"Vier Jahre an der Verordnung gearbeitet"

Seien Sie bloß froh, dass es nicht nach zwei meiner Kollegen gegangen ist. Dann hätten diese 138 Zeilen fast nur aus Wortspielen bestanden, und das hätte auf die Dauer ganz schön anstrengend werden können. "Wir waren um Punkt 10.30 Uhr verabredet", haben sie zum Beispiel als Textanfang vorgeschlagen. "Er redete ohne Punkt und Komma" fanden sie auch witzig. Und natürlich: "Hey, nun mach aber mal 'nen Punkt!"

Ich will Ihnen das alles ersparen, denn es wird dem Thema nicht gerecht. Immerhin geht es um eine ernste Angelegenheit, die über sieben Millionen Menschen betrifft – und oft genug ärgert: Es geht um den Flensburger Punkt. Das bekannteste Produkt der Fördestadt feiert Jubiläum, es wird am 1. Mai 30 Jahre alt.

"Wir haben damals fast vier Jahre an der Verordnung gearbeitet, immer wieder mit Verkehrsgerichtstag und Verbänden diskutiert", sagt Dr. Joachim Jagow (70), ein adrett gekleideter Herr mit blauem Goldknopf-Jackett und grünweiß-blau gestreifter Krawatte. Dieser Mann war es, der uns vor 30 Jahren (und bitte entschuldigen Sie jetzt mein eigenes Wortspiel) auf den Punkt gebracht hat: Dr. Jagow hat das Regelwerk zusammen mit seinem 1990 verstorbenen Chef Helmut List im Bundesverkehrsministerium entworfen. Noch heute sind weite Teile dieses Werkes aktuell – auch wenn das Punktesystem1998/99 als Gesetz neu gefasst und um Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratungen mit Bonussystem zum Punkteabbau ergänzt wurde.

7,1 Millionen Menschen sind erfasst

Man könnte den Juristen Jagow zum Sündenbock machen für die Eintragungen in Flensburg, würde dann aber etwas außer Acht lassen: Die 1974 in Kraft getretenen "Verwaltungsvorschriften zu § 15b StVZO" waren schon eine Verbesserung zu der vorher bestehenden Lösung von 1961. Da gab es bereits "Richtlinien für Mehrfachtäter", nur konnte man sich nie darauf verlassen, wie sie umgesetzt wurden. Jagow: "Es gab wenig Verbindliches und viele Ausnahmen. Bei Prominenten hat man oft mehr nach Ausnahmen gesucht als beim Normalbürger." Es sollte Gleichbehandlung geben und ganz klare Grenzen. Jagow und List hatten aber nie das Gefühl, etwas Besonderes zu schaffen. "Das Punktesystem war eines unter mehreren Vorhaben. Es hatte Bedeutung, war aber sicher nicht unser wichtigstes Projekt."

Wenn man mal das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg besucht, bekommt man an dieser bescheidenen Darstellung seine Zweifel: In dem blaugrauen Hochhaus sind 7,1 Millionen Menschen erfasst, davon 83 Prozent Männer und nur 17 Prozent Frauen. In 24 riesigen Hängeregistern (die Umstellung auf Computer soll 2006 abgeschlossen sein) verbergen sich, nach Nummern geordnet, die großen und kleinen Sünden der Autorepublik. Spitzenreiter sind Tempoverstöße (54,9 Prozent), Alkohol (18,9) und Vorfahrtsverletzungen (14,6). 145.934 Fahrerlaubnisse wurden 2003 entzogen.

Der Jagow'sche Punkt dominiert also die Bundesbehörde: "Das Kraftfahrt-Bundesamt wird immer gleichgesetzt mit dem 'Sündenregister'. Die Typgenehmigungen, das zentrale Fahrzeugregister mit über 53 Millionen Kfz, der Aufbau eines zentralen Fahrerlaubnisregisters und die übrigen Bereiche sind genauso wichtig", so Abteilungspräsident Ekhard Zinke, der als Nachfolger von KBA-Präsident Wolfgang Barth (Ruhestand) gehandelt wird. Dennoch: Für die meisten Menschen ist vor allem der Punktestand wichtig, 10,7 Millionen Auskünfte werden pro Jahr eingeholt. Auch Dr. Jagow, einer der Väter des Punktes, war schon gespeichert: "Ich hatte auch mal Punkte in Flensburg", gesteht er. Und fügt rasch hinzu: "Aber nie mehr als drei."

Von

Alex Cohrs