Ingolstädter Oberklasse-Anspruch

Wie beschreiben Sie die Sonne? Natürlich: Sie besteht zu 71 Prozent aus Wasserstoff, hat einen Radius von 696.000 Kilometern und produziert im Zentrum eine Hitze von 16 Millionen Grad. Richtig, klingt aber ziemlich nüchtern. Die schönere Definition: Die Sonne wärmt uns wie eine Umarmung in Mutters Schoß und ist schlicht und einfach der Ursprung allen Lebens auf der Erde. Ganz nebenbei weckt sie jetzt Frühlingsgefühle bei Cabriofahrern.

Bei Leuten, die alles etwas romantischer sehen. Die beim Autofahren nicht an Achskinematik oder maximale Bodenhaftung denken, sondern eher an Schwerelosigkeit. Denn nur wer fliegt, hat noch mehr Wind um die Nase als ein Cabriofahrer. Abheben tun sie oft in den Verkaufsräumen von Audi, BMW oder Mercedes. Ausgerechnet dort? Was kann von der Seele eines offenen Autos bleiben, wenn geballte Ingenieurkunst mit Super-Computern über dem perfekten Cabrio brütet?

Schlicht das Beste, die Essenz. Neuestes Beispiel süddeutscher Autobauer-Kunst: das A4 Cabrio. Wie bei BMW 320 Ci Cabrio und Mercedes CLK 200 fanden die Ingenieure Platz für Fondsitze. Und ersparen damit sogar Autoverrückten die Entscheidung zwischen Kindern und Cabrio. Die Ingolstädter gehen gleich mit Oberklasse-Anspruch ran, das demonstriert nicht nur der aktuelle Basismotor, der 2,4-Liter-V6 mit 170 PS.

Auch der Preis: 34.300 Euro kostet dieser Traum vom Fahren – ziemlich nah am BMW. Die Kalkulation für den 170 PS starken 320 Ci: 34.900 Euro. Völlig losgelöst der Mercedes: Für den CLK 200 mit 163 PS starkem Vierzylinder sind 39.208 Euro fällig. Klimaanlage und Lenkradverstellung kosten extra. Zu lange an der Sonne gesessen?

Offenbarung auf Knopfdruck

Doch Cabrio-Fahrer sind genusssüchtige Menschen. Wenn es besser schmeckt, darf es auch mehr kosten. Der CLK dürfte da vor allem bei Klassik-Fans den Appetit anregen: Während das CLK Coupé jetzt nagelneu an den Start geht, muss das Cabrio noch ein Jahr mit der alten C-Klasse-Basis durchhalten. Mit allen Vor- (klassische Linie) und Nachteilen: Ein nur einfach verstellbares Lenkrad gehört heute ebenso wenig auf die Sonnenseite des Autolebens wie unansehnliche Kunststoffe im Cockpit oder ein halbautomatisches Verdeck: Himmelhoch jauchzen geht nur, wenn der Fahrer das Dach vorn entriegelt und nach oben drückt.

Schöne neue Welt im A4, der dagegen hingebungsvoll ausstaffiert wirkt wie eine Schatzkammer. Der Zauberstab der Detailverliebtheit lässt hier einen Chromring glänzen oder dort eine Klappe silikongedämpft zurückgleiten. Das exklusive Armaturenbrett mit den fünf Lüftungsdüsen distanziert sich klar vom Limousinen-Pendant. Der Clou: das vollautomatische Verdeck, das Audi ohne Aufpreis mitgibt. Luxus, gewiss. In einem Nobel-Cabrio aber so unverzichtbar wie die Sahne auf dem Schokoladeneis.

Sonnenstrahlen tasten durch die Wolkendecke? Schnell das Dach auf, zur Not auch mal an der Ampel. Im BMW überlegt man sich das zweimal, wenn beim Kauf nicht 1100 Euro extra bezahlt wurden. In dem Fall startet wie beim Audi auf Knopfdruck das Ballett der Hydraulikzylinder und Elektromotoren. Nach rund 20 Sekunden scheint die Sonne auf vier Plätze, von denen die hinteren wie bei den Konkurrenten eher provisorischen Coupé-Charakter haben.

Im BMW geht es auch vorn relativ knapp zu. Typisch Dreier auch das makellose, etwas unterkühlt wirkende Armaturenbrett. Genauso typisch: die Fahreigenschaften. So leichtfüßig und feinnervig reagiert kaum ein anderes Auto, behände eilt es durch die Kurven. Ohne Dach steigert sich der Fahrspaß zur automobilen Offenbarung, wenn sanft der Wind in die Haare fährt und der Blütenduft mehr an Botanik als an Mechanik denken lässt.

