Die Nachwehen von Silverstone kommen bei Charles Leclerc jetzt erst so richtig an: Teamkollege Carlos Sainz scheint durch seinen ersten Grand-Prix-Sieg vor einer Woche in Großbritannien beflügelt und steckt im Kampf um die Vormachtstellung bei Ferrari nicht mehr zurück.
Auch im Sprintrennen von Spielberg am Samstag leckt Sainz wieder Blut: Am Start und in der Anfangsphase des Rennens duellieren sich die beiden Scuderia-Stars mehrfach hart, am Ende setzt sich Leclerc durch, weil er in Kurve drei die Ellenbogen ausfährt und seinen Stallgefährten von der Ideallinie drückt.
Sainz macht nach dem Rennen trotzdem gute Miene zum bösen Spiel: "Das waren ein paar gute Kämpfe und es hat Spaß gemacht. Schade, dass ich ihn nicht kriegen konnte", sagt der angriffslustige Spanier in Bezug auf Leclerc.
Sainz und Leclerc schenkten sich nichts im Sprintrennen in Spielberg.
Bild: Frederik Hackbarth

Beim Monegassen ist die Stimmung indes ganz anders: Leclerc wirkt bei den Interviews nach der Zieldurchfahrt schmallippig und sauer. Mit Blick auf das Rennen am Sonntag fordert der Ferrari-Star sogar ein Eingreifen des Teams: "Morgen ist es ein langes Rennen, da ist das Reifenmanagement ein bisschen wichtiger als heute. Da können wir uns nicht leisten, was wir heute gemacht haben."
An eine Stallorder glaubt Leclerc nach den Vorkommnissen in Silverstone aber wohl selbst nicht: Dort schoss ihm der Ferrari-Kommandostand mit einem ausgebliebenen Reifenstopp ein klares Eigentor. Sainz hingegen wurde zum Service gerufen, gewann das Rennen und rückte in der WM bis auf elf Punkte an ihn heran.
"Natürlich werden das nicht wir entscheiden. Das wird Mattia (Binotto, Teamchef; d. Red.) machen", sagt Leclerc mit Blick auf eine mögliche Stallregie am Sonntag und fügt wegen des internen Duells im Sprint an: "Heute haben wir dabei Zeit verloren. Wahrscheinlich nicht genug, um um den Sieg zu fahren, weil ja auch Max seine Pace verwaltet hat. Aber man weiß nie, was passiert wäre."
Das sieht auch die Konkurrenz so: Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko bedankt sich nach dem Sprint bei Ferrari, dass sie Verstappen das Leben so leicht gemacht haben. "Der Start war ein bisschen kritisch, da kamen die Ferraris wegen den beiden langen Geraden auf Tuchfühlung. Gott sei Dank haben sie aber gegeneinander gekämpft, das hat Max zwei Sekunden Vorsprung gebracht", sagt der Grazer.
Carlos Sainz glaubt, dass beide Ferrari nicht zwingend zusammenarbeiten müssen, um Verstappen einzuheizen.
Bild: Ferrari

Sainz sieht die Sache logischerweise anders als Lerlerc und Marko und rechtfertigt seine Attacken: "Es gab heute wenig zu gewinnen oder zu verlieren. Wir reden nur über einen Punkt. Und Max hat das Rennen vorne kontrolliert, es ist also nicht so, als hätten wir da groß was verschenkt und ihn ansonsten in Panik versetzt."
Der Spanier glaubt vielmehr, dass beide Ferrari nicht zwingend zusammenarbeiten müssen, um Verstappen einzuheizen. "Wir werden beide versuchen, Max das Leben so schwer wie möglich zu machen und dafür müssen wir beide Vollgas pushen, denn er ist schon sehr weit vorne (in der WM; d. Red.).“
Spielberg beweist: Sainz macht nicht erst seit der ignorierten Teamorder in Silverstone – als er beim Restart Puffer für Leclerc spielen sollte, auf frischen Reifen aber lieber sein Heil in der Flucht nach vorne suchte – sein eigenes Ding. Während Ferrari ein Stallkrieg droht, spielt Teamchef Binotto die aufgeheizte Stimmung zwischen seinen Piloten herunter.
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto steht vor schwierigen Entscheidungen.
Bild: Ferrari

Am Samstag dementiert Binotto bereits vor dem Sprint italienische Presseberichte über eine Spaltung im Team. Angeblich hätten sich aus Frust über das Strategie-Desaster in Silverstone einige Teammitglieder von Leclercs Seite der Garage geweigert, am Siegerfoto mit Sainz teilzunehmen. "Ich habe es überprüft, das ist nicht wahr", weist Binotto die Gerüchte ins Reich der Fabel.
Auch zwischen ihm und Leclerc sei die Stimmung gut - trotz des erhobenen Zeigefingers im Parc fermé. Er habe Leclerc unter der Woche sogar in Monaco besucht, verrät der Teamchef: "Wir haben zusammen Abend gegessen und darüber gelacht, was wir in den Zeitungen gelesen haben, weil es völlig falsch war." Die Miene seines bisherigen Nummer-1-Piloten nach dem Sprint kann aber auch Binotto nicht wegdiskutieren, denn die sprach Bände - genauso wie seine Worte auf der Pressekonferenz.

Von

Frederik Hackbarth