Motorsport ist gefährlich: Dieser Satz findet sich auf jeder Eintrittskarte zu Rennveranstaltungen rund um die Welt. Durch die tödlichen Folgen der Unfälle von Jules Bianchi und Justin Wilson ist sich auch die Königsklasse des Motorsports in jüngster Vergangenheit wieder der Gefahren auf brutale Weise bewusst geworden. Die zwei verunglückten Kollegen – Bianchi raste letzten Oktober unter einen Bergungskran, Wilson wurde beim IndyCar-Lauf in Sonoma von einem Trümmerteil am Kopf getroffen – erinnerten die gesamte Szene an das Risiko, das der Sport mit sich bringt. Und das, geht es nach den Piloten selbst, dringendst weiter eingedämmt werden muss. Eine dabei immer wieder genannte Lösung, um der maximalen Sicherheit möglichst nahe zu kommen, ist der streitbare Ansatz der Cockpitkuppel.
Cockpithaube
Bisher gibt es die Cockpithaube nur in Concept-Studien - oben in Red-Bull-Optik, hier im Ferrari-Look
„Der offene Kopf ist die letzte verwundbare Stelle im Auto“, kritisiert Max Chilton, seines Zeichens Teamkollege des verunglückten Bianchi bei Marussia. Mittlerweile fährt der Brite in den USA und wurde dort vor einer Woche mit Wilsons Tod konfrontiert. Sein Landsmann sei einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen, und doch hätte man das böse Schicksal durchaus verhindern können. „Der Rest des Autos ist ja bereits wahnsinnig sicher geworden. Nun sollte man aber auch noch die letzte Sicherheitslücke ausmerzen und neue Designs mit geschlossenen Cockpits vorantrieben“, sagt Chilton. In der Tat testet der Automobilweltverband FIA seit geraumer Zeit Jethauben und ähnliche Lösungen, sowie die Praktikabilität der einzelnen Ansätze im Motorsport.

Statistiken bringen nichts

Eine klare Entscheidung zur Thematik steht aber noch aus. Für viele Fahrer ein großes Ärgernis. „Ich bin eigentlich selbst ein Freund offener Cockpits, aber realistisch gesehen muss man zugeben, dass jetzt etwas passieren muss“, findet McLaren-Pilot Jenson Button. „Es ist schade, dass immer erst etwas passieren und es Tote geben muss, damit die Leute realisieren, dass man etwas unternehmen muss“, kritisiert der Weltmeister von 2009 und sagt: „Wenn die Kuppeln da sind, dann ist es eben so.“ Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo fügt hinzu: „Auch die Statistiken, dass in den letzten Jahren eigentlich relativ selten etwas passiert ist, interessieren nicht, denn sie sagen nichts über die Zukunft aus.“
Di Grassi
Fühlt sich an seinem (offenen) Arbeitsplatz nicht mehr wohl: Lucas Di Grassi im Formel-E-Cockpit
„Wir müssen jetzt die richtigen Schlüsse ziehen und wenn wir dadurch mit der Tradition brechen, dafür aber Leben retten, dann ist die Tradition egal“, so der Australier. Ricciardos ehemaliger Stallkollege Sebastian Vettel mischte sich am Rande des Italien GP in Monza ebenso in die Diskussion ein. „Es ist sehr traurig, dass wir Justin auf diese Art und Weise verloren haben und wenn geschlossene Cockpits das hätten verhindern können, hätten wir es machen sollen. Wir müssen jetzt reagieren!“ Mindestens so drastisch wie Vettel, formuliert auch Lucas di Grassi seine Meinung zum Thema. Der Ex-Formel-1-Pilot, der mittlerweile in der Formel E antritt, sagt im exklusiven Gespräch mit AUTO BILD MOTORSPORT: „Die Zeit der offenen Cockpits wird bald vorbei sein! Sie haben keine Zukunft.“

Offene Cockpits ohne Zukunft

Das Festhalten an der aktuellen Lösung versteht er nicht und führt weitere Vorteile der neuartigen Lösung auf. „Cockpithauben sind nicht nur sicherer, sie sind auch aerodynamisch besser. Man kann den Luftwiderstand reduzieren und das ganze Auto leichter machen, weil man eine bessere Struktur um den Fahrer herum hat“, so Di Grassi, der sein Sportwagen-Team in der Langstrecken-WM als Beispiel nennt. „In der LMP1 waren die Cockpits auch offen und Audi hat sie vor allem wegen der aerodynamischen Effizienz geschlossen.“ Die Skepsis, die den Cockpithauben entgegenschlägt, sei unangebracht. „Die Leute sollen sich aufregen, aber am Ende des Tages ist es einfach viel sicherer. Die Bedenken, dass der Fahrer eingeschlossen werden könnte, stimmen nicht.“
Wie das Racing der Zukunft mit geschlossenen Cockpits aussehen könnte, sehen Sie hier im Video:

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„Wir haben Türen und auch im Fall von großen Unfällen kann man die Hauben so konstruieren, dass man rauskommt. Dass jemand gefangen wäre, passiert nie“, so Di Grassi, der vorschlägt: „Man kann es machen wie in einem Jet, sodass man die Haube absprengt, wie bei einem Schleudersitz.“ Di Grassi ist überzeugt: „Die FIA wird die Hauben bald für Monoposto-Rennwagen einführen.“ Für absolut zwingend notwendig hält er die Lösung im Fall von Ovalrennen. „Gerade bei den IndyCars macht es doch Sinn. Da fällt auch der Kritikpunkt der eingeschränkten Sicht weg, denn man muss im Oval sowieso nur geradeaus gucken und keine Scheitelpunkte einsehen können. Dafür herrschen dort extrem hohe Geschwindigkeiten.“

Unfall mit Liuzzi in Abu Dhabi 2010

Schumacher & Liuzzi
Der Unfall, auf den sich Di Grassi bezieht: Liuzzis Force India fährt über den Mercedes von Schumacher
Nur am Speed sollte man eine mögliche Verordnung der Hauben aber nicht festmachen. „(Henry; d. Red.) Surtees wurde 2009 in der Formel 2 zum Beispiel von einem Reifen erschlagen. Es kann immer und wirklich jedem von uns etwas passieren. Selbst Michael Schumacher, in dem Jahr als ich in der Formel 1 war. Er wurde bei einem Unfall in Abu Dhabi 2010 fast von Liuzzis Force India geköpft“, erinnert sich Di Grassi im Interview mit AUTO BILD MOTORSPORT an den trotz niedriger Geschwindigkeiten furchteinflößenden Unfall. „Das Cockpit ist heutzutage die Schwachstelle der Sicherheit und wenn es um das Design der Zukunft geht, müssen wir es einfach besser machen“, fordert der Brasilianer.

Von

Frederik Hackbarth