Alles andere als eine dröge Japan-Kopie

In der Geschichte Koreas spielt Japan seit jeher eine bedeutende Rolle. Schließlich war Korea bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter japanischer Herrschaft. Und dennoch hat es die Halbinsel westlich von Japan stets verstanden, sich ihre kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren. Eigenständigkeit sieht man auch an koreanischen Autos, die sich von bloßen Kopien japanischer Massenware hin zu interessanten Fahrzeugen entwickelt haben. Das gilt insbesondere für die Marke Hyundai, zu deutsch "Fortschritt". Die Autosparte des von Chung Ju Yung gegründeten Großkonzerns entstand zwar erst 1967, will aber bis 2010 zu den fünf größten Autoherstellern gehören. Ein ehrgeiziger Plan.

Zweifellos interessant ist der brandneue Hyundai Tucson (sprich: Tjuusn), benannt nach einer Stadt im US-Bundesstaat Arizona. Er zielt in Größe, Konzeption und Motorisierungen unverhohlen auf den Marktführer dieses Segments, den Toyota RAV4.

Und doch ist der Hyundai alles andere als eine dröge Japan-Kopie. Dagegen spricht schon die Linienführung. Ein deutlich längerer Radstand sorgt im Verein mit dem kurzen Hecküberhang für eine gestrecktere Seitenansicht. Der Toyota bietet dafür mehr Offroad- Optik, vor allem durch sein außen montiertes Ersatzrad.

Bedienung und Platzangebot

Den Vorteil der erhöhten Sitzposition bieten beide. So läßt sich das Verkehrsgeschehen wesentlich besser überblicken als in einem herkömmlichen Pkw. Beide geben bei der Bedienung kaum Rätsel auf. Vor allem im Toyota findet man sich sofort zurecht, selbst wenn man beim ersten Mal mit verbundenen Augen einsteigt.

Unterschiede zeigen sich zuerst beim Platzangebot. Der Hyundai bietet deutlich mehr Knieraum im Fond, selbst wenn im Toyota die lobenswerterweise längs verschiebbaren Rücksitze ganz nach hinten gefahren wurden. Auch beim Gepäckraum zeigt der Hyundai mehr Ladelänge. Allerdings nicht mehr Volumen, weil der Kofferraumboden des Tucson satte 20 Zentimeter höher liegt. Das größere Volumen des Toyota läßt sich bei einer Zuladung vor mageren 385 Kilo jedoch nur bei Leichttransporten nutzen. Der Hyundai läßt hier 145 Kilo mehr zu.

Gleichstand herrscht dagegen bei den Motoren. Bei beiden kann man zwischen Benzin- und Dieselmotoren wählen. In diesem Test traten die Turbodieselversionen gegeneinander an. Beide ähneln sich in Konstruktion und Leistung stark. Hier wie dort handelt es sich um verhältnismäßig milde aufgeladene Common-Rail- Direkteinspritzer mit recht guten Manieren, auch im Kaltlauf. Beim Toyota-Motor stört beim Anfahren das subjektiv größere Turboloch, bei der Hyundai-Maschine der brummigere Lauf im Stadtverkehr. Besonders auf Landstraßen und auf der Autobahn gibt sich der Toyota trotz praktisch gleicher Motorleistung stets temperamentvoller. Und hat auch bei den Meßwerten die Nase vorn. Verantwortlich dafür ist in erster Linie das 135 Kilo niedrigere Leergewicht des Toyota. Dies und die sensibler ansprechende Lenkung lassen den RAV4 vor allem auf Landstraßen deutlich handlicher und spritziger wirken.

Steigungen machen beiden Probleme

Der Hyundai fährt dagegen träger um die Kurven und fühlt sich dabei noch schwerer an, als er ohnehin ist. Zu einem unsicheren Kurvenverhalten führt das aber nicht. Auch der Hyundai bleibt stets problemlos beherrschbar. Erfreulich; sein besserer Federungskomfort, vornehmlich auf kurzen Unebenheiten.

Unterschiede finden sich auch beim Allradantrieb. Der Toyota vertraut auf ein Zentraldifferential mit 50:50-Kraftverteilung, der Hyundai-Allradantrieb begünstigt die Vorderräder und aktiviert die Hinterachse über eine Lamellenkupplung nur dann, wenn die Vorderräder durchzudrehen beginnen. Beide nutzen zusätzlich als Achssperrenersatz eine Antriebsschlupfregelung durch Bremseneingriff. Auf der Straße schenken sich die beiden Systeme nicht viel. Selbst bei sehr rutschigem Untergrund kommt man stets gut voran.

Auf schwierigeren Waldwegen und vor allem an stärkeren Steigungen bekommt man bei beiden Probleme. Beim Toyota funktioniert zwar auch dann das Allradsystem mit seiner Schlupfregelung gut, aber die Bodenfreiheit ist noch geringer als beim Hyundai. Beim Koreaner weiß der Fahrer nicht, was er machen soll. Soll er die Schlupfregelung eingeschaltet lassen, die gleichzeitig den Motor elektronisch brutal herunterwürgt? Oder dieses System per Taste ausschalten? Dann behält der Motor zwar seine Kraft, aber die Räder drehen auf Buckeln haltlos durch, der Hyundai bleibt hängen. Meist muß man es einfach probieren.

Technische Daten und Testwerte

Beide verzögern gut, wenn aus Tempo 100 erstmals voll gebremst wird. Beim Toyota läßt jedoch die Bremswirkung nach dem fünften Versuch etwas nach. Beide bremsen mit vier Scheibenbremsen, serienmäßigem ABS und Bremsassistent. Der Toyota hat zudem serienmäßig die Fahrhilfe ESP, der Hyundai bekommt sie ab Dezember 2004 – als Extra gegen Aufpreis.

Kosten und Ausstattung

Satte 3500 Euro beträgt der Preisunterschied zwischen Hyundai und Toyota – ausstattungsbereinigt. Das ist viel Geld. Hinzu kommt, daß der Hyundai in günstigere Versicherungsklassen eingestuft ist. Macht noch einmal zwölf Prozent Ersparnis. Dafür fehlen beim Hyundai leider einige gefragte Aufpreisextras, die es ab Werk weder für Geld noch gute Worte gibt: Tempomat, Bildschirm-Navigation und ein Schiebedach.

Doch auch beim Toyota fehlt ein wichtiges Extra: das Automatikgetriebe. Dabei könnte gerade der Toyota eine Automatik gut brauchen, denn sie würde besonders beim Anfahren mit Anhänger am Berg und im Gelände die stinkende Kupplung des Schaltwagens vermeiden. Rußfilter für die beiden ungereinigten Turbodieselmotoren sind bei beiden auf absehbare Zeit nicht vorgesehen. Auch bei Toyota kommt diese Technik wohl erst in der nächsten Generation des RAV4, also 2006.

Fazit, Endwertung und Zeugnis

Fazit Ein knapper Sieg des Hyundai. Beide haben Vor- und Nachteile, die sich bei der Punktevergabe annähernd ausgleichen. So verliert der Toyota bei Zuladung und Rücksitzraum wichtige Zähler, der Hyundai wegen seiner trägeren Lenkung und den schlechteren Fahrleistungen. Die entscheidenden Punkte holt der Tucson aber im Kostenkapitel. Ein Preisunterschied von (ausstattungsbereinigt) rund 3500 Euro spricht eine klare Sprache in einer Zeit, in der das Geld nicht mehr so locker sitzt. Dazu kommen weitere Kostenvorteile bei der Versicherung und das großzügigere Garantiepaket. Damit wird der Hyundai Tucson fast zwangsläufig ein Erfolg.