Schumis Fahrstil verrät Lust am Limit

Da fährt er. Es sieht aus wie immer. Schumi fegt die 800 Meter lange Gerade runter, tippt die Bremse an, schaltet zurück, lenkt ein und hinterläßt ein Wölkchen feinen Karbonstaubs vom Bremsmanöver. Dann steht er schon wieder voll auf dem Gaspedal, schaltet bellend zweimal runter, verschwindet in einer Senke und windet sich mit seinem Ferrari durch eine Serpentine. Auch nach fünf WM-Titeln in Folge, sieben insgesamt, verrät sein Fahrstil weiter echte Lust am Limit.

Valencia am 22. Februar: Michael Schumacher bei der Arbeit. Und offenbar in seinem Element. Der 36jährige Ferrari-Pilot dreht an diesem Tag auf dem Circuito Ricardo Tormo 142 Runden (568,71 Kilometer). Die 63 Zuschauer auf den Tribünen verfolgen ihn bibbernd bei drei Grad im eisigen Wind.

Reifentests stehen auf der Agenda. Das bedeutet: Schumi läßt seinem Renner einen Satz Bridgestone-Walzen nach dem anderen aufziehen. Es gilt herauszufinden, welche Mischung am besten und längsten haftet. Seit Mitte Januar macht das 50 Mann starke Testteam der Scuderia fast nichts anderes. Ein Job, der alle Aufmerksamkeit verlangt, "denn die Gegner sehen momentan etwas stärker aus als wir". Sagt Schumi. Und: "Vor allem Renault und McLaren-Mercedes." Dieser Test hier, der letzte bei Trockenheit, soll die Wende bringen ...

"Back on TC and then a clear start, please!"

Der Rekord-Champ biegt jetzt von der Piste in die Boxengasse ein und läßt seinen vor Hitze knisternden Renner fauchend ausrollen. Sofort schieben vier Mann ihn rückwärts in die Garage. Der Kerpener spricht dabei schon seine Fahreindrücke ins Helm-Mikro. Sein Renningenieur Chris Dyer schreibt kopfschüttelnd den Zettel auf seinem Klemmbrett halbvoll. Derweil setzen zehn Mechaniker die Schlagschrauber an, schieben Kühlaggregate vor die Seitenschächte, klemmen Heizaggregate unter die Bremssättel und legen neue Gummis bereit. "Don Michele" stemmt sich aus dem Sitz hoch, schlüpft in die Thermojacke. Dann senkt sich ratternd das Rolltor. Neugierige Blicke müssen draußen bleiben. Schumi verläßt durch die Hintertür die Box, rennt einem Fan in die Arme, gibt im Vorbeitraben ein Autogramm und ist verschwunden im Motorhome.

Bereits Punkt neun Uhr hatte er im Auto gesessen – wie immer. Jetzt ist es 10.30 Uhr, und nach fünf Minuten Pause, die gerade für einen Schluck heißen Tee reichen, brüllt sein V10 schon wieder mahnend zum Einsatz. Schumi flitzt zurück in die Box, schlüpft in den Wagen, der perfekt wie ein Designerschuh sitzt, und los. Er hämmert vier Runden auf den Asphalt, wird eine glatte Sekunde schneller (1.12,720 Minuten) und erscheint oben an der Boxeneinfahrt. Dyer, ein Australier, befiehlt schneidend über Funk: "Back on TC and then a clear start, please!"

Übersetzt heißt das: "Traktionskontrolle wieder einschalten und dann einen sauberen Start machen!" So wird die Zeit genutzt, um neben den Reifen noch andere Details zu überprüfen wie das Beschleunigungsvermögen. Kaum wieder in der Box, beginnt das gleiche Rede-Antwort-Notizen-Spiel.

Ferraris V10 klingt fett, satt, einfach gesund

Der Rhythmus, der hier an den Tag gelegt wird, ist neu. Erst 20 Runden, dann vier. Noch mal vier, wieder 20, später sogar noch mehr. Da wird ein 2005er GP simuliert. Das Schema des dreitägigen Australien-GP wird in Valencia an einem Tag durchgepeitscht. Der reicht kaum aus. Früher war nachmittags um vier Uhr die Rennsimulation durch, jetzt nach fünf.

Schon schrubbt Schumi seine nächsten Kilometer ab. Während die BMW-Maschine im Williams drüben schon 200 Meter vorm Ende der Start-Ziel-Geraden hörbar abriegelt, um Motorschäden vorzubeugen, dreht Ferraris V10 hoch bis in die höchsten Töne. Er klingt fett, satt, einfach gesund. Schumi sitzt davor tief im Cockpit; deutlich tiefer als Bruder Ralf im Toyota, dessen Helm sich bremsend gegen den Fahrtwind stemmt. Die beiden begegnen sich nur auf der Bahn, sonst geht jeder F1-Schumacher seinen Weg.

Michael Schumacher hat seine nächste Ladung Meilen gesammelt und steht wieder an seinem Platz. Aber nun berichtet er mit sichtlich strapazierter Geduld aus dem Schalensitz. Ingenieur Dyer schüttelt wieder den Kopf. Heftig, immer wieder. Schumi rapportiert weiter, nun mit deutlich geweiteten Augen, eindringlicher. Offenbar hat er Mühe, seinen wichtigsten Mann vollends davon zu überzeugen, was er beim Fahren genau empfindet. Dyer gestikuliert heftig zurück, mit dem Finger Richtung Fahrer tippend.

Schließlich steigt Michael Schumacher aus und nimmt den Helm ab. Hochspannung liegt in der lauen ostspanischen Luft. Doch er wirkt ruhig. Aber: Dieses Auto hat ein echtes Problem! Mitten im Longrun, wie sie den Dauertest in der Szene nennen, sind die Schumi-Rundenzeiten schlechter und schlechter geworden.

