November 2007: James Thompson hat in der Tourenwagen-WM bis zum Saisonfinale Titelchancen – im längst abgelösten und privat eingesetzten Alfa 156. Am Ende reicht es nicht ganz für ihn. Trotzdem markiert sein Husarenritt ein letztes Aufbäumen, bevor die lange Motorsporttradition der einst so großen Marke Alfa Romeo verebbt. Bis Fiat-Boss Marchionne jüngst verkündete, Alfa dürfe nicht sterben. Plötzlich sah man das Logo selbst auf den Formel-1-Rennern von Ferrari, und als die Mailänder als erstes neues Modell eine 510 PS starke Power-Limousine vorstellten, wurden sogar Gerüchte über ein Motorsport- Comeback laut.

Der Innenraum der Giulia lässt Wertigkeit vermissen

Alfa Romeo Giulia QV
Die Guilia hat einen hübsch gemachten Arbeitsplatz, aber die Haptik hält nicht, was die Optik verspricht.
Gut, ein DTM-Comeback erscheint recht unwahrscheinlich, aber es trifft sich nicht schlecht, dass mit der neuen Giulia QV quasi die Reinkarnation des italienischen Tourenwagens auf uns wartet – und zwar in der Boxengasse des Nürburgrings. Vis-à-vis lauert ein bayerischer Bazi mit Competition-Upgrade in auffällig funkelnden Sakhir Orange, den wir für einen ersten Fahrvergleich mitgebracht haben – und dessen Urahn schon vor rund zehn Jahren mit Vorliebe den eingangs erwähnten 156er piesackte. Zunächst schwingen wir uns aber hinter das Volant des Alfa, dessen Interieur uns anfangs verzückt: Instrumente in Tubenoptik, ein billardkugelig runder Schaltknauf mit schön kurzen Schaltwegen, dazu ein filigranes Dreispeichenlenkrad mit fast schon erotisch rot leuchtendem Startknopf. Schade nur, dass die Haptik nicht ganz hält, was die Optik verspricht. Die Tasten – etwa für die elektronische Parkbremse – wirken arg halbseiden, die Drehregler rasten nicht ganz verbindlich, und selbst die Plexi-Abdeckung des formal schön integrierten Zentraldisplays lässt Wertigkeit vermissen.
Alle News und Tests zur Alfa Romeo Giulia

Schon optisch ist der M3 das sportlichere Auto

BMW M3 Competition
Wirkt zierlicher: Der BMW ist drei Zentimeter länger als der Alfa, macht aber den drahtigeren Eindruck.
Dazu kommt ein wirrer Stilmix der Lüftungsdüsen: Die runden Ausströmer außen beißen sich mit den horizontalen Zentraldüsen, die uns ein wenig an jene im Nissan Qashqai erinnern – selbst die Positionen der Drehregler und des mittigen Warnblinkschalters sind ähnlich. Im BMW geht es da vertrauter zu, obwohl auch die Bayern beim aktuellen F30-3er jüngst ihre Verarbeitungs-Malaisen zu überwinden hatten. Im M3 fühlt sich der Fahrer prinzipiell weniger eingebaut. Das liegt zum einen am massiven Überbau im Giulia-Cockpit und zum anderen am filigraneren Mitteltunnel im M3. Auch von außen betrachtet gibt die Giulia ein wuchtigeres Bild ab, wirkt fast eine halbe Klasse größer als der drahtige Bayer – und das, obwohl sich der M3 drei Zentimeter länger streckt. Außen versuchen beide erst gar nicht, ihren Überfluss an Testosteron zu verheimlichen: aufgeblasene Backen – hüben wie drüben; vier Akustiktröten am Heck – check; Lüftungsschlitze rundum – jawoll. Im M3 kommt da noch Sichtcarbon, quasi als Leichtbaumützchen, hinzu, während Alfa im jüngsten Prospekt dankenswerterweise das 1650 Euro teure Panoramaschiebedach wieder gestrichen hat. Vielleicht hat man ja gemerkt, dass das hinsichtlich des Schwerpunkts nicht die beste Idee war. Dafür bieten sie nun für 3490 Euro Sparco-Schalen mit Sichtcarbonrückseite für mehr Seitenhalt an – da würden wir glatt ein Kreuzchen im Bestellschein setzen.
Alle News und Tests zum BMW M3

Auf der Rennstrecke taugt die Alfa-Lenkung durchaus

Alfa Romeo Giulia QV
Von vollsynthetisch bis beherzt zupackend: Die Lenkung des Alfa lässt sich per DNA-Schalter einstellen.
Unser Testwagen verfügt darüber leider nicht. Eine sportliche Sitzposition ist dennoch schnell gefunden, auch wenn der Einstellbereich für den knapp zwei Meter langen Redakteur noch ein bisschen weiter in die Tiefe gehen dürfte. Zudem sollten sich im Anschluss an die paar schnellen Runden die Schultern mit schmerzhaften Druckstellen von der Polsterung an der Lehnenoberseite zu Wort melden. Das Kreuzchen bei den Schalensitzen wird so immer wahrscheinlicher … Doch genug geredet, ab auf die Rennstrecke: zunächst mit dem Herausforderer – und wir stellen fest, dass die Lenkung unerwartet leichtgängig, aber durchaus direkt übersetzt agiert. Zum Glück lässt sich dies über den DNA-Schalter in der Mittelkonsole korrigieren, denn diese Leichtgängigkeit gefällt uns auf der Strecke gar nicht – erinnert in ihrer Synthetik an längst vergangene Jugendtage mit dem Logitech-Lenkrad vor der PC-Rennsimulation. Je höher der DNA-Schalter allerdings in Richtung Dynamik flippert, desto mehr Widerstand wird in die Lenkung hineincomputerisiert, bis sie in der Race-Pro-Stellung fast schon forsch-beherzt zupackt.
Weitere Fahreindrücke der beiden Sport-Limousinen finden Sie in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel mit allen technischen Daten und Tabellen gibt es als Download im Online-Heftarchiv.
Alexander Bernt
Die Giulia fühlt sich an, als schlüpfe man in einen Turnschuh mit bereits vorgebundenen Senkeln – alles sitzt gut, jedoch einen Tick schlaffer, als es könnte. Der M3 krallt sich dagegen förmlich um den Fahrer, will ihm nicht gefühlt unter dem Hintern wegfahren, sondern ihn mit auf eine faszinierende Reise ins Land der Querdynamik nehmen. Verstehen Sie uns nicht falsch, der Marke Alfa Romeo gönnen wir wie keiner anderen ein stilechtes Comeback, und die Giulia QV ist ein hervorragendes Auto geworden, aber sie ist eben eine komplette Neukonstruktion und trifft gerade in der Klasse der Power-Limousinen auf etablierte Konkurrenz, die im Grunde seit Jahren nichts anderes macht, als vollgasfesten Familienvätern die Möglichkeit zu geben, am Wochenende möglichst dynamisch um die Ecken zu pfeifen. Das letzte Stück zum Gipfel ist nun mal das schwerste – ganz besonders mit nicht ganz perfekt geschnürten Schuhen.