Verkehrsärgernis Nummer eins

Anschlussstelle Hamburg-Horn – der so genannte Horner Kreisel. Hier beginnt die A24 Richtung Berlin – normalerweise. Derzeit zieht sich eine 2,8-Kilometer-Baustelle bis zur Abfahrt HH-Jenfeld. Wegen einer Grundinstandsetzung bis November 2003, steht auf einer großen Bautafel.

Alle vier Fahrspuren drängeln sich deshalb auf der Piste der eigentlichen Gegenrichtung: Pro Tag müssen 44.000 Autofahrer ihr Tempo auf 60 drosseln. Stehen sie im Stau, riskieren sie schon mal einen Seitenblick. Interessehalber. Und stellen verärgert fest: Kaum ein Mensch zu sehen. Warum wird hier nicht malocht? Passiert da überhaupt etwas? Na, wäre ja auch was ganz Neues. Faule Bande!

Das war auch der Eindruck mancher unserer Kollegen, die hier montags bis freitags genervt mitstauen. Zu Recht? Oder trügt die Idylle dieses Paradebeispiels für das Verkehrsärgernis Nummer eins? Das wollten wir genauer wissen, zeichneten zwölf Stunden im Leben dieser Autobahnbaustelle auf.

Zwölf Euro Stundenlohn – brutto

Montag, der 25. August 2003, sechs Uhr morgens: Schichtbeginn für Jürgen Deutschmann, Silas Haas und ihre Fräsmaschine. Der Job auf und neben dem 40-Tonnen-Monstrum mit 610 PS ist eine Tortur: Höllenlärm, mörderische Vibrationen, dichter Staub, üble Teerdämpfe. Der Stundenlohn für die beiden harten Jungs: zwölf Euro. Brutto.

Ihr Arbeitstag dauert bis 18 Uhr. Zwölf Stunden. Pausen? Null. Nach Feierabend muss ihr Diesellok-ähnliches Gerät gereinigt und verladen werden, dann geht es nach Celle. Wo morgen früh um sechs der nächste Auftrag wartet. "An sich nicht schlimm. Wären da nicht einige Autofahrer, die uns als faule Schweine beschimpfen", seufzt Jürgen (51) aus Erfurt. "Neulich habe ich sogar eine Cola-Dose an den Kopf gekriegt."

Wir treffen Polier Ralph Rother, den Vorarbeiter. 150 Kilometer legt er täglich auf der Baustelle zurück. Ein ewiges Hin und Her. Um zu checken: Sind die Fuhrunternehmer, die mit ihren Sattelzügen 18.000 Tonnen ehemaliger Fahrbahn pro Woche wegkarren, pünktlich? Arbeiten alle 20 Arbeiter?

Unten ruht die alte Reichsautobahn

Wenn nicht, gibt's Zoff. "Der Bauzeitplan ist knallhart auf 100 Prozent Leistung kalkuliert. Da können wir uns nicht einen Durchhänger leisten", sagt Ralph. Später erfahren wir, warum: Verzögert sich die Fertigstellung, muss der Bauunternehmer Konventionalstrafe zahlen. Die errechnet die Baubehörde nach dem "volkswirtschaftlichen Wert" der Autobahn. Macht angeblich 20.000 Euro pro Tag.

Mittlerweile läuft der Verkehr jenseits der Leitplanke wieder normal. Seit vier Stunden beobachten wir den Fluss der Blechlawine, sahen auch zeitweisen Stillstand. Aber nicht wegen der Baustelle an sich. Sondern weil neugierige Fahrer neben der lärmenden Fräse bummeln! "Völlig normal", schreit Detlef Thoms.

Der Baggerführer, den wir bei Kilometer 0,2 besuchen, wird sich heute nur fünf Minuten Pause für sein Wurstbrot gönnen: "Mehr ist nicht drin." Warum die Fahrbahn vollständig weggerissen wird? Er zeigt uns die 22 Zentimeter starke Betonschicht unter der Asphalt-Oberfläche: "Hier, die alte Reichsautobahn. Tragfähigkeit erschöpft. Die Behörde befürchtet Brüche. Deshalb der Rundumschlag."

15 Arbeitsschritte bis zum Ziel

Darunter liegt heller Sand. Vor 66 Jahren von der Ostsee hierher gekarrt. Manchmal findet Detlef Bauhelme oder Bierflaschen aus den Dreißigern. Klar, dass die als Andenken mitgehen. "Nicht schnacken ... arbeiten!", ruft Norbert Schwartz.

Okay, dann fragen wir eben ihn: Warum wird auf diesen 2,8 Kilometern nur von 20 Leuten an drei Stellen geschafft? "Ganz einfach", erklärt der Bauleiter: "Die Zu- und Abfahrtswege müssen für die 120 Lkw-Bewegungen pro Tag ständig frei sein. Deshalb können wir immer nur kleine Sektionen beackern. Vom Start der Maßnahmen – dem Einrichten der Umleitung – bis zum Ziel, dem Neubau der Leitplanken, sind 15 völlig verschiedene Arbeitsschritte notwendig. Die technisch nicht miteinander koordinierbar sind und deshalb nacheinander erfolgen müssen."

Klingt plausibel. Und danach, dass drei Monate für diesen enormen Aufwand knapp bemessen sind. Jedenfalls sehen wir unsere A-24-Baustelle – stellvertretend für alle ihrer Art – ab heute mit anderen Augen. Genau wie die Männer, die hier von früh bis spät und ohne Unterbrechung mehr als alles geben. Danke, Jungs. Wir haben verstanden.

Der Autobahn-Lebenslauf

"Eine weitere Straße des Führers ist eröffnet", jubelte das "Oldesloer Wochenblatt" am 14. Mai 1937: Die Autobahn ab Hamburg-Horn war geboren. 1967 kamen die Standstreifen und ein neuer Asphalt-Aufbau dazu. Die Anschlussstelle HH-Jenfeld entstand 1976, von 1994 bis 96 wurde die Kanalisation renoviert. 2002 begann die Grundinstandsetzung, die insgesamt bis 2006 andauert. Kosten: 14,5 Millionen Euro plus sechs Millionen für Lärmschutzanlagen. Weil sich die Verkehrsdichte seit 1980 fast verdoppelt hat und Lkw heute 40 (früher: 38) Tonnen wiegen dürfen, beträgt die Lebenserwartung einer Autobahn nur noch die Hälfte: 15 Jahre.