Einmal vier, zweimal sechs Zylinder

Bei seiner Präsentation vor zwei Jahren schien der BMW in seiner Harmonie fast konkurrenzlos. Das war einmal: Genauso handlich, aber komfortabler und in Extremsituationen noch gutmütiger kann der A4 sogar dem mit allen Wassern gewaschenen BMW-Fahrwerk etwas vormachen. Und den Fahrtwind erleben die vorn Sitzenden im A4 nicht störender als eine frische Brise am heißen Sandstrand. Ausgeklügelte Aerodynamik lenkt den Sturm um das Cockpit herum, mit Windschott sogar bei 180 km/h. Mit geschlossenem Verdeck gar erinnern Windgeräusche erst ab 170 km/h daran, dass ein Dach aus Stoff statt Blech die Insassen schützt.

Die Konkurrenten lärmen bei hohem Tempo lauter. Der gute alte Benz kann da nicht mehr mithalten. Nicht nur, weil im offenen Mercedes der Wind Wege findet, an den Haaren zu zausen und am Hemd zu zotteln. Im Vergleich zu den sportlichen Animateuren aus Bayern wirkt er so träge wie ein Urlauber in der Hängematte. Kurven? Wenn es sein muss. Viel lieber rollt er gemütlich geradeaus dem Horizont entgegen. Allerdings etwas weniger gelassen als seine Konkurrenten. BMW und noch mehr der Audi wirken so steif, als seien ihre Schweller mit Zement ausgegossen. Die Stärken des CLK: die komfortabelste Federung, viel Platz vorn und der größte Kofferraum. Wie bei den Konkurrenten passt bei geschlossenem Verdeck deutlich mehr hinten rein. Den Skisack gibt es nur im A4 (Serie) und BMW (120 Euro).

Der Motor des CLK hat einen schweren Stand: Er zieht zwar aus niedrigsten Drehzahlen bullig durch, hängt toll am Gas und dreht prächtig hoch, aber unter Sechszylindern kann ein brummiger Vierzylinder nur verlieren. Erst recht im Verein mit der gelegentlich hakeligen Sechsgangschaltung. Maßstab bleibt der Reihensechser von BMW. Ein technisches Kleinod, das so vibrationsfrei und begeisternd dreht wie kaum ein anderer Motor. Das einzige Defizit des 2,2-Liters: der relativ schwache Durchzug, den eine zu kurze Übersetzung ausbügeln muss. Der 2,4-Liter-V6 im Audi hat mehr Bums untenherum, oben klingt er dafür rauer. Sonst kultiviert er Sechszylinder- Geschmeidigkeit, wie es sich gehört. Dazu gelingt ihm das Kunststück einer noch feineren Schaltung. Nicht nur deshalb fährt der A4 an einen der schönsten Plätze an der Sonne, die es gibt: den oben auf dem Siegertreppchen.

Fazit und Zeugnis

Fazit Audi hat einen Knüller gelandet. Das A4 Cabrio mit der detailverliebten Verarbeitung, der kompletten Ausstattung und der soliden Karosserie setzt Maßstäbe. Sogar bei den Fahreigenschaften verweist es den BMW auf Platz zwei. Der Abstand ist zwar nur knapp, aber dem harmonischen Dreier mit dem seidigen Motor auf Augenhöhe zu begegnen ist schon ein Kunststück. Der CLK fällt dagegen ab. Bei Antrieb, Karosseriesteifigkeit und Ausstattung bietet er am wenigsten. Und das zum höchsten Preis. Aber nächstes Jahr kommt er ja neu.

Punktewertung

Am Audi-Verdeck gibt es nichts zu kritisieren. Die BMW-Kapuze ist serienmäßig nur manuell, die vom CLK generell nur halbautomatisch – Punktabzug.

Technische Daten

Trotz seiner sehr kurzen Übersetzung verbraucht der BMW 320 Ci am wenigsten. Das spricht für die Effizienz des 2,2-Liters mit Doppel-Vanos.

Betriebskosten und Preise

Je älter, desto teurer. Das gilt offenbar nicht nur für Weine: Der CLK liegt rund 5000 Euro vor BMW und Audi. Nächstes Jahr kommt der Nachfolger.