'Rosso Otto Tschi’, das Herzblut von Alfa

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist das Auto. Zur schlechten kommen wir später. Der Motor klingt giftig, böse, er ist laut – ganz die alte italienische Sportwagen-Schule. Neu ist: Selbst großgewachsene Nordeuropäer finden eine ideale Sitzposition. Lenkrad, Pedale, Schalthebel, alles paßt wie maßgefertigt. Die Schaltwege sind kurz und präzise. Der nur eine Handbreit kurze Schalthebel braucht allerdings Kraft – das Sechsganggetriebe sitzt an der Hinterachse. Der 450 PS starke Achtzylinder hat mit dem nur 1400 Kilo leichten Coupé keine Last – ein Leistungsgewicht von etwas mehr als drei Kilo pro PS läßt einiges erwarten. Dank Transaxle-Bauweise ist das Auto ideal ausbalanciert, die Gewichtsverteilung liegt bei exakt 50 Prozent vorn und hinten.

Alfa Romeo 8C Competizione. Eine Studie, die nicht nur den Alfisti die Tränen in die Augen treibt und bei der Präsentation auf der IAA in Frankfurt 2003 diverse Fans flugs mit Blanko-Schecks wedeln ließ. 8C, auf italienisch "otto tschi", steht für acht Zylinder. Unter der Haube steckt der 4,2-Liter-V8 aus dem Maserati-Coupé. Was Competizione heißt, ist dagegen eindeutig.

Ein unglaubliches Auto, es beginnt schon mit der Farbe. Ein tiefes, schimmerndes Rot, das die Rundungen und Konturen hervorhebt und je nach Lichteinfall von Silber bis Tiefrot wechselt. Es ist natürlich kein normales Rot aus dem Alfa-Programm. Es besteht aus sieben Schichten Klarlack mit beigemengten Pigmenten von Rot und Silber, nur so konnten die Tiefe und der Glanz erzeugt werden. Chefdesigner Wolfgang Egger bringt es auf den Punkt: "Es heißt ,Rosso Otto Tschi’, aber es ist das Herzblut von Alfa Romeo."

Basis ist der Nuvola, eine Studie von 1996

Egger hat das Auto entwickelt. Wie alle in der Entwicklung und im Design von Alfa Romeo Beschäftigten hat der gebürtige Oberstdorfer Egger den Alfa-Virus. Er kennt und lebt die Alfa-Historie. Deshalb kehrte er reumütig nach einem kurzen Intermezzo bei Seat zu Alfa zurück. Zur Erklärung: Während damals alle Welt den Design-Guru Walter de Silva lobte, war es Egger, der die Konzeption für den Alfa 156 zu Papier brachte, den 166 zeichnete und – das ist für den Competizione wichtig – im Jahr 1996 den babyblauen Nuvola auf die Räder stellte.

Der Nuvola ist die Basis für den Competizione. Dieser hat eine bewegte Vorgeschichte. Während Eggers Diaspora in Spanien entwickelte der damalige Design-Chef Andreas Zapatinas aus den Wurzeln des Nuvola ein Auto mit dem Namen Sportiva Evoluta, einen Dreisitzer mit hinten quer eingebautem Einzelsitz. Doch während der mühsamen Entscheidungsfindung in Turin, ob das Auto tatsächlich auf die Räder gestellt werden sollte, präsentierte BMW den Concept X – mit eben dieser Sitzanordnung. Der Evoluta wurde gestrichen, ein 2+2sitziges Coupé angedacht. In dieser Phase erhielt das Centro Stile von Alfa Romeo seine Eigenständigkeit zurück, verließ Zapatinas Alfa, und Egger kehrte zurück. Er nutzte die neuen Freiräume. Aus dem Viersitzer wurde unter seiner Leitung ein kleines, kompaktes Sportgerät, das sehr viel besser zum Image von Alfa paßt.

