limousine mit zwei oder vier Türen und 1,7-Liter-Motor, denn Wenigfahrer legten meist keinen Wert auf Leistung. Richtig selten sind Coupés und CarAVans, die in tadellosem Zustand an der 10.000-Euro-Grenze kratzen können, Tendenz steigend – doch das gilt für alle D-Rekord.
Empfehlung
Einen ganz frühen suchen – am besten mit Lenkradschaltung, dann fühlt er sich wirklich wie ein Oldtimer an. Oder einen späten Rekord Berlina mit Zweiliter-Motor und 100 PS: So eine durchdringend rote, blaue oder bernsteinfarbene Kuschelflausch-Sitzgruppe gibt’s nicht mal in den angesagtesten Metropolen-Lounges. Und der große Motor macht den Opel richtig flott, ohne zügellos zu saufen.
Der Designer
Es heißt, er habe schon seine Schulhefte mit Autoskizzen gefüllt. Mit 22 jedenfalls ging Charles M. "Chuck" Jordan, Jahrgang 1927, zu General Motors und zeichnete wilde Zukunftsstudien für die "Motorama"-Shows. Später entwarf er den 59er Cadillac Eldorado und den 63er Buick Riviera, zwei gänzlich gegensätzliche Design-Meilensteine. Von 1967 bis 1970 war er Opel-Designdirektor, ab 1986 GM-Vizepräsident für Design. Jordan starb im Dezember 2010 in seiner Heimat Kalifornien.
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