Herr Wuh lacht. Denn Herr Wuh, 30 Jahre alt, glatte schwarze Haare, kariertes Hemd, Maske unterm Kinn, hat heute früher Feierabend. Heute ist "Kaufland-Tag" ...
Arnstadt in Thüringen, Industriegebiet Erfurter Kreuz. Jeden Morgen um kurz nach acht Uhr kommen die Busse aus den umliegenden Ortschaften, ein paar Hundert Chinesen steigen aus. Die Männer und Frauen tragen Masken, die Augen sind auf ihre Handys gerichtet. Sie gehen zu einer gigantischen Baustelle, die kurz vor der Fertigstellung steht: die Giga-Fabrik des Batteriezellenherstellers CATL aus China; die größte Akku-Produktion Europas.
CATL steht für Contemporary Amperex Technology Limited; es ist der weltweit größte Batterie-Bauer. CATL investiert etwa 1,8 Milliarden Euro in seine erste Giga-Fabrik in Europa und bekommt aus Deutschland nur 7,5 Millionen Euro an staatlichen Subventionen. Die Jahreskapazität liegt zunächst bei acht Gigawattstunden (GWh), das reicht für rund 120000 E-Autos. In ein paar Jahren soll sie bis zu 100 GWh betragen. Ein Milliardenmarkt, ein Milliardengeschäft, von dem auch der Standort Deutschland profitieren soll.
Arbeitsbeginn kurz nach acht Uhr: Chinesische Arbeiter erreichen das Firmengelände von CATL bei Arnstadt.
Bild: Hauke Schrieber / AUTO BILD

Noch in diesem Herbst soll in Thüringen die Produktion modernster Akkuzellen beginnen. Rund 1500 deutsche Arbeitsplätze sollen bis Jahresende besetzt werden. Doch noch sind es bis auf wenige Ausnahmen Chinesen, die vorbei an neun sich mit der Sonne drehenden Solarenergie-Anlagen auf die Baustelle und durch das bereits fertige Tor 1 gehen. Menschen wie Herr Wuh.

Fragen werden von CATL nicht beantwortet

Die Einwohner von Arnstadt "nehmen die chinesischen Fachkräfte natürlich im Alltag wahr", sagt Bürgermeister Frank Spilling (parteilos). Das dürfte leicht untertrieben sein, denn das Stadtbild ist mittlerweile geprägt von den Asiaten, die das Werk aufbauen. Wie viele es sind, wie viel Deutsche schon bei CATL arbeiten und auch sonstige Fragen werden von CATL nicht beantwortet.
Anfragen versanden in China, und wer am Werkstor um Auskunft bittet, der bekommt Frau Paul ans Telefon, die aber gleich warnt: Antworten würden mit der Zentrale in China abgestimmt, und das könne "sehr lange dauern". Auch CATL-Europachef Matthias Zentgraf sei nicht zu sprechen.
Praktikum bei CATL: Studentin Sophie Gao im chinesischen Supermarkt "Le De" in der Fußgängerzone Arnstadts.
Bild: Hauke Schrieber / AUTO BILD

Also schauen wir uns in der schönen Altstadt von Arnstadt um. Fachwerk lieben Chinesen. Und deutsches Essen. In der Kantine, so berichtete der CATL-Europachef gegenüber einem Logistik-Magazin, würden die Deutschen chinesische Gerichte wählen, die Asiaten aber Thüringer Spezialitäten.

Zweiseitige "Vertraulichkeitsanweisung" bei Werksbetritt

Und geschäftstüchtig sind sie auch. Mitten im Zentrum hat gerade ein chinesischer Supermarkt eröffnet. Dort treffen wir Sophie Gao (26), chinesische BMW-Studentin aus Freiburg, die bei CATL ein Praktikum in der Personalabteilung macht. Wie viele Deutsche denn schon im Werk arbeiten? "Kann ich nicht sagen", so Gao. (Natrium-Ionen-Akkus von CATL: Ist das der Durchbruch bei den Akkus für E-Autos?)
Wer das Werk betritt, muss nach AUTO BILD-Informationen eine zweiseitige "Vertraulichkeitsanweisung" unterschreiben. Bei Missachtung nur einer der 18 aufgelisteten Regeln droht CATL mit dem Anwalt.
Wenige Meter weiter berichtet die Besitzerin eines Lebensmittelgeschäfts, dass sie die Verwaltung von "Kattel", so sprechen die Arnstädter die Firma aus, mit ihren Waren versorge: Obst, Bier, Wurst. Eine Bekannte von ihr habe dort in der Kantine gearbeitet, jedoch schnell wieder gekündigt.
Busse bringen die chinesischen Arbeiter morgens zum Werk und holen sie abends wieder ab. Ihre Pensionen sind oft viele Kilometer entfernt.
Bild: Hauke Schrieber / AUTO BILD

Die Arbeitsbedingungen seien ihr zu stressig gewesen. Die Chinesen hätten eine andere Work-Life-Balance. "Die sind halt fleißig." Im Internet findet man Kommentare von weiteren Deutschen, die bei CATL im Werkshochlauf arbeiteten. Nicht wenige – inzwischen Ex-Mitarbeiter – beklagen den hohen Arbeitsdruck.

Speisekarte mittlerweile zweisprachig

Die Besitzerin eines Schreibwarenladens berichtet, die Chinesen seien tägliches Gesprächsthema unter ihren Kunden. Nett und freundlich seien sie, aber eben auch überall. Chinatown in Thüringen.
Und, so sagt es die Frau aus dem Laden: Einige Chinesen, vermutlich Manager, kauften in Arnstadt schon ganze Mehrfamilienhäuser. Die Mieten würden steigen. Das alte Café Waffelstübchen sei längst in chinesischer Hand, die Speisekarte ist mittlerweile tatsächlich zweisprachig.
Mehr als jede dritte Gigawattstunde, die im ersten Halbjahr weltweit in Akkus für E-Autos verbaut wurde, stammt von CATL.
Bild: Mamapost GmbH / AUTO BILD

Um kurz nach 18 Uhr taucht Herr Wuh wieder auf. Er steigt mit seinen Kollegen in einen Reisebus des chinesischen Betreibers CEB aus Frankfurt am Main. Fahrer Yüksel fährt die Arbeiter aus China seit über einem Jahr.
Er sagt: "Es sind schon 4000 Chinesen hier in der Region. Ich habe gehört, 3000 würden noch kommen." Überprüfen lässt sich das nicht. "Gerade letzte Woche kamen wieder 100 neue. Manche bleiben sehr lange. Den dahinten fahre ich seit über einem Jahr in seine Unterkunft."
Und Deutsche? Yüksel lacht. "Die arbeiten hier kaum. Chinesen arbeiten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche." Heute ist zwei Stunden früher Feierabend, denn heute ist "Kaufland-Tag": Die Busse halten vorm Supermarkt, die Chinesen kaufen ein.
Für Herrn Wuh geht es dann 30 Kilometer in die alte Pension "Zum Luchs" mitten im Thüringer Wald. Seit vier Monaten lebe er da, sagt er in gebrochenem Englisch. "Zum" und "Luchs" sind die einzigen deutschen Wörter, die er bisher gelernt hat.