Hightech-Spinnerei mit EU-Segen

Unter dem einheitlichen europäischen Notruf "E-112" sollen künftig alle Neuwagen bei einem Unfall automatisch Alarm bei der nächstgelegenen Rettungszentrale auslösen. Das zumindest wollen die Europäische Kommission und einige Industrievertreter. Sie verständigten sich auf einen Aktionsplan, nach dem von 2009 an alle Neufahrzeuge in Europa mit einem einheitlichen Notrufsystem, genannt E-Call, ausgestattet werden sollen.

"Mit dieser Technik kann Ihnen Ihr Auto das Leben retten", warb die für Informationsgesellschaft zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding. Rund 50.000 Menschen sterben jährlich laut EU-Statistik auf Europas Straßen. Rund 2000, errechneten Experten der Behörde, könnten mit E-Call noch am Leben sein. So soll das neue System funktionieren: Bei einem Unfall aktiviert sich E-Call, das mit einem Satelliten-Navigationssystem ausgestattet ist, und stellt eine Verbindung mit der nächstgelegenen Rettungszentrale her. Die Unfallbeteiligten können, sollten sie dazu in der Lage sein, selbst mit der Zentrale sprechen. Zugleich gibt E-Call den genauen Standort der Fahrzeuge an die Zentrale. So wird der Einsatz der Rettungsdienste beschleunigt.

Der Aktionsplan, der nicht bindend ist, sieht vor, daß bis Ende des laufenden Jahres die Details für das E-Call-System ausgearbeitet werden. Für 2006 sind Feldtests geplant, in den Jahren 2007 und 2008 sollen die Notrufzentralen in ganz Europa auf das neue System umgerüstet werden, 2009 soll es starten. Zu den Kosten will sich die Kommission nicht äußern. Verbände schätzen, daß die Ausstattung der Fahrzeuge mit den E-Call-Geräten bei 500 bis 1000 Euro je Neuwagen liegen werde.

Verbände bemängeln irrwitzige Kosten

Die gleichwohl größeren Kosten für die Umrüstung der Notrufzentralen in ganz Europa könnten nach Schätzungen des ADAC zwischen 200 und 800 Millionen Euro liegen. In Deutschland müßte die Umrüstung von den Ländern getragen werden, da diese für Katastrophenschutz zuständig sind.

Bei den Experten stößt E-Call auf Skepsis: "Wir begrüßen jedes System, das hilft, Menschen in Not aufzufinden", sagt Peter Hemschik vom ADAC in München. "Allerdings muß das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmen." Und da sieht der Automobilclub noch viele offene Fragen. So sei zu klären, wie der Notruf ausgelöst werde – ob durch Aktivierung des Airbags oder durch den Grad der Erschütterung. Außerdem gibt der ADAC-Sprecher zu bedenken, daß die Ausrüstung der Fahrzeuge mit E-Call ein jahrelanger Prozeß sei. In Deutschland kommen pro Jahr auf 45 Millionen neu zugelassene Pkw nur drei bis 3,5 Millionen Neuwagen.

Ein Problem mit dem Datenschutz sieht der ADAC nicht, da E-Call nur im Notfall aktiviert werde. Auch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber betrachtet den Aktionsplan mit einigem Mißtrauen. Die Vereinbarung zwischen Kommission und Industrie sei zwar nicht rechtlich bindend, doch schaffe sie einen "enormen moralischen Druck auf die einzelnen Mitgliedstaaten", an der Initiative mitzumachen.