Ingenieure und Techniker umwieseln Schumi

Dieses Phänomen trat schon vorher auf, und niemand bei Ferrari kann es sich erklären. Womöglich paßt die neue Aerodynamik nicht zum alten Auto, mit dem das Weltmeister- Team in die Saison starten wird. Die Balance des F2004-M schwindet mit nachlassenden Reifen und leerer werdendem Tank. Im Durchschnitt fehlt derzeit eine halbe Sekunde pro Runde auf die Konkurrenz. Das ist bedenklich. Bei Ferrari ist die Unsicherheit greifbar.

Rund 20 Ingenieure und Techniker umwieseln Schumi und seinen Wagen. Nebenan kümmern sich gerade mal fünf um Barrichello. Ruhe kehrt ein, als ein lässiger, schlaksiger Künstlertyp die Bühne betritt; Schumi aufmerksam zuhört, nickt, lauscht, nickt: Luigi Mazzola. Das ist Ferraris Testchef. Sein Auftritt wirkt. Man verteilt sich fürs erste.

Bis Mittag hat Ferraris Nummer eins gut 75 Runden absolviert. Streß pur. Wenn er zur Toilette muß, flitzt er im Laufschritt. Ein Fotograf hetzt knipsend hinterher. Sein Verfolgungs-Rennen wirkt lächerlich.

Gegen 12 Uhr verbessert Schumi seine Rundenzeit schlagartig um fast zwei Sekunden. Der Echttest für die Qualifikationsrunden. Im nächsten Turn fällt er mehr als drei Sekunden ab. Wieder Kopfschütteln. Bridgestone-Chef Hirohide Hamashima steht wortlos mitten im Getümmel, wie versteinert. Er macht keinen gesunden Eindruck. Schumi dagegen wirkt konzentriert. Um ihn herum Spannung. Wieder kommt Testboß Mazzola aus seiner Kommandozentrale in die Box und muß die Stimmung beruhigen.

Um 12.59 brettert Schumi ins Kiesbett. "Der Wind", so Ferraris Statement, "trug ihn hinaus." Kann sein, er bläst wirklich massiv aus Südwest. Ein Schlepper rückt aus.

Schweinehund und Schoßhündchen

Siesta: Essen (Salat, Pasta, Eiscreme). Kurz nach 14 Uhr tritt Schumi etwas verknittert und augenreibend aus dem Teambus. Er hat die spezielle Gabe, jederzeit und überall auf Kommando schlafen zu können. Jetzt hängt ihm das kleine Nickerchen noch im Gesicht. Wortlos huscht er vorbei zur Box. Im "Zeit"-Interview hat er gestanden: "Testtage können ganz schön zäh sein, wenn es mit dem Auto nicht vorangeht. Ich habe natürlich auch einen inneren Schweinehund. Aber ich achte darauf, daß er sich nicht allzu negativ auswirkt."

Und siehe da: Als er nach den nächsten Runden zurückkehrt, lacht er fast schon wieder. Die über dem Team liegende Unruhe löst sich urplötzlich auf. Schumi ist im Nu aus dem Auto und ab zum Fitneßraum von Sponsor Technogym. Schon an der Tür empfängt ihn fröhliches Gebell. "Shiva" freut sich hörbar über Herrchens Besuch. Und wohl auch umgekehrt, denn der Champion hat meistens einen seiner fünf Malinois- Hunde beim Testen mit – als tierischen Familienersatz.

Nach nur fünf Minuten klopft Chris Dyer an. Keiner öffnet. Er ruft Schumi über Handy an. Die Arbeit wartet. "The keys say, we go 20 laps", erklärt Dyer. Die Chefs hätten 20 Runden verordnet. Schumi kommt, nickt und startet durch. Fährt nun exakt bis Testschluß um 17 Uhr. Nicht eine Minute verschenkt er. Auf dem Weg zum Teamzelt muß er sich einiger Fans erwehren. Als ein übereifriger ihm den Arm um die Schulter legt, bittet er mit krauser Stirn um Distanz. Wie er sie haßt, diese Tätschelei!

Das Jahr wird schwerer als alle anderen

Am nächsten Tag regnet es. Michael Schumacher tröstet sich: "Schade, aber wenn man bedenkt, daß die Konkurrenz in Silverstone im Schnee noch schlechter dran war, müssen wir zufrieden sein."

Reifenmann Pifferi erzählt: "Er ist einfach so. Und immer zu allen freundlich, nie verzagt, immer bemüht." Ein Kollege verrät mit Blick auf den Kollegen Rubens Barrichello, der müde vorbeischlurft: "Der ist anders, dolce vita, capisci?" Süßes Leben, verstanden? Si, si, verstanden!

Nach einer umfassenden Problemanalyse am Abend drängt Bridgestone darauf, das neue Ferrari-Modell vor dem geplanten Termin am 8. Mai (GP Spanien) einzusetzen. Es mache wenig Sinn, fürs alte weiter ständig neue Reifen zu bauen.

19 Uhr, es ist dunkel geworden. Nach der Tagesbesprechung absolviert der Champion noch eine Trainingsstunde. Joggen für Herz und Kreislauf auf dem Laufband, dann aufs Fahrrad-Ergometer. Danach gemeinsames Abendessen, das ist Ritual bei der Scuderia. Gegen 21 Uhr zurück ins Hotel. Dort erlischt nach ausgiebiger Massage sehr früh das Licht in Michael Schumachers Zimmer. Er weiß: "Dieses Jahr wird schwerer als all die Jahre zuvor."

"Shiva" liegt vor seinem Bett. Vergeblich hat sie auf mehr Toben gehofft. Aber Herrchen braucht Schlaf. Die Saison wird hart.