"Mercedes-Strategie hat mir arg zugesetzt"

AUTO BILD motorsport: Sie gelten als eher öffentlichkeitsscheu. Die Essen Motor Show war Ihr erster großer Auftritt nach dem DTM-Titelgewinn. Nerven Sie solche PR-Termine? Laurent Aiello: Nein – ganz und gar nicht. Da werde ich oft missverstanden. Ich mag es, hier in Essen mit den DTM-Fans mal länger sprechen zu können. Im Fahrerlager geht das oft nicht. Wenn wir zum Beispiel Probleme am Auto haben, dann steht mir der Sinn nicht nach Interviews und Autogrammeschreiben. Ich will deswegen meine Arbeit nicht vernachlässigen.

Viele Fans schwärmen immer noch vom DTM-Rennen am Norisring, bei dem Sie Bernd Schneider in der letzten Kurve noch von Platz eins verdrängt haben. Wie oft haben Sie dieses Rennen danach noch auf Video angeschaut? Nur ein- oder zweimal in der Woche danach, seitdem überhaupt nicht mehr. Klar war es ein sehr gutes Rennen, und ich habe viel gelernt. Häufiger habe ich mir jedoch das Rennen auf dem A1-Ring angesehen. Das war ein sehr hartes Rennen, über das ich nicht gerade glücklich war. Ich habe dort meine Chance verspielt, schon in Österreich Meister zu werden. Unter normalen Umständen hätte ich wohl schneller fahren können, doch ich musste sehr strategisch vorgehen, wollte kein Risiko mehr eingehen.

Wie erklären Sie sich, dass Ihnen nach der Zieldurchfahrt die Sicherung durchgebrannt ist und Sie Mercedes-Pilot Marcel Fässler touchiert haben? Ich verstehe gar nicht, dass die Presse damals so ein großes Thema daraus gemacht hat. Es gab doch bei diesem Rennen wahrlich genug zu schreiben. Ich war ganz bestimmt nicht der böse Bube. Die Mercedes-Strategie hat mir arg zugesetzt. Fässler hat mich dann in der letzten Runde noch gerammt und mich beinahe von der Strecke geschoben. Nach der Ziellinie bin ich dann ganz bewusst neben ihn gefahren und wollte ihm so zu verstehen geben, dass ich sehr ärgerlich darüber war, dass er versucht hat, mich von der Strecke zu rammen. Dabei habe ich seinen Spiegel und leicht seine Tür berührt.

"Titelgewinn dank Zusammenhalt bei Abt"

Was war für Sie der schwierigste Moment in der Saison 2002? Den hatte ich auch beim Rennen auf dem A1-Ring. Als es zu regnen anfing, war es für mich eine sehr schwierige Entscheidung, wie viel Risiko ich eingehen sollte. Ich hatte Vorsprung und entschied mich, mein Tempo stark zu reduzieren.

Was dann dazu geführt hat, dass Bernd Schneider Sie noch eingeholt hat. Haben Sie in diesem Moment oder zu einem anderen Zeitpunkt mal am Titelgewinn gezweifelt? Ja und nein. Im Motorsport kann man den Verlauf eines Rennens nie voraussagen. Ich hatte zwar in der Tabelle einen großen Vorsprung, aber man kann immer technische Probleme bekommen oder von der Piste geschubst werden. Aber gleichzeitig hatte ich großes Vertrauen in mein Team und mein Auto. Deshalb gab es eigentlich nie Grund zur Resignation. Selbst in Zandvoort nicht, als ich nach dem Zeittraining disqualifiziert wurde und von der letzten Position starten musste. Ich habe mir gesagt, jetzt musst du einfach pushen und nach vorne fahren, ein gutes Ergebnis rausholen. Das alles hat mich noch mehr motiviert.

Sie haben Bernd Schneider nicht nur als Meister, sondern natürlich auch als Favorit für die kommende Saison abgelöst. Wie gehen Sie mit diesem zusätzlichen Druck um? In jedem Fall ist es härter, einen Titel zu verteidigen, als ihn zum ersten Mal zu gewinnen. Jeder erwartet etwas von dir, jeder will dich schlagen. Doch das spornt mich umso mehr an. Bisher habe ich es noch nie geschafft, einen Titel zu behalten. 1998 war ich mit Peugeot nahe dran. Wir haben doppelt so hart gearbeitet wie im Meisterjahr 1997. Umso größer war die Enttäuschung, dass wir es nicht gepackt haben.

2003 fahren Sie im vierten Jahr hintereinander für Abt. Was ist für Sie das Besondere an diesem Team? Das Abt-Team ist für mich zu einer Art zweiten Familie geworden. Zunächst brauche ich etwa ein Jahr, um mich an ein neues Team zu gewöhnen. Man muss sich einfach kennen lernen, das Team muss verstehen, was ich brauche, um gut arbeiten zu können. Und ich muss lernen, wie ein Team arbeitet. Jeder im Abt-Team gibt mir heute die Unterstützung, die ich brauche. Dieser Zusammenhalt hat wesentlich zum Titelgewinn beigetragen.

"Winkelhock ist mein Lieblingsfahrer"

Und wie ist Ihr Verhältnis zu den Fahrern anderer Teams? Viele Fahrer sind mittlerweile seit drei Jahren in der DTM, andere kenne ich sogar noch länger aus anderen Rennserien. Ich denke, einige Piloten sind ohne Helm völlig andere Menschen als auf der Strecke. Aber damit muss man halt umgehen können. Joachim Winkelhock ist, abgesehen von meinen Teamkollegen, mein Lieblingsfahrer. Sowohl von der menschlichen Seite als auch auf der Strecke. Ich habe großen Respekt vor ihm. Vor allem bei gemeinsamen Duellen in der STW habe ich ihn als ungeheuer schnellen und dabei auch immer fairen Sportler kennen und schätzen gelernt.

Fehlt Ihnen etwas, wenn Sie in der Winterpause nicht im Cockpit eines Rennautos sitzen können? Noch fehlt mir das Fahren nicht! Ich brauche und genieße die Pause. Aber in einigen Wochen wird es wohl wieder in den Fingern jucken.

Wie lange brauchen Sie nach einer solchen Pause, um wieder ein Gefühl für das Limit zu bekommen? Ich bin immer auf Anhieb schnell, aber es ist nicht möglich, auf Anhieb das gleiche Gefühl für das Auto zu haben wie am Ende einer Saison.

Wie wichtig sind in dem Zusammenhang die Tests vor der Saison? Sehr wichtig. Schließlich kann man im Motorsport lange nicht so intensiv trainieren wie in anderen Sportarten. Wenn ich mit Freunden von mir spreche, die selbst Sportler sind, fragen die mich immer: Wie kann man nur mit so wenig Training auskommen? Denen antworte ich immer, dass ich natürlich gern mehr fahren würde. Aber jeder Testtag kostet ganz einfach sehr, sehr viel Geld.

Wissen Sie schon, wie Sie Weihnachten und Silvester verbringen werden? Weihnachten werde ich mit meiner Familie zum ersten Mal in meinem Haus in Cap Ferret am Atlantik verbringen. Über Silvester dreht das französische Fernsehen einen Film. Zehn Sportchampions haben die Partnerschaft für je ein Nachwuchstalent übernommen. Ich kümmere mich um Renaud Derlot aus der französischen Formel Renault. Wir sind eine Woche zusammen und treiben Sport.