Lebensgefährliche Einsätze

Meldungen wie "Im Einsatz verunfallt" kann Klaus Sage (Name von der Redaktion geändert) nur schwer ertragen. Der Polizeiobermeister vom Revier in Frankfurt wurde bei einem Notrufeinsatz lebensgefährlich verletzt. Sage war zu einem Wohnungbrand ausgerückt - Fahrt mit Sonderrechten. Blaulicht und Martinshorn an, los! An einer Kreuzung war Schluss. Der Polizei-Opel rammte frontal eine Ampel, weil er einem Privatwagen ausweichen musste.

Alltag bei Polizei, Feuerwehr oder Notärzten: Rund zehnmal täglich verunglückt in Deutschland ein Rettungs- oder Notarztwagen im Einsatz. Drei- bis viermal so oft wie normale Autos. Offizielle Zahlen über Polizeiunfälle gibt es nicht, Unterschiede zu den Rettungskräften dürfte es aber wohl kaum geben. Denn bei Blaulichtfahrten wird es im Schnitt alle 20 Sekunden eng: Überholen mit Gegenverkehr, rote Ampeln, Fahren gegen Einbahnstraßen. "Wir sind zwar geübt und fahren konzentriert, aber der Stress ist höllisch", so ein Beamter.

Immer noch sitzen in Rettungswagen Zivis ohne Fahrausbildung für Notfälle, die nicht kühl bleiben, wenn es heiß hergeht. Polizisten dagegen trainieren in Fahrkursen, im Notfall nicht leichtsinnig zu reagieren. Peter Nötzel, Polizist aus Essen: "Gewagte Manöver bringen höchstens ein, zwei Sekunden. Das Risiko lohnt nicht."

Falsche Reaktionen

Größtes Problem beim Einsatz: die anderen Verkehrsteilnehmer. Einige hören die Warnsignale nicht, weil sie telefonieren oder sich mit zu lauter Musik ablenken. Weit schlimmer aber: Viele wissen nicht, was sie tun müssen, wenn die Polizei mit Tatütata kommt. Von 100 Fahrschülern lernen nur 40 den Grundsatz "Bei Blaulicht Straße räumen!", 17 kennen ihn gar nicht. Folge: falsche Reaktionen, Unfälle. Dabei ist es ganz einfach: Mit Blaulicht und Martinshorn darf die Polizei alles, die anderen auf der Straße müssen alles - beide Seiten aber vorsichtig . Der normale Autofahrer muss für die Einsatzwagen Platz machen, egal ob im Kuhdorf oder auf der sechsspurigen Autobahn. Doch wie geht es richtig? Voll in die Eisen zu steigen ist gefährlich und sinnlos. Denn das stehende Auto versperrt die Rettungsgasse.

Deshalb bei Einsatzsignalen: langsamer fahren, Fahrtrichtung des Einsatzwagens erkunden, Warnblinker setzen, an den Fahrbahnrand rollen, anhalten. Ewig muss dort niemand warten. Sind alle Rettungs- oder Polizeifahrzeuge durch, geht es zurück in die alte Spur - immer der Reihe nach. Kommt später ein weiterer Einsatzwagen, muss wieder Platz gemacht werden. Schlaumeier, die direkt nach dem Blaulichtfahrer durch die Gasse preschen, riskieren viel. Sie können wegen Straßenverkehrsgefährdung den Führerschein verlieren. Im Extremfall endet die Fahrt im Gefängnis. Strafmaß: bis zu fünf Jahre. Glimpflicher kommt Otto Normalverbraucher davon, der mit Blaulicht Polizei spielt: Nur 40 Mark Bußgeld zahlt er an seine echten "Kollegen" (§38 StVO), genauso viel wie ein Polizist, der mit Blaulicht Brötchen holt.

Polizeiobermeister Klaus Sage war im Einsatz als es krachte. Aus der Narkose erwacht, erfuhr er: Sein Einsatz war überflüssig, der Anruf ein Fehlalarm. Am Telefon war eine geistig verwirrte Rentnerin.

Bahn frei - aber vorsichtig

Bei Notfällen oder dringenden Einsätzen sind Polizei und Feuerwehr von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) befreit. Mit Blaulicht und Martinshorn dürfen sie rote Ampeln überfahren, Einbahnstraßen verkehrt herum benutzen oder lange Staus auf der Gegenfahrbahn überholen. Das gilt auch für Fahrzeuge des Rettungsdienstes, wenn es um Leben oder Gesundheit eines Menschen geht (§ 35 StVO).

Dies ist jedoch kein Freibrief für Auto-Rambos. Im Klartext: Bei Unfällen mit Einsatzfahrzeugen hat der Einsatzfahrer nur bedingt bessere Karten, denn alle Manöver müssen sehr vorsichtig gefahren werden, der Beamte muss immer mit überraschenden Reaktionen der übrigen Autofahrer rechnen.

Für alle anderen Verkehrsteilnehmer, also auch Radfahrer und Fußgänger, bedeutet blaues Blinklicht zusammen mit dem Martinshorn: "Sofort freie Bahn schaffen!" (§38 StVO). Freie Bahn heißt: Vorsichtig eine Rettungsgasse schaffen, in der Stadt auf Verkehrsinseln, Gehwege oder kurz in Einbahnstraßen ausweichen. Wer zum Ausweichen bei Rot vorsichtig etwas auf die Kreuzung fährt und geblitzt wird, bleibt unbestraft. Ein Bußgeld gibt es nicht. Es gilt: Bahn frei um (fast) jeden Preis.