Ein grundlegendes Problem stellte die Motorisierung dar. Der aufgeladene Sechszylinder, wie er noch im Nuvola arbeitete, war Egger nicht zukunftsweisend genug. Der alte 3,5-Liter-Zehnzylinder, der bereits Mitte der 80er Jahre für eine nie stattfindende Renn-Formel entwickelt wurde, lieferte zwar die gewünschten 400 und mehr PS. Es wäre aber zu aufwendig und damit zu teuer gewesen, ihn an die Abgas– und Geräuschbestimmungen anzupassen. Was zwingend hätte passieren müssen: Egger wollte von Anfang an ein zulassungsfähiges und produktionsreifes Auto bauen.

Starker V8 von Maserati – plus Kompressor

Die Lösung bot Maserati: Einen wunderbaren Achtzylinder, dem per Kompressor noch 50 PS mehr entlockt wurden und der komplett mit Getriebe und Fahrwerk aus dem Regal genommen werden konnte. Acht Zylinder paßten prima, sowohl technisch als auch bei der Namensfindung: 8C hießen die berühmten Alfa-Achtzylinder, die in den 30er und 40er Jahren bei den Rennen in Le Mans, der Targa Florio und der Mille Miglia dominierten. Einer der berühmtesten Fahrer war Tazio Nuvolari, der wiederum der Namensgeber des Nuvola war. Egger kennt sich aus in der Alfa-Geschichte. Die Form des Competizione nimmt Design-Elemente von Ikonen wie Tipo 33, Giulia TZ und TZ 2 auf. Während der Design-Phase stand stets ein TZ 2 in Eggers Atelier, der Meister läßt sich gern aus der Geschichte inspirieren.

Die Technik allerdings ist modern. Einen Gitterrohrrahmen aus leichtem, hochfestem Stahl steuern Vaccari & Bossi bei. Dort werden ebenfalls die Rahmen für den Lamborghini Murciélago gebaut. Die Kohlefaser-Karosse montiert I.D.E.A., dort wird das Auto auch komplettiert. Für die Innenraum-Dekoration wurde Schedoni gewonnen, die üblicherweise die Ferrari-Modelle ausstatten. Die Abläufe lassen die Fertigung einer Kleinserie zu.

Endgültige Fahrleistungen sind nicht definiert, der 8C nicht homologiert. Bei Abstimmungsfahrten ist das Auto bereits in "weniger als 4,5 Sekunden" auf 100 km/h gegangen und hat die 300-km/h-Marke "deutlich" überschritten. Man glaubt es aufs Wort. Derzeit wird ein zweiter 8C aufgebaut – ein Spider für den Concours d’Elegance in Pebble Beach. Image-Pflege, Alfa will zurück auf den US-Markt.

Technische Daten Alfa 8C Competizione

Und nun die schlechte Nachricht. Der 8C wird nicht gebaut. Erst mal nicht. Bei einem errechneten Verkaufspreis von 125.000 Euro wären die Stückzahlen zu gering, als daß sich das Auto rechnen würde. Alfa kann sich zur Zeit keine weiteren Verlustbringer leisten, die Erneuerung der Modell-Palette hat absolute Priorität. Aber: Erfahrungsgemäß ändern sich bei Alfa die Dinge schnell ...

Technische Daten: V8-Front-Mittelmotor, längs eingebaut • vier obenliegende Nockenwellen • vier Ventile je Zylinder • Bohrung x Hub 92,0 x 79,8 mm • Hubraum 4244 cm³ • Leistung 331 kW (450 PS) bei 7000/min • max. Drehmoment 450 Nm bei 4500/min • Hinterradantrieb • manuelles Sechsganggetriebe • Differentialsperre 25 Prozent • Traktionskontrolle, ESP • rundum doppelte Dreieckquerlenker • Gitterrohrrahmen • Kohlefaser-Karosserie • rundum belüftete und gelochte Scheibenbremsen • Reifen 245/ ZR 20 vorn, 275/35 ZR 20 hinten Räder 8,5 J x 20 vorn, 10J x 20 hinten • Länge/Breite/Höhe 4280/1900/1250 mm • Radstand 2595 mm Leergewicht 1400 kg • Tankinhalt 90 l • Beschleunigung 0–100 km/h 4,5 s • Höchstgeschwindigkeit mehr als 300 km/h • Wert 1.500.000 Euro

Von

Harald Prüssmann